"Ich habe entschieden, meine Kandidatur einzureichen", sagte Christine Lagarde in Paris. Die 55-Jährige erklärte vor den Medien, sie sei "nach reiflicher Überlegung" zu der Entscheidung gelangt, zu kandidieren.
Seit dem Rücktritt von Dominique Strauss-Kahn wird die in der Finanzwelt hoch geschätzte, perfekt englisch sprechende Französin als Favoritin für den IWF-Chefposten gehandelt. Sie wäre die erste Frau an der Spitze des Internationalen Währungsfonds.
Unterstützung geniesst Lagarde vor allem im europäischen Lager. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte sie eine "ausgezeichnete und erfahrene Persönlichkeit" und OECD-Generalsekretär Angel Gurria sagte in Paris: "Die Europäer haben mit ihr eindeutig ihre Beste und Klügste ausgewählt." Auch Grossbritannien liess bereits seine Präferenz für Lagarde erkennen.
Die Frage ist allerdings, ob die Europäer erneut den IWF-Chef stellen werden, denn auch die Schwellenländer hätten den einflussreichen Posten gerne. "Europäer zu sein ist kein Handikap und kein Trumpf", sagte Lagarde vor der Presse. Dasselbe gelte für ihre Staatsangehörigkeit, die ebenfalls ein Problem werden könnte. Denn immerhin kamen bereits vier IWF-Chefs aus Frankreich.
Russland, China, Indien, Südafrika und Brasilien forderten in einem gemeinsamen Appell, den Posten nicht automatisch mit einem Europäer zu besetzen. Allerdings gibt es aus diesen Ländern bislang keine offizielle Gegenkandidatur.
Ein Fleck auf der weissen Weste
In Paris droht der hochgewachsenen schlanken Frau mit den kurzen grauen Haaren möglicherweise juristisches Ungemach, weil sie eine Entscheidung zugunsten des Skandalunternehmers Bernard Tapie beeinflusst haben soll. Doch Lagarde will ihre Kandidatur auch aufrechterhalten, wenn Ermittlungen gegen sie eingeleitet werden sollten. "Ich habe volles Vertrauen in das Verfahren, denn ich habe ein völlig reines Gewissen".
Wenn Lagarde den Posten als oberste Währungshüterin tatsächlich bekommen sollte, wird sie sicher einen ganz anderen Führungsstil pflegen als ihr Vorgänger. Frauen zeigten in öffentlichen Ämtern "weniger Libido, weniger Testosteron", bemerkte die Ministerin im Herbst.
Sie dachte damals sicher nicht an mögliche Sex-Affären, wie sie der zurückgetretene IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn erlebt, sondern an eine andere Gesprächskultur: "Wir werden nicht unbedingt unser Ego in einer Verhandlung raushängen und dadurch unseren Standpunkt durchsetzen und unseren Partner erniedrigen", erläuterte sie die weibliche Haltung.
Akten und Baby
Die ehemalige französische Vize-Meisterin im Synchronschwimmen kennt sich aus in einem männerdominierten Umfeld. Mit 25 Jahren begann sie in der renommierten US-Anwaltskanzlei Baker & McKenzie und legte dort eine brillante Karriere bis zur Leitung hin. "Ich kann mich daran erinnern, wie ich mit den Akten auf der einen Seite und dem Fläschchen auf der anderen mein Baby fütterte", erinnert sich die Mutter zweier erwachsener Söhne.
Ihre politische Karriere begann die zweimal geschiedene Lagarde erst 2005. Da übernahm sie den Posten der Staatssekretärin für Aussenhandel. Gleich zu Beginn leistete sie sich einen Patzer, als sie das damals noch als unantastbar geltende Arbeits- und Sozialrecht als "Bremse für die Beschäftigung" kritisierte. Als sie im Herbst 2008 dann wegen der Finanzkrise einen EU-Hilfsfonds für Europas Banken forderte, war Präsident Nicolas Sarkozy so wütend, dass Lagarde ihren Rücktritt anbot.
Beste Finanzministerin
Auch mit Deutschland, Frankreichs engstem Partner, eckte die Ministerin im vergangenen Jahr an, als sie den Exportüberschuss des Nachbarlandes kritisierte. Doch dem Ansehen der stets elegant gekleideten Ministerin hat das alles kaum geschadet. Die ehemalige Anwältin für Arbeitsrecht wurde von der "Financial Times" 2009 zur besten Finanzministerin der Eurozone gewählt.
Im Herbst wurde Lagarde sogar als neue französische Chefdiplomatin gehandelt, wollte dann aber wohl ihr Finanzministerium nicht aufgeben. Doch gegen die IWF-Chefetage in Washington würde sie ihr Büro im Pariser Stadtteil Bercy schon tauschen.
(cms/sda)