«Handelszeitung Online»: Herr Minister, Sie gelten als der wohl letzte Verbündete der Schweiz in Europa. Wie empfinden Sie derzeit die Tonalität zwischen der Schweiz und Deutschland im Steuerstreit?
Luc Frieden: Das ist von Aussen schwierig zu beurteilen. Ich denke, dass Deutschland und die Schweiz mit diesem Abkommen sehr stark aufeinander zugegangen sind - und das kann ich nur begrüssen. Ich wünsche mir, dass die von den beiden Finanzministern ausgehandelten Abkommen auch in die Realität umgesetzt werden können.
Warum?
Weil ich denke, dass dies die richtige Art und Weise ist, wie Staaten miteinander schwierige Themen regeln sollten.
Von einer einvernehmlichen Lösung sind wir aber derzeit weit entfernt. Die Deutsche Seite bezeichnet das Steuerabkommen als «tot». Glauben Sie, dass die Schweiz mit Deutschland das Abkommen nachverhandeln muss?
Ich bin für deutsche Innenpolitik nicht zuständig. Ich wünsche mir aber, dass zwischen zwei Staaten, die freundschaftlich nebeneinander leben, solche Themen durch Abkommen geregelt werden – und nicht durch eine Art und Weise, die eigentlich zwischen Rechtsstaaten unüblich sind. Als Freund beider Seiten sage ich: Alles andere als der Dialog ist für gute Beziehungen zwischen zwei Staaten nicht wünschenswert.
Haben wir Sie richtig verstanden: Sie missbilligen also den deutschen Ankauf von Daten-CDs, um Steuergelder ins Heimatland zurückführen und gleichzeitig die Schweiz zu Nachverhandlungen zu zwingen?
Grundsätzlich finde ich, dass der Kauf von gestohlenen Daten keine Art und Weise sein kann, wie Rechtsstaaten miteinander umgehen.
Sie können also verstehen, dass ihre Amtskollegin Eveline Widmer-Schlumpf das Vorgehen einzelner deutscher Ministerpräsidenten in Richtung der «organisierten Kriminalität» rückt?
Das entspricht nicht meiner Ausdrucksweise. Lassen Sie es mich so formulieren: Ich rate niemandem, Daten zu stehlen. Und ich empfehle keinem Staat, gestohlene Daten zu erwerben.
Jetzt ist es aber so, dass der deutsche Bundesrat dank einer Mehrheit aus SPD und Grünen das ausgehandelte Abkommen wohl ablehnen wird. Folgendes Gedankenspiel: Könnten Sie vorstellen, in einem solchen Fall als Vermittler zwischen der Schweiz und Deutschland zur Verfügung zu stehen, um die Differenzen endgültig aus der Welt zu schaffen?
Deutschland und die Schweiz brauchen keine Vermittler - vor allem nicht, wenn es sich um hochrespektierte Finanzminister handelt, die wissen, dass sie aufeinander zugehen müssen, um Lösungen zu den anstehenden Problemen zu finden. Was ich mir über dieses bilaterale Problem hinaus wünsche, ist, dass wir ein System finden, welches die Freizügigkeit des Kapitals gewährleistet und die Menschen vom Schutz der Privatsphäre profitieren können - ohne dabei Steuern zu hinterziehen.
Halten Sie die Implementierung eines solchen Systems innerhalb der Europäischen Union für möglich?
Ja. Ich denke, dass das möglich ist.
Ist diese Sichtweise nicht etwas naiv? Es ist doch so, dass Deutschland und Frankreich letztlich den automatischen Informationsaustausch mit der Schweiz anstreben.
Der automatische Informationsaustausch ist nicht mein bevorzugtes Modell.
Weshalb?
Weil ich beobachte, dass sehr viele Staaten auch im Inneren ein Quellensteuersystem und eben nicht den automatischen Informationsaustausch eingeführt haben - siehe Deutschland. Und das ist nur ein Beispiel für diesen Trend. Für mich ist der Schutz der Privatsphäre im Bereich der Vermögensverwaltung etwas Wichtiges. Aber wir müssen gleichzeitig ein System finden, welches das Bezahlen von Steuern sicherstellt. Die Quellensteuer ist dafür ein adäquates Instrument. Ausserdem wünschte ich mir, dass wir in Europa über diese Themen sachlicher diskutieren könnten. Es geht nicht nur um das Pro oder Contra des automatischen Informationsaustausches.
Sondern?
Es geht um Möglichkeiten, Steuern einzuziehen, Freizügigkeit des Kapitals zu erreichen und den Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten.
Zu einem anderen Thema: Griechenland bereitet der Eurozone nach wie Sorgenfalten. Können Sie nachvollziehen, wenn sich eine Mehrheit der deutschen Bürger für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone ausspricht?
Das ist eine Frage, die sich nicht so einfach beantworten lässt. Die eigentliche Frage ist doch: Was wäre die Konsequenz eines Austritts?
Haben Sie eine Antwort darauf?
Darauf gibt es keine 100-prozentige Antwort.
Warum?
Das Risiko der psychologischen Ansteckung auf andere Staaten besteht nach wie vor. Unser Ziel sollte es sein, die gesamte Eurozone mittels langfristiger Perspektiven zu stabilisieren.
Will heissen?
Das bedeutet vor allem Strukturreformen in diesen Staaten.
Letzten Herbst geriet auch die Schweiz in den Strudel der Eurokrise. Aus diesem Grund implementierte die Schweizerische Nationalbank (SNB) zum Wohle der eigenen Volkswirtschaft die Franken-Untergrenze. Nach anfänglichem Applaus wird diese Währungspolitik aber zunehmend kritisiert – besonders weil keine Exit-Strategie ersichtlich ist. Können Sie die Kritik an der Arbeit von SNB-Präsident Thomas Jordan verstehen?
Man sollte als Finanzminister Entscheidungen von Nationalbanken nicht kommentieren. Grundsätzlich finde ich, dass die Schweiz ihrer Verantwortung als Teil der globalen Wirtschaft in dieser Krise sehr gut nachgekommen ist. Sei es durch die Bemühungen über den Internationalen Währungsfonds oder sei es im Interesse der schweizerischen Exportwirtschaft bei der Festlegung des Wechselkurses. Ich jedenfalls bin beeindruckt von dem, was die Schweiz sowohl innerhalb Nationalbank wie auch bei anderen politischen Entscheidungen bislang geleistet hat.
Wie Sie bereits ausführten, leistete die Schweizerische Nationalbank in der Vergangenheit über den Internationalen Währungsfonds (IWF) einen beträchtlichen finanziellen Beitrag, um die Eurokrise einzudämmen. Braucht der IWF in naher Zukunft von der Schweiz noch mehr Mittel?
Ich glaube, dass die Mittel der europäischen Rettungsfonds und des IWF ausreichen. Wir sehen uns, soweit absehbar, nicht mit neuen Hilfsanfragen von Staaten konfrontiert. Wenn aber neue hinzukommen, sollte das vorhandene Geld ausreichen, um unter strikten Auflagen Hilfe zu leisten.
In diesem Zusammenhang gibt es Befürchtungen, wonach es in diesen Herbst zu einer Verschärfung der Eurokrise kommt. Teilen Sie diese Angst?
Ich denke nicht, dass es zu einer Verschärfung kommt – aber ich glaube, dass wir noch nicht aus dem Tal herausgekommen sind. Und der Weg auf den Gipfel ist lang und steinig.