Marcel Zoller zögert am Telefon: Ob ein abtretender Finanzchef wirklich ein Porträt wert sei? Er überlege es sich. Keine zwei Stunden später ruft der Raiffeisen-Manager wieder an. Die Kommunikationsstelle der Bank habe ihm «unter den gegebenen Umständen» davon abgeraten, sich mit dem Journalisten zu treffen.

Warum ist klar. Die Ermittlungen gegen seinen langjährigen Chef, Pierin Vincenz, überschatten Zollers Abschied. Bereits die Ankündigung seiner Frühpensionierung im Spätherbst kommt zum dümmsten Zeitpunkt. Just einen Tag nachdem das Finma-Verfahren gegen den Ex-Raiffeisen-Boss öffentlich wird, gibt die Bank Zollers «vorzeitigen Ruhestand» auf Ende April bekannt. Danach wird Raiffeisen-Chef Patrik Gisel nicht müde zu betonen, der Exit seines Finanzchefs sei «von langer Hand geplant» und habe nichts mit dem laufenden Finma-Enforcement zu tun.

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Stundenlang einvernommen

Das Aufsichtsverfahren gegen Bank und Ex-Chef hinterlässt dennoch Spuren beim Sechzigjährigen. Anfang Jahr erleidet Zoller einen Herzinfarkt, von dem er sich gut erholt habe, wie Vertraute erzählen. Kaum genesen, folgt die nächste Hiobsbotschaft. Die Zürcher Staatsanwaltschaft eröffnet gegen seinen ehemaligen Vorgesetzten Pierin Vincenz ein Strafverfahren wegen «ungetreuer Geschäftsbesorgung». Zoller wird daraufhin gemäss Finanzblog «Inside Paradeplatz» stundenlang als Auskunftsperson einvernommen.

Dass sich die Strafermittler für Zoller interessieren, erstaunt nicht. Seit 2008 stand der Ostschweizer seinem omnipotenten Bündner Chef treu zur Seite. Schliesslich wechselte ihn Vincenz damals von der Lokalkonkurrenz ein. Bei der St. Galler Kantonalbank kümmerte sich Zoller als Leiter Service Center um operative Prozesse. Vincenz machte ihn zum Finanzchef.

Kein typischer Buchhalter

Zoller sei kein Zahlenmensch im klassischen Sinne, kein typischer Buchhalter, sagt ein Wegbegleiter. Er habe stets versucht, die Kennziffern in einen Zusammenhang zu stellen. Bodenständig und nahbar sei er. Ein etwas biederer Schaffer, was gerade bei den Genossenschaftern draussen im Land gut angekommen sei.

Weniger charmant formuliert es ein anderer Mitstreiter aus Raiffeisen-Tagen: «Zoller war von seinem Werdegang her schlicht kein Finanzfachmann.» Inhaltliche Diskussionen seien nicht seine Sache gewesen. Die habe er seinen Untergebenen delegiert wie dem inzwischen ebenfalls pensionierten Stellvertreter Paolo Arnoffi, dem damaligen Rechnungswesen-Leiter Markus Lüthi oder Nachfolger Christian Poerschke, der unter Zoller zwischenzeitlich das Controlling leitete.

Stets loyal

Der Finanzchef selber habe straff durch Prozesse geführt: gewissenhaft, genau und stets loyal zum Alphabanker an der Spitze des Raiffeisen-Reichs, dessen Strafverfahren das Verhältnis zu Zoller nun massiv belastet. «Er war stets Pierins Gefolgsmann», heisst es aus mehreren Quellen. Entsprechend bedachte ihn der Raiffeisen-Chef, zu dem Zoller ein Vertrauensverhältnis hatte, mit besonderen Aufgaben.

Zoller sass, unter anderem mit Rechtschefin und Vincenz-Lebensgefährtin Nadja Ceregato, im M&A-Board der Bank. Jenem Gremium, das die Beteiligungsnahmen der Raiffeisen zu prüfen hatte – sage und schreibe deren hundert seit 2005.

Zoller war es auch, der zusammen mit Vincenz die Investnet Holding für Raiffeisen Schweiz gründete, an der sich der abtretende Chef später offiziell beteiligte. Vincenz und sein Geschäftsfreund Beat Stocker sollen aber möglicherweise bereits zuvor – verdeckt – an der Raiffeisen-Tochter Investnet über einen Treuhandvertrag investiert gewesen sein. Das KMU-Vehikel ist Gegenstand der Strafuntersuchung gegen Vincenz und Stocker.

Verkauf von Dynapartners

Andere Zukäufe von Raiffeisen unter der Ägide des Bündner Starbankers stehen bisher nicht im Fokus des Zürcher Staatsanwalts Marc Jean-Richard-dit-Bressel. So zum Beispiel die Zolliker Anlageboutique Dynapartners, die Finanzchef Marcel Zoller schliesslich wieder zu veräussern hatte. Dynapartners-Gründer Beat Wittmann selbst wollte sich auf Anfrage zu «früheren geschäftlichen Beziehungen» nicht äussern.

Dokumente zeigen, dass Raiffeisen Schweiz praktisch seit der Gründung von Dynapartners Mitte 2009 am Asset Manager beteiligt war und in der Folge mehrfach Aktien zeichnete. Also lange bevor Chef Vincenz der Bauernbank seine Asset-Management-Strategie verpasste. Erst im Frühjahr 2013, also knapp vier Jahre später, gründete die Raiffeisen-Tochter Notenstein die Asset-Management-Dachgesellschaft TCMG, deren operativer Chef der Dynapartners-Gründer Beat Wittmann wurde.

In die TCMG brachte Raiffeisen zum einen Dynapartners ein, die damals bereits mehrheitlich der Bank gehörte. Und zum anderen die ehemalige Wegelin-Tochter 1741 Group. Mit der Gründung der TCMG als Dachgesellschaft stand – ähnlich wie später bei der Investnet Holding – die Bewertungsfrage der einzelnen Assets im Zentrum. Gemäss mehreren Quellen soll Vincenz’ Gefährte Beat Stocker damals eine Bewertung von Dynapartners angefertigt haben, die von den Notenstein-Managern als «abstrus hoch» zurückgewiesen wurde. Sie setzten sich schliesslich durch.

Liquidator und Jäger

Anders bei einem weiteren Assetmanager, den Raiffeisen unter das TCMG-Dach akquirierte. Es war dies die Competitive Edge Asset Management, kurz Ceams, der beiden Ex-Grossbanker Philipp Weckherlin und Markus Hepp. Weckherlin und Vincenz dissertierten im selben Jahr beim selben Doktorvater an der Hochschule St. Gallen. Man kannte sich.

Raiffeisen zeichnet im Herbst 2014 an Ceams zunächst einen 70-Prozent-Anteil für 24,5 Millionen Franken, wie Dokumente zeigen. Mehrere mit dem Dossier vertraute Quellen bezeichnen den Kaufpreis übereinstimmend als «sehr hoch». Das Ceams-Dossier war jedoch Chefsache. Vincenz beziehungsweise Zoller sollen die Verträge ausgehandelt haben. Die geplante Vollübernahme ist an Business-Ziele geknüpft, die Ceams zunächst nicht erreicht. Die restlichen Aktien übernimmt Raiffeisen trotzdem, um nur kurz darauf die eigene «Multi-Boutique-Strategie» zu Grabe zu tragen. Als Liquidator der Dachgesellschaft TCMG amtet Finanzchef Marcel Zoller.

Der liquidiert nicht nur Firmen, sondern auch Wildtiere. Zoller ist nämlich passionierter Jäger mit einem Pachtrevier in Vorarlberg. Dort nimmt er auch Platzhirsche aufs Korn.