Wir leben nicht nur im Zeitalter der Information, sondern auch im Zeitalter der Strategien, Konzepte, Pläne und Reformen. Das gilt ganz besonders für das Bildungswesen, wo einmal mehr ein ganz grosser Wurf bevorsteht. Das neue Modewort lautet Kompetenzorientierung, und dies ist denn auch die zentrale Richtlinie des Ende Juni von den Erziehungsdirektorinnen und -direktoren der 21 Deutschschweizer Kantone in die Konsultation geschickten neuen Lehrplans 21. Zu dieser Kompetenzorientierung gehört zwar auch etwas Wissen, doch dieses wird zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Schliesslich gibt es heute das Internet, wo man alles Wissenswerte nachschauen kann. Da braucht man das Gehirn nicht mehr mit Wissen zu belasten.

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Kompetenzorientierung bedeutet somit in der gelebten Realität eine Entinhaltisierung des Unterrichts. Das ist aber einer tatsächlich relevanten Bildungsqualität nicht förderlich. Wir brauchen nicht Schüler, die lernen, wie man sich bestimmter Worthülsen bedient, ohne zu verstehen, was damit eigentlich gemeint ist. Ironischerweise ist der Lehrplan 21 selbst schon ein warnendes Beispiel. Er erschlägt die Lehrer mit einer Masse von wichtig klingenden Kompetenzdefinitionen, die sich in der Realität aber schnell als hohle Phrasendreschereien auf Metaebenen entpuppen.

Das zeigt sich schon bei der Definition der Kompetenzorientierung. So heisst es in den Grundlagen zum Lehrplan 21: «Mit der Kompetenzorientierung ergibt sich eine veränderte Sichtweise auf den Unterricht. Lernen wird verstärkt als aktiver, selbstgesteuerter, reflexiver, situativer und konstruktiver Prozess verstanden.» Hier geht es um typische Begriffe in der heutigen Bildungslandschaft, die alles und nichts aussagen. Der gesunde Menschenverstand lehrt uns bereits, dass jedes Lernen, das diesen Namen verdient, konstruktiv sein muss, und es lässt sich auch gar nicht anders als situativ vermitteln. Wozu dann also so nichtssagende Worthülsen?

Schauen wir uns den Lehrplan 21 aber noch etwas konkreter an und nehmen zum Beispiel den Religionsunterricht. Klar, dass er in einem modernen Lehrplan eine vollkommen veraltete Bezeichnung darstellt. Denn Religionsunterricht im traditionellen Sinn ist für einen modernen Lehrplan viel zu konkret und wissensorientiert. Dort lernte man in früheren Zeiten vor allem die Geschichten der Bibel kennen, und zwar erst noch völlig unreflektiert und ohne dass der Bibel andere Religionsentwürfe gegenübergestellt wurden.

Deshalb ist Religionsunterricht jetzt Teil des Kompetenzaufbaus «Natur, Mensch, Gesellschaft», in dem sich ein Teilbereich «Ethik, Religionen, Gemeinschaft (mit Lebenskunde)» befindet. Was in der Bibel konkret steht, brauchen Schüler nicht mehr zu wissen, denn auch das lässt sich im Internet nachschauen. Gemäss dem Lehrplan 21 können Schüler hingegen neu «in alltäglicher Umgebung, in kulturellen Lebensweisen oder Lebensstilen religiöse Symbole identifizieren und im Kontext ihrer Verwendung deuten». Oder sie «können in der Werbung Motive religiöser Traditionen erkennen sowie ihre religiöse Herkunft und ihre Verfremdung erschliessen». Hier haben wir ein konkretes Beispiel für die Entinhaltisierung des Unterrichts. Schüler und Schülerinnen werden zunehmend dazu erzogen, pseudokompetent über Dinge zu reflektieren und zu diskutieren, die sie in Wirklichkeit nicht kennen und nicht verstehen.

Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz.