In den fünf Jahrenzwischen 2005 und 2010 ist die Zahl der Beschäftigten in der Schweiz trotz Finanzkrise um beinahe neun Prozent von 3,1 auf 3,4 Millionen gewachsen. Schon mehrfach wurde deshalb von einem Beschäftigungswunder gesprochen, das wir hierzulande erleben dürfen. Doch wenn man dieses Wunder genauer analysiert, stellt man Erstaunliches fest. Wie schon Gerhard Schwarz in einem Ende April in der «NZZ» erschienenen Artikel aufgezeigt hat, war die private Wirtschaft an diesem Wunder kaum beteiligt. Seit 2005 wurde dort lediglich ein Teil des Stellenabbaus wieder kompensiert, der in den neunziger Jahren zu einem starken Rückgang der Beschäftigung im privaten Sektor geführt hatte. Betrachten wir die Zahlen seit 1990, dann hat der private Sektor seither insgesamt 80 000 Stellen abgebaut, während der öffentliche Sektor gleichzeitig 200 000 Stellen geschaffen hat. So arbeiteten im vergangenen Jahr bereits 23 Prozent der Beschäftigten für den Staat, während es 1990 noch 18 Prozent waren.

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Zum eigentlichen Beschäftigungsmotor hat sich dabei vor allem das Gesundheits- und Sozialwesen entwickelt. Dort wurden seit Beginn der neunziger Jahre 138 000 neue Vollzeitstellen geschaffen, wobei der allergrösste Zuwachs auf das Konto von Heimen (Alters-, Pflegeheime etc.) geht. Das Gesundheits- und Sozialwesen machte in den neunziger Jahren 80 Prozent und im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts 60 Prozent des gesamten Beschäftigungswachstums im öffentlichen Sektor aus. Doch auch Erziehung und Unterricht (+51 000 Stellen) und die öffentliche Verwaltung (+27 000 Stellen) haben entscheidend dazu beigetragen, dass in der Schweiz nach wie vor praktisch Vollbeschäftigung herrscht. Keine neuen Stellen sind hingegen in den meisten Branchen des privaten Sektors entstanden. Dort wurde die Zahl der Stellen vielerorts gar reduziert, und selbst der sonst so erfolgreiche Finanzsektor hat seit Beginn der neunziger Jahre netto keine Stellen mehr geschaffen.

Aus dieser Entwicklung über die letzten 20 Jahre ergibt sich eine wichtige Schlussfolgerung: Wir müssen uns die Idee abschminken, dass die erfolgreichen Branchen, die wesentlich zum Wachstum des BIP beitragen, auch diejenigen sind, die Arbeitsplätze schaffen. Ganz im Gegenteil: Branchen mit hoher Arbeitsproduktivität, wie Banken und Versicherungen oder die Pharmaindustrie, sorgen in erster Linie dafür, dass die Wertschöpfung und damit das BIP weiter wachsen. Für die Beschäftigung sorgen hingegen im klassischen Sinne wenig produktive, häufig vom Staat erbrachte Dienstleistungen. Diese Kombination von Staat und Wirtschaft funktioniert in der Schweiz ausgezeichnet und trägt wesentlich dazu bei, dass wir im Unterschied zu vielen anderen Ländern sowohl ein Wachstum pro Kopf der Bevölkerung als auch Vollbeschäftigung haben.

Die zu beobachtende relative Zunahme der Beschäftigung in staatlichen und halbstaatlichen Branchen ist somit kein Grund zur Beunruhigung, solange die private Wirtschaft erfolgreich ist. Das marktgetriebene Wachstum des BIP braucht ein teilweise staatsgetriebenes Wachstum der Beschäftigung in Bereichen wie Gesundheit und Bildung. Nur so gelingt es, eine für das Wachstum pro Kopf notwendige Steigerung der Arbeitsproduktivität in der privaten Wirtschaft mit Vollbeschäftigung unter einen Hut zu bringen.

Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz.