Die Schweiz ist ein föderalistisches und pluralistisches Land. Das spiegelt sich auch in den Prognosen zur Schweizer Wirtschaftsentwicklung. Unterschiedlichste Organisationen von der Konjukturforschungsstelle der ETH (KOF) über die Grossbanken bis zur Nationalbank geben regelmässig ihre Voraussagen zur Entwicklung der hiesigen Wirtschaft bekannt. Klar, dass dabei die verschiedenen Landesteile berücksichtigt werden.

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Dafür, dass im Gesamtbild auch die Zukunftserwartungen der Romandie vertreten sind, ist das Institut Créa der Universität Lausanne zuständig. Das Créa fällt seit Jahren dadurch auf, dass es jeweils rabenschwarze BIP-Prognosen liefert – die sich dann allerdings, zum Glück, nie bewahrheiten. Für die Jahre 2010 und 2011 beispielsweise lauteten die Voraussagen des Lausanner Instituts 0 und 0,7 Prozent. Die tatsächlichen Wachstumsraten betrugen dann aber 2,7 und 1,9 Prozent. Auch für das Jahr 2012 lieferte das Créa mit minus 0,4 Prozent die mit Abstand negativste Prognose – und vermutlich auch die mit Abstand falscheste.

Allerdings sollten wir diesen Westschweizer Pessimismus nicht unbedingt negativ beurteilen, selbst wenn er sich in letzter Zeit stets als wirklichkeitsfremd herausgestellt hat. Denn entgegen den allgemeinen Annahmen dienen Prognosen nicht in erster Linie dazu, möglichst genaue Voraussagen über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung zu liefern. Das kann man auch mit den ausgeklügeltsten Computermodellen nicht bewerkstelligen. Die Nationalbank selbst hat vor Jahren in einer – aus eigenem Interesse wenig propagierten –Studie herausgefunden, dass alle Prognosen, die über einen Zeitraum von einem Jahr hinausgehen, keine relevanten Informationen enthalten. Das heisst: Die Prognosen sind im Durchschnitt nicht besser oder schlechter, als wenn man einfach die gegenwärtige Wachstumsrate als Prognose für die zukünftige Wachstumsrate verwenden würde.

Wozu dienen Prognosen dann aber? Viele Unternehmen, Institutionen, aber auch Politiker und andere Meinungsmacher brauchen eine Basis, um Strategien, Konzepte und Massnahmen für die Zukunft zu formulieren. Sie benötigen Zahlen über die zukünftige Wirtschaftsentwicklung. Und genau diese liefern ihnen die professionellen Prognostiker. Allerdings möchten nicht alle dieselbe Prognose haben, denn es gibt unterschiedliche Interessen. Wenn zum Beispiel Repräsentanten gewisser Exportindustrien fordern, die Nationalbank solle weitere Massnahmen zur Schwächung des Frankens ergreifen, dann haben sie gerne eine pessimistische Zukunftsprognose, um ihre Forderung zu unterstützen. Wenn anderseits ausländische Investoren angelockt werden sollen, dann sind optimistische Prognosen gefragt, um die Erfolgsaussichten von Investitionen zu untermauern.

Aus diesem Grund ist es sinnvoll, dass in der Schweiz die ganze Palette von Prognosen angeboten wird – von optimistischen bis zu pessimistischen. So kann sich jeder diejenigen Zahlen aussuchen, die gerade am besten ins Konzept passen. Das Créa hat sich nun einfach auf das Segment der Pessimisten spezialisiert und diese in den letzten Jahren zuverlässig mit den entsprechenden Prognosen bedient. Allerdings wäre es ratsam, diese Rolle wieder einmal einem anderen Prognoseinstitut zu überlassen. Sonst könnte die eigene Glaubwürdigkeit längerfristig Schaden nehmen.

Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz.