Aufgrund der Masseneinwanderungsinitiative der SVP, über die wir am 9. Februar abstimmen werden, sind Statistiken zur Einwanderung im Moment en vogue. Ein Aspekt, der den Befürwortern der Personenfreizügigkeit dabei viel Freude bereitet, ist die auf dem Papier stets zunehmende Qualifikation der aus Europa zugewanderten Erwerbstätigen. Während zwischen 1986 und 1994 nur 20 Prozent einen akademischen Abschluss oder eine höhere Berufsbildung hatten, waren es zwischen 2002 und 2011 bereits 53 Prozent. Solche Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu geniessen. Ein wesentlicher Teil dieser Zunahme kommt dadurch zustande, dass immer mehr Ausbildungen verakademisiert wurden. Wenn in einem Land wie Finnland fast 95 Prozent die Matura machen, dann ist nachher praktisch jeder finnische Einwanderer «hoch qualifiziert».
Doch gehen wir einmal davon aus, dass die Qualifikation tatsächlich immer mehr ansteigt. In diesem Fall bringen Einwanderer im Schnitt einen immer grösseren Rucksack an Humankapital mit, den wir hier dann quasi gratis nutzen können. So schreibt Daniel Müller-Jentsch von der Denkfabrik Avenir Suisse in der «NZZ am Sonntag» vom 6. Dezember: «Die Schweiz spart durch den Import von Humankapital enorme Bildungsausgaben. Es wandern jährlich etwa so viele Personen mit höherer Bildung ein, wie sie das Schweizer Bildungssystem selbst produziert. Allein die etwa 3500 deutschen Ärzte (…) ersparten der Schweiz Ausbildungskosten von drei Milliarden Franken.» Im Klartext heisst dies: Je besser die Einwanderer qualifiziert sind, umso mehr Ausbildungskosten sparen wir in der Schweiz. Also eine Win-win Situation?
Wohl kaum. In Wirklichkeit ist die eben beschriebene Entwicklung höchst gefährlich. Wir können das Argument ja einfach noch weiterdenken. Warum sollen wir denn in der Schweiz überhaupt noch teure Ausbildungen durchführen, wo wir doch so leicht Ärzte und Ingenieure aus dem Ausland bekommen? So könnten wir noch viel mehr Geld sparen, wenn wir uns in der Schweiz auf kostengünstige und einfache Ausbildungs- und Studiengänge konzentrierten. Den Rest des Humankapitals importieren wir dann aus Ländern, die dieses günstiger und besser produzieren. Unser Wohlstand würde dadurch noch grösser, da die eingesparten Ausbildungsgelder jetzt für andere Zwecke zur Verfügung stünden.
Eine solche Tendenz zeichnet sich im medizinischen Bereich oder an Universitäten bereits ab. Die Schweiz gleicht immer mehr einem Fussballclub wie Real Madrid, der sich einfach die besten Spieler weltweit zusammenkauft und nicht mehr auf den eigenen Nachwuchs vertraut. Schweizerinnen und Schweizer werden zunehmend als bornierte Hinterwäldler betrachtet, die für anspruchsvolle Positionen im globalen Umfeld nicht zu gebrauchen sind. Die wirklich bedeutenden CEOs, Ärzte und Professoren kommen heute aus dem Ausland. Für die Schweizer bleibt in erster Linie der Arbeitgeber Staat, der den durch Ausländer erwirtschafteten Wohlstand verwaltet und verteilt. So werden wir zu einem Land von Humankapitalzwergen, die immer weniger in der Lage sind, selbst Werte zu schaffen. Sparen von Bildungsausgaben durch Humankapitalimporte ist ein Schuss, der längerfristig nach hinten losgeht.
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz.