Kaum war die Masseneinwanderungs-Initiative angenommen, schüttelte die Economic-Research-Abteilung der Credit Suisse schon ein Papier aus dem Ärmel, das die negativen Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft aufzeigen sollte. Die am 14. Februar publizierte Studie mit dem Titel «Hoher Preis für die Einschränkung der Zuwanderung» prognostiziert Folgendes: Über die nächsten drei Jahre dürften in der Schweiz rund 80 000 Arbeitsplätze weniger geschaffen werden. Dies würde dann zu einer Nettoreduktion der Zuwanderung von 50 000 bis 70 000 Personen im Jahr 2015 führen. Dadurch ergäbe sich schliesslich ein um 0,3 Prozentpunkte tieferes reales Wirtschaftswachstum im Vergleich zu den bisherigen Prognosen der Credit Suisse.
Den Analysten der Credit Suisse ist bei dieser Berechnung wohl entgangen, dass sie in Wirklichkeit eine Verbesserung des Wohlstandsniveaus abgeschätzt haben. Wenn netto 50 000 bis 70 000 Menschen weniger einwandern und dies einen Rückgang des realen Bruttoinlandprodukts (BIP) um 0,3 Prozentpunkte bewirkt, dann erhöht sich dadurch das reale BIP pro Kopf um 0,3 bis 0,5 Prozent. Und das ist die für den materiellen Wohlstand entscheidende Wachstumsrate. Diese 0,3 bis 0,5 Prozent Wachstum pro Kopf wären auch eine erhebliche Verbesserung gegenüber dem Wachstum pro Kopf seit dem Jahr 2007, als die volle Personenfreizügigkeit mit den alten EU-Staaten eingeführt wurde. Zwar wuchs das BIP von 2007 bis 2012 real um 5,9 Prozent, doch die Wohnbevölkerung erhöhte sich gleichzeitig um 5,7 Prozent, sodass das reale BIP pro Kopf nur um 0,2 Prozentpunkte zulegte. Pro Jahr ergibt sich daraus eine Wachstumsrate im Promillebereich, die sich kaum noch von null unterscheidet.
Der publizistische Schnellschuss der Economic-Research-Abteilung der Credit Suisse zeigt exemplarisch auf, dass es gefährlich ist, die BIP-Wachstumsrate als entscheidende Masszahl für negative oder positive Auswirkungen zu nehmen. Sinnvolle Aussagen lassen sich erst dann machen, wenn diese entsprechend relativiert wird. Im konkreten Fall heisst dies, dass auch das Bevölkerungswachstum berücksichtigt werden muss. Und schon verwandelt sich ein Minus (freiwillig geschätzte Auswirkung auf das BIP-Wachstum) in ein Plus (unfreiwillig geschätzte Auswirkung auf das BIP pro Kopf).
Doch letztlich geht es noch um wesentlich mehr. Im Mittelpunkt sollten die Präferenzen von den Menschen eines Landes stehen. Die entscheidende Frage stellt sich dann wie folgt: Wollen die Menschen tatsächlich noch mehr Wirtschaftswachstum, oder sind sie bereit, für mehr Lebensqualität auf etwas Wachstum zu verzichten?
Mit der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative haben sich die Stimmbürger an der Urne indirekt zugunsten der Lebensqualität entschieden. Eine Mehrheit ist der Meinung, dass lokale Überbevölkerung und der damit verbundene Stress auf Mensch und Umwelt nicht weiter zunehmen sollten. Lieber verzichten sie dafür auf etwas Wachstum, was ihnen in diesem Fall nicht schwer gefallen ist, da pro Kopf von diesem Wachstum kaum etwas übrig bleibt. Ein Wachstum, von dem man mehr Nachteile als Vorteile hat, ist letztlich nicht attraktiv.
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz.