Die Initiative Grundeinkommen aus Basel strebt eine Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen an. Grundeinkommen für alle? Bedingungslos? Was sich zunächst befremdend anhört, ist das Kernstück einer faszinierenden sozial-ökonomischen Vision für das 21. Jahrhundert. „Prisma“ unterhielt sich mit Daniel Häni, einem der Initianten.
In der Schweiz herrschte bis 2007 quasi Vollbeschäftigung, womit sie global ziemlich allein auf weiter Flur dastand. Gerade noch Neuseeland konnte bis zur Wirtschaftskrise ähnlich erfolgreiche Arbeitsmarktstatistiken vorweisen. Die Mehrheit aller Industriestaaten kämpft dagegen schon seit den späten 1970ern mit dem Phänomen der strukturellen Massenarbeitslosigkeit. Politiker aller Couleur fordern daher seit Jahren Wirtschaftswachstum um jeden Preis, obwohl es längst offensichtlich ist, dass der Arbeitsmarkt aufgrund der fortschreitenden Rationalisierung und Digitalisierung der wirtschaftlichen Leistungserbringung auch in Zukunft nicht die soziale Integration aller Menschen gewährleisten kann. Der emeritierte HSG-Professor Peter Ulrich stellt deshalb fest, dass das traditionelle Denken in BIP-Quantitäten die Entwicklung neuer, qualitativ besserer Organisationsmodelle behindert. Doch wie könnte solch ein Modell aussehen?
Der aus der Nähe von Bern stammende Unternehmer Daniel Häni führt seit fast zehn Jahren das «unternehmen mitte» in der Basler Innenstadt. Wo früher jahrzehntelang die Schweizerische Volksbank ihren Hauptsitz hatte, befinden sich heute ein Kaffeehaus mit über 1000 Gästen pro Tag sowie Raum für Kulturschaffende, Designer, Architekten und Theatermacher – ein Ort der Begegnung. Bemerkenswert ist: Im Kaffeehaus in der ehemaligen Schalterhalle gibt es keinen Konsumzwang, dennoch erzielt es jährlich etwa 3.5 Millionen Franken Umsatz. Häni setzt mit der Einladung zum bedingungslosen Verbleib in seinem Café also bereits im Kleinen erfolgreich um, wofür er sich im Grossen in der Öffentlichkeit engagiert. Das «unternehmen mitte» ist nämlich auch die Brutstätte der Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz, welche Häni vor vier Jahren zusammen mit dem Künstler Enno Schmidt gestartet hat. Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, zunächst die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens in der Schweiz bekannt zu machen, um schliesslich eine Volksinitiative zu dem Thema zu lancieren. Doch was ist eigentlich ein bedingungsloses Grundeinkommen genau? Das deutsche «Netzwerk Grundeinkommen» definiert: «Das Grundeinkommen ist ein Einkommen, das bedingungslos jedem Mitglied einer politischen Gemeinschaft gewährt wird.» Es stellt einen individuellen Rechtsanspruch dar, soll die Existenz sichern und die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, wird ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt und bedeutet, dass kein Zwang zur Erwerbsarbeit mehr besteht.
Für Häni ist das bedingungslose Grundeinkommen die erste positive Vision des 21. Jahrhunderts. Und wer es nicht gerade mit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schimdt hält («Wer Visionen hat, sollte zum Augenarzt»), dem wird rasch klar, dass da eine Idee am Reifen ist, die sich als ähnlich fundamentaler Paradigmenwechsel herausstellen könnte wie seinerzeit die Einführung des Frauenstimmrechts oder die Abschaffung der Sklaverei. Weil Einkommen nicht mehr als Bezahlung von Arbeit, sondern als Ermöglichung zu arbeiten verstanden werden soll, postuliert das bedingungslose Grundeinkommen im Grunde ein neues Freiheitsverständnis, nach dem jeder frei sein soll, auf eine traditionelle Erwerbstätigkeit zu verzichten, ohne dadurch in existenzielle Nöte zu geraten. Häni prophezeit als Konsequenz einen Boom kreativer und sozialer Impulse, für die in der heutigen Ordnung keine kaufkräftige Nachfrage besteht, und spricht in diesem Zusammenhang von «Sinnmaximierung» als oberstem Ziel allen Wirtschaftens.
Das bedingungslose Grundeinkommen als simplen Solidaritäts- oder Sozialhilfegedanken abzutun, ist allerdings eine Denkfalle, da so lediglich neuer Wein in alte Schläuche gegossen wird. Offensichtlich entwickelt es die Idee der sozialen Hilfe weiter, wendet sich aber andererseits auch von ihr ab. Denn ein bedingungsloses Grundeinkommen ist nicht Ausdruck einer Heilslehre und bedeutet «nicht Solidarität mit den sozial Schwächeren». Vielmehr will es die individuelle Eigenverantwortung stärken, Lösungen durch die Menschen ermöglichen und, mit Enno Schmidt gesprochen, «jeden zum Unternehmer seiner eigenen Biografie machen».
- 60% Ja
- 30% Ja, aber Teilzeit oder neue Stelle
- 10% erst mal ausschlafen
Glauben Sie, dass andere noch arbeiten würden?
- 80 % Nein
Besteht denn nicht die Gefahr, dass viele Menschen gar nicht mehr arbeiten? Weil der Arbeitnehmer leichter als zuvor auf ein Arbeitsangebot verzichten kann, würde sich der Arbeitsmarkt erst durch ein bedingungsloses Grundeinkommen zu einem richtigen Markt hin verändern, in dem beide Parteien sich annähernd auf Augenhöhe begegnen. Wie der Unternehmer Häni erklärt, «müssen die Unternehmen dann mehr darauf schauen, warum die Menschen bei ihnen arbeiten wollen, wenn diese weniger dazu gezwungen wären». Eine von den Initianten durchgeführte Umfrage deutet nicht darauf hin, dass viele Menschen ihre Erwerbstätigkeit schnurstracks einstellen würden (siehe Box), zumal ein Grundeinkommen nur einen Basisbetrag für ein gesellschaftswürdiges Leben garantiert, welcher in der Schweiz zwischen 2000 und 2500 Franken liegen könnte, und der darüber hinausgehende Lebensbedarf nach wie vor erworben werden muss.
Und wer macht dann unsere «Drecksarbeit»? Diese Frage stellte sich schon öfters in der Geschichte, beispielsweise erhoben weisse Baumwollplantagenbesitzer in den amerikanischen Südstaaten diesen Einwand, als die Abschaffung der Sklaverei in den USA diskutiert wurde, und Schweizer Medien stellten vor der Einführung des Frauenstimmrechts die Frage, ob nicht das soziale Gefüge in Gefahr gerate. Häni nennt drei praktikable Lösungsvarianten: Erstens könne man Arbeiten mit heute geringem Prestige besser bezahlen und bessere Arbeitsbedingungen schaffen, sodass die Arbeit attraktiver wird. Zweitens könne man sie teilweise automatisieren und wegrationalisieren, und drittens könne man das, wofür man meint, andere zwingen zu müssen, auch selber machen.
Selbst wenn die Menschen grösstenteils wie zuvor weiterarbeiten: Ist ein solches Einkommen für alle überhaupt finanzierbar? Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst verstehen, dass das bedingungslose Grundeinkommen bloss einen Teil der bestehenden Einkommen ersetzt (jeder und jede hat ja heute bereits ein Einkommen, sonst könnte er gar nicht leben). Es handelt sich nicht um mehr Geld. Nur wer heute weniger hat, würde finanziell besser gestellt. Die Frage ist bloss, wie die Transferzahlung des Grundeinkommens organisiert wird. Dafür schlagen die Basler Initianten um Daniel Häni vornehmlich eine Besteuerung des Konsums vor. Weil dies die zukünftige Steuer sei, «die gerechte Steuer, für den fairen, auch globalen Handel».
Die Finanzierbarkeit eines Grundeinkommens ist unter Ökonomen umstritten, wie der Autor dieses Artikels bei einem Gespräch mit dem HSG-Ökonomen Jörg Baumberger erfahren konnte. Und doch hat beispielsweise die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung, die der CDU nahe steht, verschiedene Szenarien durchgerechnet und die Finanzierbarkeit bestätigt. Neben den ökonomischen Argumenten erläutert Häni auch die grössere sozialphilosophische Dimension der konsumorientierten Besteuerung. Wir sehen uns heute einer arbeitsteiligen Wirtschaft gegenüber, in der wir nicht mehr das konsumieren, was wir selber hergestellt haben, sondern von der Leistungserbringung anderer leben. Dieser Tatsache trägt die Mehrwertsteuer Rechnung, weshalb sie auch als Steuer der Fremdversorgung bezeichnet werden kann. Als ob wir uns immer noch selber versorgen würden, bemisst sich die Einkommenssteuer jedoch anhand der individuellen Leistung, hemmt diese dadurch und gehört deshalb in einer arbeitsteiligen Wirtschaft im Grunde entsorgt.
- 40% durch Erwerbstätigkeit
- 30% durch Angehörige
- 20% durch Rente
- 10% durch Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe
bereits heute leben ca. 60% der Deutschen von Transfers
Es gibt also gute Gründe, diese Initiative zu beachten. Es gilt, alte Denkmuster aufzubrechen, wonach nur der etwas Gutes tut, der Erwerbsarbeit leistet, und wonach sich Wirtschaft als Selbstzweck versteht. Wie schon erwähnt, gewährt das bedingungslose Grundeinkommen jedem Bürger eine nie da gewesene Freiheit, eigenverantwortlich das zu tun, was er für richtig hält. Damit korrekt umzugehen, wird der kritische Erfolgsfaktor auf dem Weg zu einer Realisierung sein. Erste Feldversuche in Namibia, Brasilien und zu Zeiten Milton Friedmans auch in den USA lieferten bereits vielversprechende Resultate. Das bedingungslose Grundeinkommen hat das Potenzial, zum nächsten grossen Meilenstein in der Geschichte individueller Freiheit zu werden.
Darüber hinaus könnt ihr auf Facebook ein Fan der Initiative werden. www.facebook.com/bedingungsloses.grundeinkommen