Die Frage, ob wir als Architekten den Entwurf und die Planung nicht vermissen, wird uns häufig gestellt …», so beginnen Nils Becker und Tobias Lutz das Gespräch. Die Frage ist berechtigt, denn was die beiden mit der von ihnen gegründeten Architonic machen, hat auf den ersten Blick nichts mehr mit dem klassischen Berufsbild des Architekten zu tun. Dennoch, so die beiden ETH-Absolventen, sei ihr Metier die Architektur. Sie entwerfen und planen, doch die Ergebnisse sind nicht zwingend Gebäude.

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Der Entschluss, nach dem Studium den vielen Studienkollegen nicht in die Architekturbüros in aller Welt zu folgen, fiel bereits nach wenigen Monaten, in denen sie erste Erfahrungen mit Wettbewerben und kleinen Projekten gesammelt hatten. «Damals wurde uns bewusst, wie zeitaufwändig es ist, die richtigen Informationen über Produkte und Materialien für ein Bauprojekt zu bekommen. Wenn wir uns etwa einen schnellen Überblick über die besten auf dem Markt angebotenen Wandleuchten verschaffen wollten, war das praktisch unmöglich, oder es hat tagelange Recherche erfordert», sagt Becker.

Mit dem Ziel, dieses Problem zu lösen, gründeten die frischgebackenen Architekten kurz vor Ende des New-Economy-Goldrausches mit drei Kollegen ihre erste Firma: eine Internetplattform für Produktrecherche. «Unsere erste Firma war für uns eine Art empirischer MBA im kalten Wasser …» Mit diesen Worten blicken Lutz und Becker selbstkritisch auf die Jahre 2000 bis 2002 zurück. «Wir haben innert zwei Jahren den ganzen Zyklus miterlebt, vom boomartigen Aufbau bis zur Rückkehr auf den Boden der tatsächlich erzielbaren Umsätze.»

Aus den Erkenntnissen dieser Zeit zog das Duo im Herbst 2002 die Konsequenzen und stieg aus der Firma aus. Sie entschlossen sich aber, selbstständig zu bleiben. «Die Selbstständigkeit ist für uns der beste Rahmen, unsere Ideen und die gesammelten Erfahrungen zusammen mit Menschen, mit denen wir gerne arbeiten und am produktivsten sind, umzusetzen.» Also nutzten sie ihre grössten Werte: die Erfahrungen und den guten Ruf in der Branche, um Anfang 2003 mit der neuen Firma Architonic wieder auf den Markt zu treten. Mit dieser kamen die beiden Deutschen zurück nach Zürich. «Dies, weil wir die Nähe zur ETH aktiv nutzen wollten und Zürich für eine der kreativsten Städte für Architektur, Design und Kunst halten», so Lutz.

Das Augenmerk bei der Gründung galt diesmal neben der Finanzierung hauptsächlich der Zusammensetzung des Gründerteams. «Dass uns als Architekten-Unternehmern trotz vielseitiger Ausbildung an der ETH auch Kompetenzen fehlen, war uns immer klar …» So wurden die Kompetenzen für das Unternehmen durch die gezielte Auswahl der Mitgründer erweitert. «Unser Kernteam als Mitgründer am Unternehmen zu beteiligen, war eine wichtige strategische Entscheidung für uns. So können wir Kompetenzen langfristig in das Unternehmen einbinden, um einen kontinuierlichen Aufbau zu ermöglichen», unterstreicht Tobias Lutz. Einige der Mitgründer haben bereits lange Berufserfahrung mit ihrem eigenen Unternehmen, das sie auch weiterhin führen. Andere arbeiten 100 Prozent für Architonic. «So können wir projektspezifisch optimale Teams bilden, bleiben aber kostenmässig flexibel. Diese Struktur hat auch ermöglicht, dass wir von Anfang an anspruchsvolle Projekte verwirklichen konnten.» Das Kernteam setzt sich aus einem Unternehmensberater, zwei Informatikern, einer Kommunikationsexpertin, einem Grafiker und einer Materialexpertin zusammen.

Doch was macht nun eigentlich Architonic genau, oder womit verdient das Unternehmen Geld? «Wir entwickeln Projekte und neue Strategien für Unternehmen, um deren Marke und Produkte innerhalb der Zielgruppe der Architekten, Innenarchitekten und Fachplaner effizienter zu positionieren.» Architonic hat hierfür zwei unterschiedliche, sich aber ergänzende Bereiche aufgebaut: erstens die internationale Architektur- und Designplattform www.architonic.com, auf der über 20 000 unabhängig ausgewählte Produkte und Materialien von 900 Anbietern recherchiert werden kann. Monatlich 100 000 Fachbesucher nutzen die Plattform bereits heute.

Zweitens entwickelt Architonic Strategien und Projekte für die Industrie. Das Ziel ist auch hier, die Produktinnovationen und Kompetenzen der Industrie zu den richtigen Architekten zu bringen, und das in der richtigen «Sprache». «Unsere Kompetenz ist es, die unterschiedlichen Phasen des ganzen architektonischen Informations-, Entwurfs- und Kommunikationsprozesses einzubeziehen. Denn am Anfang des Entwurfsprozesses benötige ich als Architekt ganz andere Informationen als am Ende in der Ausführungsphase», erklärt Nils Becker. So entwickelt Architonic für die Kunden nicht nur spezifische Kommunikationsmittel. Den meisten Firmen fehlen die richtigen Inhalte und Themen, um sich glaubwürdig im Architekturmarkt zu positionieren. Architonic entwickelt und implementiert sie dann über Ausstellungen, Publikationen, Vorträge und die Fachpresse in der internationalen Architekturszene.

Das Architonic-Team hat sich seit Beginn auf Hersteller des Premiumsegments konzentriert. «Nur in diesem Segment spielt der Architekt als Meinungsbilder und Bauherrenberater im Entscheidungsprozess eine so grosse Rolle, dass sich entsprechende Investitionen in die Bearbeitung des Marktes für Hersteller auch lohnen.»

Dass es Architonic bei den Kunden nicht nur um die Aussenwirkung einer Neupositionierung geht, betont Becker: «Der Erfolg eines Projektes hängt massgeblich von den in den Unternehmen involvierten Personen ab. Aus diesem Grund ist unsere Beratung auch nach innen in die Unternehmen orientiert. Wir möchten, dass alle – bis zu den Aussendienstmitarbeitern – verstehen, wie Architekten denken und was die relevanten Themen sind.»

Dabei scheuen sich die Architonic-Gründer nicht, völlig neue Wege zu gehen. So hat das Unternehmen für den renommierten deutschen Armaturenhersteller Dornbracht in Kooperation mit der ETH Zürich am Lehrstuhl von Marc Angélil im Rahmen eines Research-Studios die Zukunft des Bades untersucht. Sieben Studierende haben ein Semester lang die Wirkung von sich ändernden Alltagsritualen auf den architektonischen Raum des Badezimmers erforscht.

Ein Architonic-Research-Studio zum Thema Hotel der Zukunft wurde mit der Willisauer Wellis AG durchgeführt. Weitere sind bereits in Planung.

Ein dritter Unternehmensbereich von Architonic setzt die Kenntnisse über die Informationsbedürfnisse der Zielgruppen und die langjährige technische Erfahrung der beiden Architonic-Informatiker Dieter Schumann und Thomas Navello in branchenspezifische Plattform- und Datenbanklösungen um. «Unsere Zielgruppen sind trainiert, visuell sehr schnell Dinge zu erfassen. Was nicht richtig dargestellt ist, wird falsch oder gar nicht wahrgenommen.» Ziel ist es, die Datenbank und das Datenmodell, das Architonic für www.architonic.com gebaut hat, zu einem Branchenstandard zu entwickeln. Seit der Lancierung im Sommer 2004 haben sich schon 18 Fachhändler und Agenten aus der Schweiz für diese Lösung entschieden.

Für Nils Becker und Tobias Lutz ist klar, dass sich das klassische Berufsbild des Architekten je länger, je mehr weiterentwickeln und erweitern wird. Im Zentrum wird aber immer die Architektur stehen, unterstreichen die beiden: «Als Architekten haben wir primär das Entwickeln von Entwurfsstrategien gelernt, mit denen wir komplexe Systeme organisieren können. Wir versuchen, mit unseren Innovationsprozessen und Entwurfsszenarien kreative Lösungen für unsere Kunden zu entwickeln. Auch wenn es sich dabei meistens nicht um Zeichnungen und Modelle handelt, sondern um das Zusammenführen von kulturellen, ökonomischen und technischen Entwicklungen im Kontext architektonischer Fragen», erklärt Tobias Lutz.

Für die Zukunft sehen beide eine interessante Entwicklungsmöglichkeit auch wieder in Richtung gebaute Architektur: «Es liegt eigentlich nahe, dass es unter gewissen Voraussetzungen sehr interessant ist, Resultate aus einem der Architonic-Research-Studios konkret in gebaute Architektur umzusetzen. «Ein gerade gestartetes Projekt mit der BASF befasst sich beispielsweise mit neuen Materialien im Bauprozess.»

Als Nächstes wird das Informationsangebot von www.architonic.comweiter ausgebaut und durch neue Services ergänzt. «Vor allem aber werden wir die erprobten und in den Projekten mit der Industrie bereits bewährten Strategien, Kommunikationsmittel und IT-Lösungen für neue Kunden spezifizieren und weiterentwickeln.»

Architonic AG

Gegründet: Januar 2003

Umsatz: wird ab 2007 im Geschäftsbericht veröffentlicht

Mitarbeitende und Netzwerkpartner: 9

Geschäftsleitung: Nils Becker und Tobias Lutz

Verwaltungsrat: Der Verwaltungsrat ist im Ressortsystem zusammengesetzt (Marketing, Kommunikation, Finanzen).

Finanzierung: Grundkapital der Gründer, kein Fremdkapital

Geschäftsidee: Aufbau einer weltweiten und exklusiven Architektur- und Designplattform als Basis für zielgruppenspezifische Marketingdienstleistungen. Umsetzung des Netzwerkwissens und der Marktkenntnis in Beratungs- und Forschungsprojekte mit Industrieunternehmen und Universitäten.

Philosophie: Architects looking for the best in products, materials and concepts.