BILANZ: Sie haben die «Tequila-Krise» erlebt, den Börsencrash von 1987, die Russland-Krise, das Scheitern des Hedge Fund LTCM, das Platzen der New-Economy-Blase - und jetzt durchleben wir die Hypothekarkrise. Welche Krise war am spannendsten?

Oswald Grübel: Eindeutig der Crash von 1987. Weil es aufs Ende des Kalten Krieges zuging und eine Dynamik in der Weltwirtschaft war, die wir vorher nie gesehen hatten.

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Die Krise als Faszinosum?

__ Unbedingt. Ich war beim Börsencrash geschäftlich in Tokio und habe auf CNN gespannt den Börsencrash an der Wall Street verfolgt. Am nächsten Morgen haben wir sofort Strategien für den Handel entwickelt, um von der Situation zu profitieren.

Was lernt man aus Krisen?

__ Dass jede anders ist, dass es einen Auslöser braucht, dass der Zeitpunkt schlecht zu prognostizieren ist. Und dass einige Krisen gar keine richtigen Krisen sind. Zum Beispiel aktuell die sogenannte Finanzkrise.

Wir haben keine Finanzkrise?

__ Nein, es ist eher eine Reduktion der Liquidität im Gang. Alle Marktteilnehmer wussten, dass eines Tages eine Wertberichtigung eintreten würde. Seit 2003 wurde weltweit so viel Liquidität aufgebaut wie nie zuvor.

Weil die Zinsen tief waren?

__ Ja, und weil es beträchtliche Zinsdifferenzen gab, die man ausgenützt hat. Da wurden für Tausende von Milliarden japanische Yen und Schweizer Franken geborgt und gegen Dollars und andere Währungen mit hohen Zinsen getauscht - um von der Zinsdifferenz zu profitieren. Wenn alle der höheren Rendite nachrennen, steigt das Unfallrisiko.

Die Investoren sind also offenen Auges in die Krise geschlittert.

__ Klar. Nur hoffte jeder, seine Schäfchen rechtzeitig ins Trockene zu bringen.

Die Neubewertung der zweitklassigen Hypotheken in den USA hat der Gier einen Strich durch die Rechnung gemacht.

__ Sie unterminierte das Vertrauen und löste eine Kettenreaktion aus. Nur: Man wusste längst, dass die Risiken laufend stiegen. Das Subprime-Geschäft hatte sich seit 2004 weltweit verdoppelt. Wir reden von Hunderten von Milliarden Dollar, die in der ganzen Welt platziert wurden. Auch in der Schweiz, wie wir gelesen haben.

Viele Grossbanken mit Know-how

und Reputation sind milliardenschwer betroffen.

__ Zur Blase im amerikanischen Hypothekarmarkt baute sich parallel ein Private-Equity-Boom auf. Da Privatanleger und institutionelle Anleger wie Pensionskassen höhere Renditen suchten, war es für Private-Equity-Firmen einfach, an Frischgeld zu kommen. Das führte dazu, dass man bereits mit einem Kapitaleinschuss von 10, höchstens 20 Prozent ganze Industriekonzerne kaufen und die restlichen 80 bis 90 Prozent mit dem Kredit derselben Firmen im Markt finanzieren konnte. Manchmal hat man sie nach einem Jahr wieder an die Börse gebracht - und dabei Gewinne von 100 Prozent und mehr gemacht. Und nun haben die Leute gemerkt: Moment, es gibt im Hypothekarmarkt und im Private-Equity-Geschäft offenbar Risiken, für die sie nicht adäquat bezahlt werden.

Hat die Finanzkrise Auswirkungen auf die reale Wirtschaft?

__ Der US-Häusermarkt ist sehr wichtig für den Konsum: Das Wachstum in den USA könnte leicht gedämpft werden. Auf der andern Seite sind China und Indien Wachstumsmotoren.

Das heisst, die aktuelle Krise hätte vor zehn Jahren stärker auf die Realwirtschaft durchgeschlagen, weil die Globalisierung noch nicht so weit fortgeschritten war?

__ Zweifellos. Die Globalisierung federt einen Grossteil der Probleme der USA ab.

Wann wird die Vertrauenskrise unter den Anlegern ausgestanden sein?

__ Viele Anleger fragen sich derzeit, ob diese Aktie oder jenes Papier preislich richtig stehe. Dieser Klärungsprozess wird wohl noch bis zum Jahresende anhalten. Dann werden die Märkte stabilisiert sein und die Anleger wieder Vertrauen schöpfen. Eines ist klar: Es ist unglaublich viel Geld vorhanden, das angelegt werden muss.

Erstaunlich war doch, dass die Kurse der betroffenen Banken nicht eingebrochen sind. Die UBS hat trotz Milliardenabschreiber an Wert zugelegt.

__ Die Aktien vieler Banken lagen 20 Prozent unter dem Höchstkurs, einige waren noch schwächer - obwohl sie im grossen Stil Geld verdienen. Es war das klare Signal des Marktes: Wir trauen den Umständen nicht. Nach den Berichtigungen werden sich die Bankentitel relativ schnell wieder erholen. Anfang nächsten Jahres werden sie auf einen normalen Wachstumspfad zurückkehren.

Die CS ist von der aktuellen Krise kaum tangiert. Weshalb?

__ Es sind erst ein paar Jahre her, da war die CS mit einer Vertrauenskrise konfrontiert. Die Bank hat offenkundig daraus gelernt. Wir sahen bereits letztes Jahr, dass der US-Hypo-Markt völlig überhitzt ist, und waren deshalb vorsichtig - vielleicht vorsichtiger als andere.

Lange galt die UBS unter Marcel Ospel als risikoavers, die CS als aggressiv.

__ Es dauert lange, bis man die gute Reputation wieder aufgebaut hat. Wahr ist aber auch, dass wir die CS ab 2002 grundlegend umgebaut haben. Wir nahmen viele Managementwechsel vor und setzten das Konzept einer integrierten globalen Bank um. Weiter haben wir das Risikomanagement stark verbessert, indem wir es zentralisierten. Dadurch ist die Bank heute viel stabiler.

Sie waren massgeblich für die Neuausrichtung verantwortlich. Schwingt da auch eine gewisse Genugtuung mit?

__ Sie können davon ausgehen, dass ich diesen Frühling nicht zurückgetreten wäre, wenn ich nicht überzeugt gewesen wäre, dass die Bank auch in Zukunft gut bestehen kann.

Laufen Sie immer noch mit Ihrem Pager herum, um sich laufend über die Entwicklung an den Börsen zu informieren?

__ Alles, was ich gelernt habe, ist Banking, vom ersten Tag nach der Schule an war ich in der Branche. Mich hat immer die Wirtschaft interessiert. Und die Wirtschaft, das sind Märkte und Börsen und die Menschen, die darin handeln.

Und es blieb über all die Jahre immer spannend?

__ Und wie. Das Bankgeschäft hat sich enorm verändert. Als ich in den sechziger Jahren einstieg, hat sich zum Beispiel keiner für Rohstoffe interessiert. Heute, im Zuge der Globalisierung, gibt es kaum noch einen Markt, in den die Banken nicht involviert wären. Heute haben wir alleine in der Rohstoffabteilung Hunderte von Leuten beschäftigt. Vor ein paar Jahren war das unvorstellbar.

Mit jeder Krise und jeder Übertreibung erschallt der Ruf nach Regulierung und Staatseingriffen. Derzeit sollen die Hedge Funds an die Leine genommen werden.

__ Das Volumen der Hedge Funds ist innert ein paar Jahren von 500 Milliarden auf 2,5 Trillionen Dollar gewachsen. Mit der Hebelwirkung, die sie ausüben, haben sie eine enorme Bedeutung in der Weltwirtschaft gewonnen. Immer, wenn eine Industrie stark wächst und in der Weltwirtschaft plötzlich eine Rolle spielt, hört man diese Rufe.

Zu Recht?

__ Nicht immer. Es gibt keine Branche, die so stark reguliert ist wie die Finanzbranche. Eine Bank von der Grösse der Credit Suisse beschäftigt über 1000 Leute in den Legal- und Compliance-Abteilungen. Die CS ist in 60 Ländern vertreten - in jedem Land muss sie gegenüber dem Regulator Auskunft geben. Dazu steht sie dem Lead Regulator, der Eidgenössischen Bankenkommission, für sämtliche Fragen zur Verfügung.

Sie klagen über Überregulierung: Auch die Stempelsteuer ist ein permanentes Ärgernis der Branche.

__ Bevor die Schweiz im Jahr 1971 die Stempelsteuer einführte, wurde der Eurobond-Markt aus der Schweiz abgewickelt. Mit dem Stempel wanderte das Geschäft nach London. Der Eurobond-Markt hat den Finanzplatz London zu dem gemacht, was er heute ist. Der Stempel war also eine krasse Fehlentscheidung. Darum musste ich ja auch nach London gehen, wo ich 20 Jahre blieb. Der Stempel verteuert jedes Aktiengeschäft um ein Drittel gegenüber dem Ausland. Deshalb gehört der Stempel abgeschafft. Er schadet der Schweiz. Hingegen begrüsse ich, dass die Unternehmenssteuern gesenkt werden sollen. Das verstehen die Amerikaner besser: Steuersenkungen führen längerfristig zu höheren Steuereinnahmen und zu mehr Wachstum. Davon profitieren alle.

Sie verliessen 2001 die CS und zogen sich zeitweilig zurück. Ein Abgang im Frust?

__ Ich war damals in der Geschäftsleitung der Bank und führte das Private Banking, wo es uns gelang, den Gewinn innert kurzer Zeit zu verdoppeln. Ich war dann mit der künftigen Affluent-Strategie des CEO nicht einverstanden, weil mir damals niemand erklären konnte, wie sie funktionieren sollte. Also ging ich.

Andere hätten sich geduckt und nicht den wohldotierten Job aufs Spiel gesetzt.

__ Ich war damals rund 40 Jahre im Bankgeschäft und glaubte, ich verstünde einiges davon. Und wenn ich von etwas überzeugt bin, braucht es schon gute Argumente, um mich vom Gegenteil zu überzeugen.

Nach dem Abgang von Lukas Mühlemann kehrten Sie 2002 zurück, innert fünf Jahren brachten Sie die CS auf Vordermann. Was war entscheidend?

__ Die Affluent-Strategie hat uns unnötig Geld und Zeit gekostet, dazu kam der Marktzerfall von 2001. Doch die grösste Herausforderung war das Versicherungsgeschäft, das noch auf die Allfinanz-Strategie zurückging. Dieses Geschäft musste repariert werden.

Wie brachten Sie die Bank wieder in die Gänge?

__ Wenn eine Bank kein Geld verdient, verlieren die Kunden ihr Vertrauen. Je mehr Profit sie macht, je stärker sie kapitalisiert ist, desto grösser ist das Vertrauen. Also musste die Profitabilität sehr schnell wiederhergestellt werden. Schwieriger war es wie gesagt im Versicherungsgeschäft. Die Analysten schrieben damals, die Winterthur-Versicherung sei nichts mehr wert. Am Schluss haben wir sie für über zwölf Milliarden Franken verkauft.

Wie schafften Sie intern den Turnaround?

__ Indem ich unsere Angestellten davon zu überzeugen versuchte, dass wir auf dem richtigen Weg seien und dass wir auch Opfer bringen müssten. In den Jahren 2003 und 2004 haben wir die Kosten um eine Milliarde Franken gesenkt. Das ist auch für eine Grossbank ziemlich viel Geld. Das kann man nur, wenn man Glaubwürdigkeit hat. Und die kriegen Sie nur, wenn die Mitarbeiter überzeugt sind davon, dass der CEO weiss, was er sagt und was er tut. Das bedeutet auch, dass Sie alle Geschäftsabläufe kennen und nicht nur einer sind, der grosse Strategien wälzt.

Auch in den Medien hat die «Aktie Grübel» nach einigen Anlaufproblemen eine Hausse erfahren. Am Schluss war der bärbeissige CS-Chef unter Wirtschaftsjournalisten Kult.

__ Mir lag am Herzen, dass diese Firma wieder jenes Ansehen erreicht, das ihr gebührt. Am Anfang habe ich mich gelegentlich ungemein über all die vielen Dinge geärgert, die wir aufräumen mussten. Da hat man mir die Spannung schon angemerkt. Was mich wohl entspannter machte, war die Erfahrung, dass das Personal voll mitzog. Deshalb waren wir relativ schnell erfolgreich.

Sie haben in dieser Umbruchphase manche Kaderleute umgetopft oder rausgeschmissen. Das hat Ihnen den Vorwurf eingetragen, Sie hätten überall Grübel-Boys an die Schalthebel gesetzt.

__ Es ist einfacher in einer Geschäftsleitung, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die man sehr gut kennt. Vielleicht gibt es irgendwo draussen ja ein Genie, doch wenn man seine Persönlichkeit nicht kennt oder wenn diese Person die Branche oder die Bank nicht begreift, kann auch ein Genie nicht weiterhelfen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass mein Nachfolger als CEO, Brady Dougan, eine langjährige erfolgreiche Karriere bei der CS hinter sich hat.

Welche Funktion üben Sie heute in der Credit Suisse aus?

__ Ich habe einen kleinen Beratervertrag, bin aber nicht mehr fest angestellt. Dann habe ich noch ein Büro im CS-Hauptgebäude in Zürich.

Wer zahlt die Miete?

__ Ich. 70 000 Franken im Jahr.

Sie haben nicht von der Konzernleitung in den hoch dotierten CS-Verwaltungsrat gewechselt. Auch in externen Verwaltungsräten sind Sie nicht dabei. Weshalb?

__ Ein Übertritt in den CS-Verwaltungsrat wäre aus Gründen der Corporate Governance nicht opportun gewesen. Und: Als Geschäftsleitungsmitglied und Konzernchef habe ich in meinem Leben genügend VR-Sitzungen durchgemacht. Ich brauch das nicht mehr. Und wenn ich später doch einmal in einen VR ginge, dann höchstens in einer ganz anderen Branche. Derzeit bin ich aber vollauf beschäftigt.

Sie wollten mit Ihrem Austritt also bewusst einen Strich ziehen?

__ Richtig. Ich liebe klare Verhältnisse. Eines meiner Ziele war es, finanziell unabhängig zu werden. Das habe ich geschafft. Da gewöhnt man sich eine Eigenart an: Wer unabhängig ist, kann Nein sagen. Das gönn ich mir. Ich habe mich in den letzten 40 Jahren fast ausschliesslich um das Geschäft gekümmert, nun ist es Zeit, dass ich mich auch etwas um meine Interessen kümmere.

Golf spielen?

__ Sehr selten.

An Formel-1-Rennen gehen?

__ Ich interessiere mich für Märkte. Mir wurde angedichtet, ich sei ein Motorenfreak.

Sie wollten immerhin Motoreningenieur werden.

__ Ach, da wurde viel übertrieben, ich bin doch kein Schulbub mehr, der sich an roten Autos freut. Wir haben mit dem Sauber-Team einen Sponsorenvertrag abschlossen, weil uns Peter Sauber mit seiner Arbeit und seiner Überzeugungskraft beeindruckte und weil die Formel 1 eine breite Schicht von Leuten anspricht, die für eine globale Grossbank von Interesse sind. Wäre ein ausländisches Rennteam an uns gelangt, hätten wir Nein gesagt.

Sie haben eine makellose Karriere im Banking hingelegt, sind reich geworden. Schwingt auch etwas Stolz mit?

__ Es gab im Berufsleben tatsächlich Zeiten, in denen man ab und zu stolz sein durfte. Das mag ich nicht verleugnen.

Sie wuchsen bei Ihrer Grossmutter in Ostdeutschland auf.

__ Ja, die ersten zehn Jahre. 1954 floh ich in den Westen zu Verwandten und merkte damals, dass man unabhängig werden muss. Und ich habe die Lektion gelernt, dass man etwas tun muss, um etwas zu erreichen.

Ihre Eltern starben im Krieg, als Sie ein Jahr alt waren.

__ Ich habe Kinder stets beneidet, die mit ihren Eltern aufwachsen durften. Mir blieb das verwehrt. Wer Eltern hat, lebt mit dem Gefühl, es gebe eine starke Hand, wenn man fällt. Als Waisenkind fehlt diese Versicherung unter Umständen. Das mag ein Nachteil sein. Auf der anderen Seite lernt man schnell, auf den eigenen Beinen zu stehen und Selbstverantwortung zu übernehmen.

Was haben Sie daraus fürs Berufsleben mitgenommen?

__ Dass man mit Engagement viel erreichen kann. Dass jeder, der gesund ist, für seine Leistung verantwortlich ist und entsprechend entlöhnt werden sollte. Ich bewundere Leute, deren Hauptziel es ist, ein glückliches Leben zu führen, und die nicht unbedingt nach beruflichen Erfolgen streben.

Oswald J. Grübel

Der gebürtige Ostdeutsche, Jahrgang 1943, wuchs als Kriegswaise auf. Im Banking (Deutsche Bank, White Weld Securities, Kreditanstalt) legte er eine Bilderbuchkarriere hin. Ab 2002 teilte er sich die Führung der Credit Suisse mit dem Amerikaner John «The Knife» Mack, ab 2004 war Grübel allein verantwortlich. Er brachte die angeschlagene Bank auf den Wachstumspfad zurück, der Börsenwert stieg von 25 auf 100 Milliarden Franken.