In den letzten Wochen waren wir Zeugen, wie frei fallende Börsenkurse und beunruhigte Bankkunden die Überzeugungen unserer Regierungen änderten. Plötzlich wurden allen grossen Banken vom Staat Garantien gewährt, und die Zentralbanken übernahmen das Ausfallrisiko im Interbankenmarkt, um die gegenseitige Finanzierung wieder zum Laufen zu bringen. Die G7-Regierungen haben erkannt, dass sie das verlorene Vertrauen in die Banken, in den Finanzmarkt insgesamt und der Banken untereinander wiederherstellen müssen, um einem globalen Systemkollaps zuvorzukommen. Ein paar Staaten haben sich gar die Mehrheit oder grössere Beteiligungen an Banken gesichert.
Das Bankgeschäft wird sich grundlegend ändern, auch durch die Forderungen der Regierungen nach VR-Einsitz und Mitspracherecht bei der Entlöhnung. Das Volk jubelt, aufgepeitscht durch die Boulevardmedien, dass es überbezahlten Bankern an den Kragen geht.
Man muss allerdings in aller Fairness sagen, dass die Banker sich das selbst eingebrockt haben. Die Misere fing an, als sich die Banken untereinander nicht mehr vertrauten. Denn das Bankgeschäft war schon immer und wird auch künftig auf Vertrauen aufbauen, ausser die Staaten garantieren auf ewig alle Bankgeschäfte – was aber eher im Bereich der Fantasie liegt.
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass in der globalen Wirtschaft alle grossen Banken eng miteinander verflochten sind und somit Regierungen und deren Zentralbanken global handeln müssen, wenn eine grosse Bank Finanzierungs- oder Kapitalprobleme hat.
Es wird interessant sein, zu beobachten, welche Folgen die Massnahmen auf die Märkte und Banken haben werden. Und es drängen sich Fragen auf: Wird die wiedergefundene, vom Staat bereitgestellte Liquidität den alten Zustand wiederherstellen? Wird die Weltwirtschaft wieder wachsen? Wird die Kreditreduzierung weitergehen? Wird es eine Weltwirtschaftskrise geben? Haben die USA ihre globale Wirtschaftskredibilität verloren? Werden die Politiker die erworbenen Banken besser managen? Werden die Politiker auf die Kreditvergabe der Banken Einfluss nehmen? Werden die Staaten ihre Bankanteile wieder verkaufen können? Wer kontrolliert die Staatsbanken? Sind europäische Banken besser als die der USA?
Wird es auch in Zukunft zwei Schweizer Grossbanken geben? Werden die Investment Banker bald den gleichen Lohn wie andere tüchtige Banker erhalten? Wird der «Refloat» des Bankensystems inflationär sein? Ist unsere Wirtschaft im gleichen Zustand wie die von Japan 1990? Können wir uns eine noch viel höhere Staatsverschuldung leisten? Werden die Banken das verspielte Vertrauen zurückgewinnen? Wieso haben die Bankenaufsichten nichts bemerkt, und wie wollen sie eine Wiederholung verhindern? Werden wir künftig den Ratingagenturen glauben? Werden die Aktionäre ihre Verluste wettmachen? Werden die Aktionäre sich nun mehr darum kümmern, wen sie in den VR wählen? Werden Regierungen auch andere Industrien (etwa die Autoindustrie) unterstützen? Wie viel haben unsere Vorsorgesysteme verloren? Ist das der Anfang vom Ende des Kapitalismus? Und: Wann haben Sie letztmals Bilanz gemacht?
Es wird noch etwas dauern, bis das verloren gegangene Vertrauen in den Markt wiederhergestellt ist. Die Auswirkungen der 30- bis 40-prozentigen Marktkorrektur wird in der Wirtschaft spürbar sein. Wir mussten erfahren, dass mehr Transparenz die Märkte auch viel mehr beeinflusst und wir erst lernen müssen, damit besser umzugehen. Wir müssen uns heute fragen, ob es richtig ist, langfristige Anlagen oder Verbindlichkeiten von 10, 20 oder 30 Jahren, wie Hypotheken oder Anleihen, mit einem fiktiven Tageskurs zu bewerten und damit hohe Wertberichtigungen auszulösen. Der gesunde Menschenverstand sagt natürlich Nein, die Buchhaltungsregeln das Gegenteil.
Oswald J. Grübel arbeitete 40 Jahre für die Credit Suisse, zuletzt während fünf Jahren als Konzernchef. Anfang Mai 2007 trat er in den Ruhestand.