Wieder einmal ist Sommer, und gerade in dieser Zeit sollte gemäss Gottfried Benn das Schlimmste vermieden werden: «Nicht im Sommer sterben, wenn alles hell ist und die Erde für Spaten leicht.»

Dies wird Weltenlenkern und wirklich wichtigen Menschen oft gnadenlos verwehrt, wie wir im Falle von Nelson Mandela erfahren müssen. Auch Ariel Scharon befindet sich seit über sieben Jahren im Wachkoma, allerdings erlitt er seine Gehirnblutungen im Januar. Elektrische Entladungen seines Resthirns werden von Familie und Presse als Wunder gefeiert.

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Unlängst erörterten wir in einer von exzellentem Rotwein animierten Runde gesetzterer Herren diese Problematik, ebenso wie ein Wiedersehen in einer Dementenrunde, in der wir uns nicht mehr erkennen würden. Marcello meinte, dass er ein glückliches Leben hatte und er mit einem plötzlichen Ableben – «Sudden Death» lautet der medizinische Terminus – völlig einverstanden wäre. Diese Illusion musste ich ihm nehmen, schliesslich sassen wir in einem Restaurant, ich hätte als Anwesender mit Ausbildung sofort meine Reanimationsfähigkeiten einzusetzen, würde sein Herz massieren und dabei seine Rippen brechen – denn eine wirkungsvolle Herzmassage führt praktisch immer zu einer Serie von Rippenbrüchen. Und dann träfe schon die Reanimationstruppe ein, er würde dann im nahe gelegenen Spital an einer Beatmungsmaschine wieder aufwachen, eine verständnisvolle Pflegefachfrau würde ihm gut zureden.

Gegen diese Reanimationsreflexe und die davon lebende Industrie wachsen immer weniger Kräuter, da hilft im Akutfall keine Patientenverfügung und auch kein «Do not resuscitate»-Tattoo. Die Hersteller und Betreiber von flächendeckend aufgestellten Defibrillatoren kümmert auch die Statistik nicht, dass ausserhalb des Spitals Wiederbelebte nur in zwei bis fünf Prozent später das Krankenhaus lebend und ohne erheblichen Hirnschaden verlassen. Trotz Selbstbestimmungswunsch herrschen Ökonomie und die Reflexe vor, dass Leben grundsätzlich erhalten werden muss.

Das hatte sich keiner meiner Tischgenossen so richtig überlegt. Es beschäftigen sich ja auch nur wenige mit der einzigen sicheren Realität des Lebens, nämlich damit, dass es irgendwann zu Ende geht. Eine bedeutende amerikanische Krebsärztin wurde gefragt, was sie tun würde, wenn sie wüsste, dass sie nur noch eine Woche zu leben hätte: Als Hobbyarchäologin würde sie mit ihren Kindern und ihrem Mann noch Machu Picchu und Petra besuchen, meinte sie. Sie erlag mit 58 Jahren einem Sudden Death, ohne diese Orte gesehen zu haben.

Steve Jobs hat das möglicherweise besser gemacht. Im Juni 2005 sprach er an der Abschlussfeier der Stanford University. Ein Jahr zuvor war bei ihm Krebs der Bauchspeicheldrüse diagnostiziert worden, mittlere Überlebenszeit: sechs Monate. Jobs sagte: «Der Tod ist das Schicksal, das wir alle teilen. Niemand ist ihm je entronnen. Und so soll es auch sein: Denn der Tod ist die wohl mit Abstand beste Erfindung des Lebens. Er ist der Katalysator des Wandels. Er räumt das Alte weg, damit Platz für Neues geschaffen wird.» Und: «Bleib hungrig, bleib verrückt.» Er blieb es noch sechs Jahre.

Machen Sie diesen Sommer etwas besonders Verrücktes – solange Sie noch können.

Prof. Dr. med. Oswald Oelz war bis Ende Juli 2006 Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital Zürich. Der Bergsteiger und Buchautor liess sich mit 63 Jahren pensionieren.