Die Ersteigung von Achttausendern im Winter ist mit nichts zu vergleichen. Strapazen und Härte solcher Unternehmungen machen dieses Tun zur Königsdisziplin des ernsthaften Bergsteigens und des ultimativen selbst auferlegten Leidens. Die Temperaturen sinken bis minus 50 Grad Celsius, dazu geht der Wind bis ins innerste Mark. Wer einen der vierzehn Gipfel als Erster unter diesen extrem lebensfeindlichen Bedingungen bestiegen hat, dem gebührt ein Platz im Geschichtsbuch des Bergsteigens.

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Die Polen, motiviert durch die frühere Hoffnungslosigkeit in ihrem Land, sind die Erfinder und Meister dieser Disziplin. Mein Freund Krzysztof Wielicki, der als Erster den Mount Everest, den Kangchendzönga und den Lhotse im Winter bestieg, erzählte mir, wie er sich am Everest wegen der Stürme nur noch kriechend fortbewegen konnte. Trotzdem kehrt Wielicki immer wieder an diese Orte zurück.

Jetzt leitete Krzysztof mit 63 Jahren die polnische Expedition, welche die erste Winterbesteigung des 8051 Meter hohen Broad Peak schaffte: Am 5. März um 17 Uhr erreichten Maciej Berbeka, Tomasz Kowalski, Adam Bielecki und Artur Malek den ersehnten Gipfel. Für den 58-jährigen Berbeka war dies nach Manaslu und Cho Oyu die dritte Winter-Erstbesteigung eines Achttausenders. Das grosse Problem beim Broad Peak ist der lange Grat, der sich vom Vorgipfel noch ein bis mehrere Stunden zum Hauptgipfel hinzieht. Dort sind schon viele gescheitert oder umgekehrt. «Not summited», heisst das im Jargon. Die polnischen Summiteers von Anfang März versuchten sich ins Leben zurückzuquälen – doch Berbeka und Kowalski blieben auf 7900 Meter Höhe sitzen und werden seither vermisst.

Krzysztof sagte mir schon 1986 nach einer ähnlichen Tragödie: «Es ist schwierig zu sagen, was ich fühle und was ich gefühlt habe. Ich hoffe, du beurteilst meine Situation als Freund. Ich bin wie ein Tier. Ich habe einen Kollegen verloren, aber ich kann trotzdem nicht aufhören. Wer kann mich und ähnliche Leute verstehen?»

Einer, der ihn versteht, ist Tom Hornbein, früher Professor für Anästhesie in Seattle und Präsident der amerikanischen Anästhesisten. Ihm gelang vor 50 Jahren mit Willi Unsoeld die erste Überschreitung des Mount Everest. Das nach ihm benannte Hornbein-Couloir am Everest erinnert an diese Leistung. Tom und Willi erreichten den Gipfel um 18.15 Uhr bei Sonnenuntergang, die Nacht verbrachten sie auf 8600 Metern mit leeren Sauerstofftanks. «Überleben war kein bewusster Gedanke. Es gab nichts zu planen, nichts zu erzwingen, nichts zu tun als zittern vor Kälte. Wir warteten nur auf die Sonne. Als sie kam, hatten wir immer noch Meilen zu gehen. Doch wir waren wieder geboren.»

Einen Monat später wurden Tom und seine Freunde, darunter der jetzt 95-jährige Expeditionsleiter Norman Dyhrenfurth, von John F. Kennedy im Rose Garden des Weissen Hauses empfangen.

Der Grat zwischen einem finalen Sitzplatz in grosser Höhe und dem Rosengarten ist schmal – so schmal wie auch in Beresowskis London, beim Zittern auf Zypern, beim Resortbau in Andermatt oder beim Gewinn des Ski-Gesamtweltcups.

Prof. Dr. med. Oswald Oelz war bis Ende Juli 2006 Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital Zürich.Der Bergsteiger und Buchautor liess sich mit 63 Jahren pensionieren.