Damian brauchte eine neue Leber. 1983 bestiegen wir zusammen einen Siebentausender in Nepal, im Tiefland las er dabei wohl einen Clonorchis sinensis auf, eine Art Leberwurm, der Jahre später zur Entwicklung von Leberkrebs führte. Dies rief unseren gemeinsamen Freund Raimund Margreiter auf den Plan, der Innsbruck zu einem führenden Zentrum der Transplantationschirurgie gemacht hat. 1978 waren wir zusammen am Everest, widrige Umstände verhinderten Raimunds Gipfelgang. Darauf wandte er seine ganze – erhebliche – Energie wieder seinen Patienten und der Chirurgie zu. Margreiter brauchte wenig Schlaf, operierte Tag und Nacht. Er flog persönlich nach Zagreb, entnahm einem Spender die benötigte Leber und pflanzte sie Stunden später Damian ein. So hatte dieser noch eine gute Zeit, bis die Krebserkrankung zurückkehrte.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Für Raimund war «Work» immer gleichbedeutend mit «Life». Arbeit bedeutet für ihn Selbstverwirklichung und bestimmt den individuellen Rang und die Anerkennung der Lebensleistung. Das ist bei vielen Herzchirurgen, Notfallmedizinern und verwandten Charakteren so, die auch heute noch ungeachtet gewerkschaftlicher Arbeitszeitvorschriften operieren und handeln, wenn es nötig ist – und nicht nach Stundenplan.

Sonst aber hat die Idee der Work-Life Balance überhandgenommen. Ich halte dies für eine marxistische Kreation, die impliziert, dass Arbeit Last und Mühsal ist, nicht Erfüllung. Das traf im 19. Jahrhundert in den britischen Kohlegruben oder den Glarner Fabriken wohl zu. Heute aber ist in einer erfüllenden Tätigkeit – ob als Bergführer, Arzt oder Wirtschaftslenker – die Gestaltung von Umwelt und täglichem Sein das wirkliche Leben. Das sehen die Generationen X und Y nicht mehr so. Das alte Idealbild vom Arzt, der jahraus, jahrein für seine Patienten verfügbar ist, ist am Verblassen. Einst ging der Arzt nach Hause, wenn die Arbeit getan und die Patienten optimal versorgt waren. Heute regiert die Arbeitszeitregelung: Sie wurde von Ärztegewerkschaften, Hedonisten und einfühlsamen Politikern erstritten und hat durchaus ihr Gutes. Denn wie frisch ein Assistenzarzt am Ende eines 36-Stunden-Dienstes war, darf man sich fragen. Auch darf bezweifelt werden, dass ein erschöpfter Chirurg nach einer Nacht der Notoperationen am Morgen noch die besonnensten Entscheide fällte.

Als Nebenwirkung von Regulierung, Teilzeitarbeit und Frauenquote – auch wenn die Medizin ohne diese Faktoren sofort zusammenbrechen würde – ist die ärztliche Tätigkeit nun mehr und mehr fragmentiert. Zudem wird sie beliebig, sie kann delegiert und aufgeschoben werden. Ich schreibe das nicht nur als reaktionärer Alt-Mediziner, sondern zitiere Richard Altorfer, Redaktor des Standesblattes «Ars Medici». Er erwähnt in einem Artikel eine Patientin, die einen Knoten in der Brust bemerkte. Eine Gewebeprobe wurde entnommen. Als sich die Patientin einige Tage später nach dem Befund erkundigte, erfuhr sie, dass Frau Doktor gerade in den Ferien sei, aber sie habe ja in drei Wochen einen Termin. Drei Wochen der Angst!

Altorfer: «Es mag den Ärztinnen und Ärzten besser gehen – was ihnen gegönnt sei –, die medizinische Versorgung der Patienten jedoch verschlechtert sich.» Gut, gibt es immer noch Mediziner, für die Regulierungen kein Thema sind.

Prof. Dr. med. Oswald Oelz war bis Ende Juli 2006 Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital Zürich. Der Bergsteiger und Buchautor liess sich mit 63 Jahren pensionieren.