Im März 1972 residierten wir erstmals in Kathmandu im ersten Stock des Himalayan Inn, im Erdgeschoss die Wasserbüffel, die Toilette lief direkt in den Stall, Dusche gab es keine. Die Stadt darum herum voll dreckigen, staubigen, gemächlichen Lebens. Natürlich hätte es auch das luxuriöse Hotel de l’Annapurna gegeben, dieses war aber nur für Begüterte, und das waren wir nun wirklich nicht. Vom exklusiven Luxus eines Gasthofes Post in Lech konnten wir in den Skiwochen der fünfziger Jahre nur ehrfürchtig träumen, das war etwas für die holländische Königsfamilie. Später spazierten wir mit langen Haaren und Bärten am Hotel Imperial in Delhi vorbei und beschlossen, nach erfolgreicher Karriere hier abzusteigen.

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Vor einigen Tagen sass ich nun in der grünen Oase des Hotels Dwarika’s in Kathmandu, das inzwischen das «Annapurna» weit übertrifft. Ein seltener Ort der Ruhe in einer Stadt, die von Saison zu Saison mehr aus den Nähten platzt. Hunderttausende von Motorbikes sind in den letzten Monaten dazugekommen, eine stehende Armada an jeder Kreuzung, zehn Töffs breit und endlos lang. Die Stadt erstickt. Hier aber waren Ruhe, kühler Sancerre im Glas und gegrillte Tiger Prawns auf dem Teller. Luxus pur, so wie ich ihn inzwischen auch im Gasthof Post und im Hotel Imperial geniessen durfte.

In acht Tagesetappen war ich um den 8163 Meter hohen Manaslu gelaufen, meine lokale Agentin hatte mich gewarnt, das sei unmöglich, so schnell gehe das nicht. Dann ging es doch, mit zwei jungen, kräftigen Trägern, jeden Tag über acht Stunden Laufen, «rough and highly demanding». Am Morgen Müesli, am Abend Fried Rice, die Pritschen in den Teehäusern wanzenfrei, aber hart. Die Szenerie eines der schönsten Achttausender ist noch immer grandios, wenn sich auch die Unkultur des Hässlichen auf den Wegen breitmacht: Leere Red-Pig-Dosen liegen allerorten, Wellblech deckt die Hütten, und der Hosenbund schliesst ums Schambein. Kathmandu kriecht in die Berge, aber ganz oben, am höchsten Punkt meines Weges, wehen nur noch Gebetsfahnen.

Wieder zurück, bin ich glücklich über den schönen Luxus. Natürlich könnte ich heute auch in Zürich täglich Weisswein und Prawns haben, aber das wäre zu einfach. Wer den goldenen Löffel zu regelmässig benützt, geniesst ihn nicht mehr, am Schluss erhängt er sich in einem einsamen Pariser Hotelzimmer. Dabei wäre es einfach: Der Balleron-Salat der «Kronenhalle» mit dem frisch Gezapften schmeckt eigentlich nur nach einer Seeüberquerung oder -umrundung wirklich gut. Die Begierde danach wächst in der Entbehrung, wie bei der Lust und der Liebe: «Und so taumle ich von Begierde zu Genuss. Und im Genuss verschmacht ich nach Begierde», wusste ja schon Faust.

Ob erlitten oder nicht, wir dürfen uns am schönen Luxus freuen, ob Mozart, Hodler oder «Baur au Lac». Das feine Tuch und die sehr teure Uhr aus dem Vallée de Joux schaffen Beschäftigung und erhalten stolze Handwerkstraditionen, sie sind Bollwerk gegen die Unkultur des Hässlichen. Auch unsere sogenannte Luxusmedizin schafft Lebensjahre und Qualität. Und selbst die chirurgische plastische Konstruktion von ausserirdischen Maskengesichtern dient der Vollbeschäftigung, wenn auch nicht unbedingt dem Unhässlichen.

Prof. Dr. med. Oswald Oelz war bis Ende Juli 2006 Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital Zürich. Der Bergsteiger und Buchautor liess sich mit 63 Jahren pensionieren.