Am 18. Februar 1943 hielt Joseph Goebbels seine Sportpalastrede und forderte den totalen Krieg. Die Anhänger und Nutzniesser des Regimes schrien enthusiastisch Beifall. Gedanken an eine andere Art des totalen Kriegs kamen in mir auf, als die Schlusserklärungen des Erdgipfels von Rio ruchbar wurden. China versprach einen Ablasshandelsbeitrag von 35 Millionen Dollar für Umweltschutz in Entwicklungsländern und betonte wie die USA das Primat von Wirtschaft und Wachstum über den Umweltschutz. Die Erdölkonzerne jubelten, Putin schaffte sogleich das Umweltministerium ab. Und wir? Wir sind vielleicht über die Erderwärmung etwas besorgt, fliegen aber weiterhin nach Australien oder Nepal, dröhnen über die Alpenpässe und schalten die Klimaanlage hoch.
Der totale Krieg gegen unsere eigenen Lebensgrundlagen wurde durch zwei Entdeckungen ermöglicht: Ignaz Semmelweis erkannte 1848 die Prinzipien der Hygiene und schuf damit die Voraussetzung für das unkontrollierte Wuchern unserer Spezies. Deshalb wird die Bevölkerung von Afrika von heute einer bis auf drei Milliarden am Ende des Jahrhunderts anwachsen – da bleibt wenig Platz für Berggorillas und Nashörner. Die katholische Kirche hilft tüchtig mit: Auf den Philippinen mit 1,9 Prozent jährlichem Bevölkerungswachstum gilt Geburtenkontrolle als Verstoss gegen die Zehn Gebote.
Eine weitere Umwelt-Massenvernichtungswaffe sind die fossilen Energien. Erdöl wird seit 1858 gefördert und raffiniert. Für die jetzt Geborenen ist eine fossilenergiefreie Welt absehbar. In 50, vielleicht in 80 Jahren wird all das, was in Jahrmillionen entstanden ist, abgefackelt sein. Doch vorerst gibt es noch viel zu tun, denn die bald eisfreie Arktis ermöglicht neue Bohrungen, und auch im Schiefer lagern noch allerlei Ölreserven.
Die düsteren Prognosen werden durch die Realität ständig übertroffen: Der Aletschgletscher wird in einigen Jahrzehnten verschwunden und das Oberwallis von ausbrechenden Gletscherseeen bedroht sein. Das Meer ist schon so leer beziehungsweise mit Plastik gefüllt, dass selbst die «Weltwoche» dem Thema eine Titelgeschichte widmete. Von der Luft gar nicht zu reden. Die Diskussion dreht sich nur noch darum, ob die Temperatur in absehbarer Zeit um drei oder um fünf Grad ansteigt.
Da ist Nachhaltigkeit gefragt. Trekking-Organisationen berechnen ihre Energiebilanz im Offroader, der SAC träumt von klimafreundlichem Bergsport, und ein Ausrüstungsunternehmen feiert seinen 150. Firmengeburtstag mit ungezählten Helikopterflügen auf den Jungfraugletscher. Die Produkte sind wirklich praktisch, schön und solide – nur müssen sie nach spätestens zwei Jahren der Mode halber zurück nach Vietnam transportiert, rezykliert und als neue trendige Jacken wieder in den Westen gebracht werden. Das Unternehmen wächst, und Wachstum bedeutet immer schnelleren Turnover von Firmenautos, Büro-PCs und Kletterschuhen.
Politiker, Industriebosse, wir alle sind an diesem Krieg gegen unseren Planeten beteiligt. Wir meinen, es sei alles gar nicht so schlimm und man habe schon Schrecklicheres überstanden. Also führen wir Irrläufer der Evolution den Vernichtungskrieg weiter. Ein Zukunftsvisionär empfiehlt: «Don’t be under forty!» Das Ende kommt erst mit der Erschöpfung der fossilen Energien – wie 1945, als die Energie der Nazis zerstört war.
Prof. Dr. med. Oswald Oelz war bis Ende Juli 2006 Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital Zürich. Der Bergsteiger und Buchautor liess sich mit 63 Jahren pensionieren.