Die Frage macht Remo P. für einen kurzen Moment stutzig. «Sie sind ein dynamischer Mensch, der gerne etwas bewegt. Wie gehen Sie denn mit Routinearbeiten um?», fragt ihn Rolf Kraft. Kraft ist selbständiger Personalberater und Coach. An diesem Morgen spielt er die Rolle des leicht überheblichen Human-Resources-Chefs einer Firma, der mit Remo P. das erste Vorstellungsgespräch führt und ihn mit unangenehmen Fragen löchert. Elf andere arbeitslose Manager – Durchschnittsalter: knapp 50 – sitzen mit den beiden im Raum und sehen zu, wie sich der Kandidat behauptet. Sie alle haben sich bei einem der führenden Outplacementspezialisten in der Schweiz, Grass & Partner in Zürich, eingefunden. Der Workshop «Interviewtechnik» ist Teil eines mehrmonatigen Programms, das sie bei Grass absolvieren, um das wieder zu finden, was sie verloren haben: einen Job.
Kündigungen sind das Fundament, auf dem Firmen wie Grass & Partner ihr Geschäft aufbauen. Hier werden frisch entlassene Kaderleute im Auftrag des alten Arbeitgebers von Personalprofis diskret betreut, moralisch aufgebaut und bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützt. «Fit for the Market» machen, nennt Grass dies auf der Homepage. Der Service ist gefragter denn je. Die Umsätze der auf 40 Millionen Franken geschätzten Branche sind in den letzten drei Jahren stetig gestiegen. Die Zahl der Kandidaten, die ins Outplacement geschickt werden, ist 2012 auf knapp 5000 geklettert, wie die Zahlen des Branchenverbandes ACF zeigen. Die wenigsten von ihnen haben indes eine Ahnung, was auf sie zukommt, wenn sie den ersten Termin bei den «Trennungsprofis» haben.
Der CV
Die BILANZ-Autorin wollte es wissen und meldete sich als neue Klientin bei Grass & Partner an. Der Chef persönlich, André Schläppi, Leiter der Zürcher Niederlassung, krallt sich mein Dossier und zeigt gleich beim ersten Termin, dass sich hinter seinem aufgestellten Berner Dialekt ein knallharter Personalprofi verbirgt: «So wie Sie Ihr CV zusammengestellt haben, könnten wir es sicher nicht verschicken. Da müssen wir noch einiges ändern», teilt er mir keine fünf Minuten nach dem Händedruck mit. Und auch an meinem durchaus ansehnlichen Porträtfoto auf dem Deckblatt lässt er kein gutes Haar: «Da sehen Sie anlehnungsbedürftig aus. Das geht gar nicht.» Die Kandidatin schluckt erst mal leer.
Schläppi ist ein alter Hase im Geschäft, nach fünf Jahren OutplacementErfahrung kann er die Kardinalsfehler, die Menschen in ihren Lebensläufen machen, aus dem Effeff aufzählen: «Die CVs sind oft nicht stimmig, überladen und zu wenig Output-orientiert», sagt der frühere Personalchef von Siemens Schweiz. In meinem Fall kritisiert er genau das: Ich beschreibe zwar exakt, wo ich wann in welcher Position gearbeitet habe. Aber was ich an den jeweiligen Stationen effektiv geleistet habe, ist nicht ersichtlich.
Wenn Schläppi neue Klienten begrüsst, geht es längst nicht immer sofort in die Tiefen des CV hinein. Meistens sind erst mal seine psychologischen Fähigkeiten gefragt. «Ein Teil meiner Kunden ist regelrecht paralysiert ob der neuen Situation, muss verarbeiten, wie es zu der Kündigung kam», so der Personalexperte. Manchmal kollidiert die Entlassung mit privaten Problemen; eine regelrechte Negativspirale setzt ein.
In ganz krassen Fällen, wenn eine Kündigung Eskalationspotenzial birgt, muss Schläppi einen neuen Kandidaten auch mal direkt beim Arbeitgeber abholen. Der Outplacement-Profi wartet dann im Nebenraum, bis das Kündigungsgespräch vorbei ist, und nimmt den Geschassten in Empfang. Kein schöner Job, aber Teil einer Dienstleistung, die von den Anbietern gerne unter dem Begriff «Trennungsmanagement» verkauft wird.
Schläppi steht dabei als Intermediär zwischen zwei Welten: dem Kandidaten, den er wieder arbeitsmarktfähig machen soll, und dem Arbeitgeber, der das Ganze bezahlt. Und das nicht zu gering: 16 000 bis 35 000 Franken kostet das Jobcoaching durch Grass – je nach gewähltem Programm, das von drei Monaten bis zu «unbegrenzter Betreuungszeit» reicht. Im Executive Program, der höchsten Servicestufe, sind sogar ein eigenes Büro und ein Sekretariat für den Kandidaten eingeschlossen. Kostenpunkt: 48 000 Franken.
Der Boom im Outplacement-Business wird vor allem von der Finanzbranche getrieben. Über ein Drittel der Kandidaten von Grass & Partner kam 2012 aus der Bankenszene. Die Hälfte der zwölf Teilnehmer in Rolf Krafts Workshop zur Interviewtechnik bei Grass stammt aus der Finanzindustrie: UBS, Raiffeisen, SIX Group, Merrill Lynch, «Zürich». Ob die Betroffenen ihren Rausschmiss verarbeitet haben, zeigt sich unter anderem in den Rollenspielen im Workshop. «Dazu zu stehen, was passiert ist, und potenzielle neue Arbeitgeber offen darüber zu informieren, bereitet vielen Mühe. Sie genieren sich», beobachtet Kraft. Dabei hätten Entlassungen ihr Stigma längst verloren und erschreckten keinen gestandenen Personaler mehr, meint er. Restrukturierungen sind in Grosskonzernen beinahe zum Quartalsbusiness geworden – und werden schnell und unzimperlich abgewickelt.
Mario Togni* (48) arbeitete 26 Jahre lang für einen grossen Finanzdienstleister der Schweiz. Die letzte Sparrunde im Frühjahr 2013 überlebte er nicht. Togni erinnert sich noch genau an den Tag: «Um 14 Uhr hatte ich das Entlassungsgespräch. Noch am selben Nachmittag räumte ich mein Pult. Das war ein komisches Gefühl, dass ich nach so langer Zeit nur zwei Stunden Zeit hatte, um Adieu zu sagen.» Abends verdaute er die Nachricht bei einem Nachtessen in der Lieblingsbeiz, zusammen mit seiner Frau.
Die Analyse
Der Kadermann ackert nun täglich die Jobportale durch und ist froh, dass ihm die Firma ein Outplacement bezahlt. «Nach 26 Jahren hatte ich keine Ahnung mehr, wie man sich bewirbt.» Wenn er Glück hat, gehört Togni zum Durchschnitt der Grass-Kunden, die nach sechs Monaten wieder arbeiten. Vorerst aber muss er sich auf den Standard-Prozess einlassen: Potenzialanalyse erstellen, Ziele und Visionen definieren, Stellensuche vorbereiten, Workshops und Netzwerkanlässe besuchen und schliesslich konkret Bewerbungen initiieren.
Auch André Schläppi macht mir Dampf: In Sitzung zwei verdonnert er mich zum Persönlichkeitstest BCI Bambeck Master Profile. Das Tool ermittelt, welche Eigenschaften einer Person ausgeprägt sind und wie nah das Selbst- mit dem Fremdbild übereinstimmt. Eine knappe Stunde sitze ich vor dem Bildschirm und ordne in raschem Tempo Eigenschaften, die im Job gebraucht werden, auf einer Skala ein. Wird in einer Sequenz gefragt, ob ich gewissenhafter sei als die andern, wird in der nächsten umgekehrt gefragt, ob die anderen gewissenhafter als ich seien. Das Fazit: Die Autorin erreicht hohe Werte bei den Alpha- (Initiativkraft, Durchsetzungsfähigkeit), Beta- (Teamfähigkeit, Empathie) und Verbal-Kompetenzen (Redegewandtheit). Entwicklungsbedürftig sind die Gamma- (Gründlichkeit) und die Epsilon-Werte (Effektivität). «Im Controlling würde ich Sie nicht einstellen», resümiert mein Coach.
Aber immerhin: Ich gehöre zu jenen 15 Prozent der Klienten, die sich extrem realistisch einschätzen – ein Vorteil im Bewerbungsprozess. Schläppi ist anderes gewohnt: «In der Tendenz habe ich es eher mit dem Phänomen der Überschätzung zu tun», meint er. 25 Prozent bzw. 28 Prozent seiner Kunden gehörten der Geschäftsleitung oder dem oberen Kader an. Mit der Höhe der Position steigt auch die Abgehobenheit. Die eigenen Fähigkeiten werden nicht mehr hinterfragt, Kritiker und Partnerinnen verstummen. Entsprechend gross ist die Fallhöhe, wenn es zum Eklat kommt. Schläppi erinnert sich an einen Kandidaten, der seine Sitzungen wochenlang im Dienstwagen antrat – weil er nicht wahrhaben wollte, dass er Job und Privilegien verloren hatte. Ein anderer bewarb sich unverdrossen mit einem «toxischen» – in der Outplacement-Sprache heisst das: schädlichen – CV. Schläppi riet ihm davon ab. Doch der Mann hatte sein halbes Berufsleben lang bestimmt und wollte sich nicht dreinreden lassen. «Bei beratungsresistenten Managern sind auch wir machtlos.»
Loser-Club, Auffangbecken für Gescheiterte: Die Vorurteile gegenüber Outplacements halten sich hartnäckig. Die Realität ist eine andere: Es sind vor allem frühere Geschäftsleitungsmitglieder und qualifizierte Kaderleute, die das Privileg eines Coachings erhalten. Und das aus simplem Grund: In einer auf kurzfristige Zyklen angelegten Wirtschaft ist auch der Personalbedarf dynamisch. Wer heute entlassen wird, kann übermorgen wieder gebraucht werden. Die Firmen wissen das – und wollen durch das Outplacement sicherstellen, dass die Trennung ohne Reputationsschäden abläuft. Sie wissen aber auch, dass die Jobsuche in fortgeschrittenem Alter schwieriger wird, und zeigen sich deshalb grosszügiger. Die 45- bis 55-Jährigen stellen die mit Abstand grösste Kandidatengruppe bei Grass.
Das Urteil
Wer zum Neustart gezwungen wird, muss alles prüfen – Quereinstieg, tiefere Position, Selbständigkeit. Der Cut ist hart. Aber er öffnet vielen Betroffenen die Augen. «Eigentlich wollte ich mich schon lange verändern, aber mir fehlte der Mut», ist etwas, das Schläppi oft zu hören bekommt. Auch Mario Togni sieht sich heute selbstkritisch: «Ich war zu träge. Heute ärgere ich mich, dass mir das Heft aus der Hand genommen wurde.» Nun muss er Gas geben. Wenn er dereinst wieder unterkommt, wird man ihn bei Grass & Partner in die Erfolgsstatistik aufnehmen. «Es ist immer ein Supergefühl, wenn ich erfahre, dass ein Kandidat einen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben hat. Wir haben unser eigenes Ritual, wie wir das feiern», sagt Schläppi.
In meinem Fall muss er sich noch etwas gedulden. Doch ich gehe mit einem topmodernen Dossier und innerlich gestärkt aus den fünf Sitzungen mit dem Coach heraus: Er attestiert mir hohe Führungs- und Sozialkompetenz, Überzeugungskraft, Hartnäckigkeit, Druckresistenz und unternehmerisches Denken. Ich weiss nun, dass ich viel Freiraum brauche, um gut zu arbeiten, und dass meine Planungs- und Organisationsfähigkeit noch «entwicklungsfähig» ist. Müsste ich die Stelle wechseln, sähe Schläppi Optionen im Bereich Kommunikationsberatung, einfach «etwas Schnelles, mit Menschen, durchaus pushy und mit viel Interaktion», meint er. Der Profi für Neuorientierungen bricht auch eine Lanze für meine aktuelle Tätigkeit: «Das gewählte Berufsbild deckt sich gut mit dem individuellen Profil von Ihnen.» Na ja, auch das ist eine Erkenntnis.
* Namen von der Redaktion geändert
1 Kommentar
Hi,
ich bin zwar aus Deutschland, aber das Ergebnis hier, wäre mir das Geld nicht wert, es ist Streichelmassage. Sanfte Trennung, Gesicht wahren.....
In vielen Firmen kann man gar nicht das Ausüben was einen im Arbeitsmarkt draussen sexy macht und fragt man dann noch nach einem Zwischenzeugnis läuten die Alarmglocken.
Ich brauche keine Seelenmassage, wenn man mich loswerden will, dann lässt man mich die Anstellung als Sprungbrett verwenden, das geht nur, wenn man einen lässt.
Für mich ist Outplacement erfolgreich wenn man bei gleicher Arbeitszeit 10% mehr bekommt als vorher, innerhalb von 4 Monaten. Dauert es 5 Monate oder sind es nur 9% mehr Geld, dann ist das Outplacement für mich eher Murks.
Die Kosten werden in Deutschland auf die Geschassten abgewälzt.....das ganze muss sich lohnen.