Die christliche der Bundesratsparteien scheint vom Gedankengut ihres Urideologen nicht mehr viel zu halten. Jesus war ja ein Freund der Schwachen und Kranken. Die medizinische Betreuung von schwer kranken oder dementen Patienten und Invaliden aber kostet zu viel. Deswegen fordert der Unterwalliser Obertrommler Darbellay mit seinen von Krankenkassen gesponserten Kolleginnen, dass bei todkranken Patienten lebensverlängernde Therapien beschränkt werden sollen. Wenn keine Aussicht auf ein «menschenwürdiges Leben» mehr besteht, soll der Bundesrat handeln und teure Therapien und Operationen wohl nicht mehr finanzieren lassen.

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Besonders beliebte Sparobjekte sind die medizinisch teuersten letzten sechs Lebensmonate. Nur weiss niemand, wann diese Frist anbricht. Zudem kenne ich keinen, der sich die Gestaltung seines Endes von Politik und Bundesrat vorschreiben lassen will.

Diese teilweise noch gesunden Politiker sind in eine grössere Weltströmung eingebettet. Die Republikaner in Washington schafften es ja fast, Obamas Gesundheitsreform zu kippen, die auch den armen Mitbürgern eine Krankenversicherung bringen wird. Eine von oben herab verordnete Entsolidarisierung scheint auch manchem sportlichen Eidgenossen sinnvoll.

Doch wer möchte sein Leben nicht in Würde beenden? Das Problem liegt bei der Definition von Würde und Sinn. Während fünfzehn Jahren durfte ich eine Frau mitbetreuen, deren Körper seit Jugend unterhalb des Halses gelähmt war und die ihr Leben an einer Beatmungsmaschine und unter Betreuung eines Pflegeteams im Spital verbrachte. Für sie war ihr Leben sinnvoll, sie schrieb zwei Bücher darüber.

Das Leben von Demenzkranken, die scheinbar dahindämmern, wirkt für manche wenig lebenswert – solches hört man auch von christlichen Politikern. Dabei wissen wir das gar nicht, das Lächeln solcher Mitmenschen spricht gegen diese Ansicht. Die Optik ändert sich eben radikal, wenn sich die eigene Situation ändert. Hoffnung ist für Krebspatienten ein entscheidender Anker. Auch rational denkende und vollständig informierte Tumorpatientinnen wollen alle Therapieoptionen nützen, selbst wenn deren Wirksamkeit noch nicht erwiesen ist. Hoffnung und Linderung durch Stahl, Strahl und Chemie werden zum Menschenrecht der Schwachen. Und: Wie eine Gesellschaft mit ihren Schwächsten umgeht, fällt letztlich auf sie zurück.

Gegen die angeblich ausufernden Gesundheitskosten wird nun von Staates wegen auch mit einem Präventionsgesetz vorgegangen. Der leise Herr Burkhalter meinte in der «NZZ», dass «die Prävention die Zunahme der Gesundheitskosten langfristig dämpfen kann». Prävention durch Hygiene, Impfungen oder Tuberkulose-Früherkennung hat ja tatsächlich unsere Lebenserwartung um 100 Prozent gesteigert. Nur kosten wir deshalb eben auch viel mehr.

Ich bin froh über das Ende des Gestanks in den Restaurants. Ich habe in zu viele betroffene Gesichter gesehen, die in der vermeintlichen Mitte des Lebens erfuhren, dass sie demnächst an Lungenkrebs sterben würden. Verzicht auf Rauchen bedeutet zehn Lebensjahre mehr. Diese sind am Schluss allerdings viel teurer, denn die Prävention hat die Nebenwirkung, dass viele von uns die finalen Demenzjahre erleben dürfen.

Gemäss Politikern, Gesundheitsökonomen und Journalisten ist unser Gesundheitswesen «krank». Was für eine absurde Umkehrung der Werte! Dank diesem System steigt unsere Lebenserwartung weiterhin jedes Jahr an, die Alten laufen mit Knie- und Hüftgelenkprothesen munter durch Wald und Flur. Die Todkranken – das sind wir eigentlich von Geburt an – erfahren Linderung. Mehrwert kostet, das sollte auf Plakatwänden stehen. Die Kosten dürfen und werden weiterhin stärker wachsen als das BIP. Darüber sollten wir uns freuen.

Prof. Dr. med. Oswald Oelz war bis Ende Juli 2006 Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital Zürich. Der Bergsteiger und Buchautor liess sich mit 63 Jahren pensionieren.