Zur Person

Werner Mäder
ist Partner der Trimedia Schweiz.

Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse einer internationalen Trimedia-Arbeitsgruppe, bestehend aus Christoph P. Malms (Partner und VR-Präsident Trimedia International), Alfred Autischer (Partner und CEO Trimedia Austria), Bodo Kirf (Partner und CEO Trimedia Deutschland) und Werner Mäder (Partner Trimedia Schweiz).

Die Notwendigkeit von Public Relations (PR) haben heute viele Unternehmen zwar begriffen. Dennoch fühlen sie sich permanent unter dem Druck der Öffentlichkeit und reagieren darauf mit kommunikativer Aktivitis – Unternehmen und ihre Vertreter sind permanent im Radar der Medien. Die Aktienperformance liegt deutlich unter jener der Peer-Gruppe, und die Geschäftsleitung wird mit immer neuen Storys, Interna und angeblichen Unstimmigkeiten konfrontiert. Die Zeit fürs Geschäft fehlt, Geschäftspartner werden unruhig. Viele Unternehmensleitungen fragen sich dann: Weshalb immer wir?

Kommunikation nach Zielgruppen hat ihren Biss verloren
In modernen Gesellschaften sind homogene Gruppen immer schwerer auszumachen. Ein leitender Mitarbeiter kann gleichzeitig enttäuschter Kunde, engagierter Aktionär und privat in einem ökologischen Interessenverband aktiv sein.

Selbst innerhalb so genannter Zielgruppen sind verlässliche Denkstrukturen und stabile Verhaltensmuster am Zerfallen. Der «hybride» Konsument kann am gleichen Tag Schnäppchen jagen und in einer Edelboutique ein exquisites Stück zu einem sehr hohen Preis erstehen. Das Mitglied der Geschäftsleitung kann als Aktionär einem möglichst hohen Shareholder-Value huldigen und als Führungskraft für ein Maximum an Boni für das Kader einstehen. Fazit: Das Konzept der nach Zielgruppen segmentierten Kommunikation hat ihren Biss verloren.

Erwartungsträger weisen den Weg
Unternehmen und deren Exponenten agieren in einer öffentlichen Arena, in der andere die Tribünenplätze besetzt haben und laut diskutieren: Das Publikum beobachtet und bewertet, die Medien ermitteln, vergeben zügig Sympathie- und Antipathienoten und schaffen breitenwirksame Publizität.

Gemeinsam ist den Arena-Besuchern, dass ihr Verhältnis zum Unternehmen durch Erwartungen definiert ist. Unternehmen kommunizieren daher nicht mehr gegenüber Zielgruppen mit einer normierten Haltung, sondern gegenüber Erwartungsträgern, die den Erwartungsfokus bereits zu kennen glauben. So hat die Schweizer Öffentlichkeit, lange bevor die neue Swiss ihre Konzepte der Öffentlichkeit vorstellen konnte, ihre Erwartungen formuliert, und zwar ohne Rücksicht auf Businessplan, Konkurrenzsituation oder Finanzlage des Unternehmens. Seither dominieren Themen wie «enttäuschte Erwartungen» und «Versagen des Managements» die öffentliche Diskussion.

Losgelöst von der bewusst gesteuerten Kommunikation bilden sich die Erwartungsträger ihre eigene Meinung aus einem Set von persönlichen Erfahrungen, Informationen und Eindrücken. Untersuchungen zeigen, dass dieses subjektive Informationsverhalten auch für einen Grossteil der Meinungsbildner gilt, nicht zuletzt als Folge der wachsenden Informationsüberflutung. Auch sie arbeiten daher aus einer meist vorgeprägten Erwartungshaltung heraus. So entwickelte sich aus schlechten operativen und Finanzleistungen der Lebensversicherer im BVG-Geschäft, kombiniert mit überraschend angekündigten Mindestzinssatzsenkungen, ein «Rentenklau» der Swiss Life.

Erwartungen steuern die Wahrnehmung
Werden die Erwartungen erfüllt, wirkt sich das positiv auf die Nachfrage nach Produkten, den Aktienkurs oder die Beurteilung der gesellschaftlichen Verantwortung eines Unternehmens aus. Bei negativen Abweichungen sind ablehnende Reaktionen die Folge. Das Image einer Firma ist also das Ergebnis von geweckten Erwartungen einerseits und dem Grad ihrer Erfüllung anderseits. Selbst Topleistungen können verblassen, wenn vorher die Erwartungen – aus welchen Gründen auch immer – zu hoch angesetzt waren. Der Internet-Hype der letzten Jahre ist dafür ein typische Beispiel. Hunderte von Start-ups haben, unterstützt von den Medien und den offenbar leichtgläubigen Investoren, gegenüber der Öffentlichkeit deutlich übersteigerte Erwartungen aufgebaut, die dann mit Getöse in sich zusammengestürzt sind. Relativ gut überlebt haben auch in diesem Segment jene Unternehmen, bei denen geweckte Erwartungen und erbrachte Leistungen stets in Balance waren.

Die Finanzwelt macht es uns vor
Bislang wurde die Rolle von Erwartungen und deren Erreichungsgrad vor allem in der Finanzkommunikation thematisiert. Dort hat sich der Begriff der «consensus earnings expectations» zu einer wichtigen unternehmensexogenen Richtgrösse für die Investor-Relations-Bemühungen etabliert. Gelingt es der Unternehmensleitung nicht, die Erwartungshaltung argumentativ rechtzeitig dem sich abzeichnenden Ergebnis anzupassen, so bleibt ihr nur noch die Gewinnwarnung. Sie ist ein Zeichen dafür, dass zwischen den bisher geformten Erwartungen und den sich abzeichnenden Fakten eine Diskrepanz entstanden ist, die in der Öffentlichkeit nicht mehr zu kaschieren ist. Nicht mehr die absolute Höhe des Unternehmensgewinns steuert die Kursentwicklung, sondern die Abweichung der realen Verhältnisse von den kollektiven Erwartungen.

Public Relations als Erwartungsmanagement
Ergo muss, wer effektiv kommunizieren will, die an das Unternehmen gestellten Erwartungen zielsicher steuern. Der kontinuierliche Dialog mit den Erwartungsträgern wird zum Grundmuster einer zukunftsgerichteten Unternehmenskommunikation. Kurz, es geht um die Evolution von Public Relations zum Public-Relationship-Management (PRM).

Public-Relationship-Management formuliert, aktualisiert und korrigiert Erwartungen, während PR die einmal definierten Zielgruppen im Wesentlichen über Sachverhalte informiert. PRM ist ein nachhaltiger Dialog mit Erwartungsträgern in der Öffentlichkeit und orientiert sich an der mittelfristigen Positionierung einer Organisation. Sie verhindert, dass Unternehmen versuchen, aktuelle Probleme mit kurzfristiger Überzeugungsarbeit, eloquenter Überredungskunst oder gar unlauteren Vertuschungen auf Kosten der Zukunft zu lösen. PRM schafft enttäuschungsresistente Verständigungsverhältnisse und legt so eine Basis für gegenseitiges Verständnis und Vertrauen, auch dann, wenn ein Unternehmen mit nicht vorhersehbaren Vorwürfen in den Medien oder in anderen Öffentlichkeiten konfrontiert ist.

Beziehungspflege an der Börse der Erwartungen
Der Informationsmarkt ist heute eine Börse von Erwartungen an ein Unternehmen, die gegen Fakten oder angebliche Fakten gehandelt werden. Dabei wird das Unternehmen je nach Standpunkt als Kapitalanlage, als Arbeitgeber, als Produzent oder Lieferant von Waren und Dienstleistungen, als gesellschaftlich, wirtschaftlich oder politisch relevante Organisation sowie als Umweltfaktor wahrgenommen. Die «Konsenserwartung» zu den einzelnen Themen kann vom geplanten Verhalten des Unternehmens mehr oder weniger deutlich abweichen. Für die Bewertung dieser Abweichungen sind die geweckten und vorherrschenden Erwartungen ebenso wichtig wie der Grad der tatsächlichen Abweichung. Schon eine unerhebliche Qualitätsminderung an einem Nahrungsmittel von einem Unternehmen, das für sich Total-Quality-Management in Anspruch nimmt, dürfte verhältnismässig zu einem grösseren öffentlichen Problem werden als die angebrannte Bratwurst vom Verkaufsstand an der Ecke. Denn Erwartungen – und nicht das Problem im faktischen Vergleich zum Konkurrenten – sind zum Benchmark für die Empörung geworden.

Public-Relationship-Management bedeutet strategische Kommunikationsführung. Der Dialog mit der Öffentlichkeit muss so gestaltet werden, dass die Erwartungen im Zeitablauf stabil und zu einem Strahl gebündelt bleiben. Sein Ziel ist der kollektive Konsens über die weitere Entwicklung eines Unternehmens in allen seinen Facetten. Darauf sind alle Kommunikationskonzepte und -instrumente, aber auch die Organisation der Unternehmenskommunikation konsequent auszurichten. Public-Relationship-Management gehört zu den zentralsten Aufgaben einer Geschäftsleitung, und die umfassende Verantwortung dafür ist auch dort anzusiedeln.

Der Preis für Enttäuschungen
An der Erwartungsbörse werden nicht alle Unternehmen gleichzeitig und in gleichem Masse gehandelt, sondern vor allem jene, bei denen die kommunizierten Aussagen nicht mit den Erwartungen übereinstimmen. Die Reaktionen können sehr heftig ausfallen, denn enttäuschte Erwartungen neigen zur Überreaktion. Der aus den Boulevardmedien stammende Trend zur Vereinfachung und Personifizierung hat längst auch die Politik- und Wirtschaftsberichterstattung erfasst. Wer den Erwartungskorridor verlässt, gerät unmittelbar auf die Watch-List, und die Exponenten des jeweiligen Unternehmens müssen als medialer Sündenbock für diese Abweichung geradestehen. Anders ist es kaum mehr zu erklären, dass sich der öffentliche Fokus meist auf den CEO einer Unternehmung richtet, obwohl mindestens die strategische Führung vom Verwaltungsrat wahrgenommen werden muss und die operativen Massnahmen jeweils von einem Managementteam gemeinsam getroffen werden.

Die Meinungsbörse operiert wie ein Sensor, der auf wahrgenommene Diskrepanzen geeicht ist. Das Volumen der Berichterstattung sowie die publizistische Intensität, der Drang zur Personifizierung der Ursachen, aber auch die Streubreite der Meinungen zu Versäumnissen und der notwendigen Massnahmen nehmen zu, sobald sich Diskrepanzen abzeichnen.

Krisenprävention als Menu-Surprise
Die öffentliche Arena – gesteuert von Interessengruppierungen unterschiedlichster Erwartungen und verstärkt von einem immer wirkungsvolleren Mediensystem – bringt Unternehmen und Organisationen mit Themen ins Gerede, die noch am Vortag kaum als mögliches Problem wahrgenommen worden wären. Vor dem Ausbruch der Holocaust-Debatte hat wohl kaum jemand daran geglaubt, dass die Schweizer Banken dadurch in eine der schwersten Krisen ihres Bestehens geraten könnten. Zur wirksamen Krisenprävention hat sich das vorausschauende Issue-Management in vielen Bereichen als illusorisch erwiesen. Unternehmen werden in Zukunft vermehrt völlig überraschend und urplötzlich im Kreuzfeuer der Kritik stehen für Verhalten, die noch bis vor kurzem als völlig normal galten – ganz einfach deshalb, weil sich durch die öffentliche Diskussion die Erwartungskorridore der jeweiligen Stakeholder verschoben haben. Krisenprävention setzt daher in Zukunft ein langfristiges Public-Relationship-Management voraus, das auf der Basis gegenseitigen Vertrauens klare, einfache Antworten erlaubt.

Die Unternehmung als glaubwürdiger Dialogpartner
Die Erwartungen an die unternehmerische Verantwortung gegenüber der Gesellschaft («corporate social responsibility») und an die Optimierung wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und ökologischer Aspekte (Prinzip der Nachhaltigkeit) sind ohne Zweifel in den letzten Jahren gewachsen. Diese Erweiterung der unternehmerischen Zuständigkeit verschiebt die Grenze zwischen privat und öffentlich, zwischen intern und extern zunehmend nach aussen. Ein Rückzug ins Réduit der Intimsphäre eines Unternehmens oder, anders ausgedrückt, eine kommunikative Defensivstrategie wird damit praktisch verunmöglicht. Aufbau von Vertrauen durch die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung und ein auf Langfristigkeit ausgelegtes Public-Relationship-Management gehören heute zu den wichtigsten Unternehmens-Assets auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Dialog mit der Öffentlichkeit.
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