Wer gut aussieht, viel leistet und abends lange bleibt, wer es mit dem Chef gut kann, der macht Karriere. Oder auch nicht. Denn glaubt man den zahlreichen Karriereführern und Führungsvisionären, hängt der berufliche Aufstieg von ziemlich vielen Faktoren ab. Über hundert verschiedene findet man auf Anhieb, und viele widersprechen sich. Ein Dschungel.
Der Markt für Karrieretipps wächst seit Jahren – unabhängig von allen Konjunkturausschlägen. Die Suchmaschine des OnlineBuchladens Amazon wirft unter dem Begriff «Karriere» über 1200 deutschsprachige Buchtitel aus. Dazu kommen unzählige Weiterbildungsangebote und Seminare.
Doch die meisten Ratgeber enttäuschen: viel Spreu, wenig Weizen. Manches ist trendiger Schnickschnack, anderes schadet sogar, und manche als geheim gepriesene Tipps sind nichts weiter als heisse Luft oder universelle Softesoterik à la «Der Erfolg steckt in dir! Du musst ihn nur rauslassen».
Wirklich relevante Regeln sind rar. Nach der Lektüre von über 250 Managementklassikern, Bestsellern und Neuerscheinungen, zahllosen Gesprächen mit Buchautoren, Personalexperten und Karriereberatern haben wir daraus jetzt die zehn Grundsätze destilliert, die für den Verlauf einer Karriere tatsächlich entscheidend sind.
1. Turnen im Beziehungsnetz
Seilschaften, Filz, Klüngel – der Begriff des Netzwerkens ist mitunter negativ belegt. Zu Unrecht: Egal, ob Manager, Politiker oder Privatmann, die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt, ein wohlmeinender Mentor an passender Stelle sind oftmals entscheidende Beschleuniger des beruflichen Erfolgs. Beziehungen schaden halt nur dem, der keine hat. Ohne ein funktionierendes Netzwerk ist es heute fast unmöglich, beruflich grosse Sprünge zu machen. Mehr noch: Mit steigender Position wächst nicht nur das Beziehungsgefüge, sondern auch seine Bedeutung. Führungskräfte helfen sich häufig mit Empfehlungen gegenseitig auf die Karrieresprünge. Eine Studie des amerikanischen Soziologen Mark Granovetter bestätigt das. Er untersuchte die Wirksamkeit von Netzwerken anhand von Berufstätigen, die ihren Job wechseln wollten. Ergebnis: Die Mehrzahl der Befragten fanden ihren neuen Job allein auf Grund persönlicher Kontakte. Bei Managern rangierte das so genannte Vitamin B sogar auf Platz eins.
Entscheidend ist die eigene Lage im Beziehungsgefüge. Je zentraler die Position, desto grösser ist die eigene Bedeutung für das Netz und desto grösser wird der Nutzen daraus. Die logische Konsequenz: Je mehr man selbst an Peripherie einbringt, desto mehr verlagert man den Netzmittelpunkt zu seinen Gunsten. Bei dieser Netzpflege werden jedoch die grössten Fehler gemacht, warnen Experten. Todsünde Nummer eins: das einseitige Absaugen von Informationen. Besonders Nachwuchskräfte neigen dazu. Sobald sie vom Wissen des anderen profitiert haben, drehen sie sich auf dem Absatz um und gehen. Wer so handelt, beweist nicht nur soziale Inkompetenz, er schlägt auch eine Tür zu, durch die er auf dem Weg nach oben vielleicht noch einmal schreiten muss. Netzwerken heisst, dass beide die Beziehung freiwillig aufrechterhalten. Man begegnet sich grundsätzlich auf Augenhöhe – ungeachtet des hierarchischen Status.
2. Volle Kraft voraus
Schwächen sind uns in die Wiege gelegt, sie sind von Kindesbeinen an eine Kampfansage an das Selbstbewusstsein. Wer sie nicht ausmerzt, wird aus dem Kreis der Erfolgreichen verbannt. So jedenfalls lauten die Spielregeln, die uns in der Schule oder am Arbeitsplatz eingebläut werden. Defizite gilt es aufzuspüren, zu analysieren und zu korrigieren. Und genau das ist falsch. Denn dabei verpufft viel Energie, nur um etwas nachzuholen, was man eh nicht kann.
«Warum drehen Sie den Spiess nicht um und konzentrieren sich auf das, was Sie stark macht?», raten deshalb die beiden Gallup-Wissenschaftler Marcus Buckingham und Donald Clifton. «Stärken Sie Ihre Stärken, leisten Sie sich Ihre Schwächen!»
Wer immer nur an seinen Defiziten herumdoktert, betreibt lediglich Schadensbegrenzung, lautet ihre These. «Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand nach oben kommt, weil er seine Stärken bewusst fördert, ist 50 Prozent höher, als wenn er nur seine Schwächen repariert», ist auch die Hamburger Psychologin Monika Voss überzeugt.
«Es gibt kaum eine Stärke, die man nicht ausbauen kann», sagt Professor Dieter Frey vom Institut für Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Das gelingt durch gezielte Weiterbildung oder indem man nach Projekten sucht, in denen man seine Talente einbringen kann und damit auffällt.
3. Wer wirkt, gewinnt
Der erste Eindruck dauert 150 Millisekunden. So lange braucht das Gehirn, um einen optischen Reiz zu verarbeiten. Danach steht bereits in Grundzügen fest, wie wir eine Person einschätzen. Wer auf einen Blick leistungsfähig, zuverlässig und durchsetzungsstark erscheint, kann damit oft auf lange Sicht punkten. Denn von der ersten Wahrnehmung rücken wir kaum wieder ab.
Die Erklärung dafür: «Um uns in einer enorm komplexen Umwelt zurechtzufinden, müssen wir Stereotypien bilden», sagt die Mannheimer Psychologieprofessorin Dagmar Stahlberg.
Zahlreiche Studien belegen den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Auftreten und persönlichem Erfolg. Schon das Aussehen beeinflusst die Karriere. Wer überdurchschnittlich gross ist, trainiert und jugendlich wirkt, hat beim beruflichen Wettlauf zumindest einen Startvorteil. Noch wichtiger als die reine Attraktivität ist das Gesamtbild: So meinten bei einer Mitarbeiterumfrage des Computerherstellers IBM mehr als 30 Prozent, dass vor allem das Image für die Karriere entscheidend sei. Die reine Leistung war nur für zehn Prozent der entscheidende Faktor.
Da ansprechendes Auftreten scheinbar leicht zu beeinflussen ist, widmet sich dem Thema eine Vielzahl von Ratgebern. Manager-Benimmfibeln verraten, wie sich Hummer korrekt knacken lassen und wem man wann das Du anbieten darf. Bewerbungsratgeber informieren über die richtige Kleiderordnung beim Vorstellungsgespräch («Tabu Tennissocken»), andere Autoren geben Tipps für die richtige Tonlage («Stimme: Instrument des Erfolges») oder Körperhaltung («Körpersprache im Beruf»). Essenz aller Werke: Bleiben Sie innerhalb der Konventionen des Unterneh-mens stets authentisch! Höflichkeit ist besser als Rabaukentum, und bestimmtes Auftreten schlägt fahriges Herumgehampele. Überraschendes findet sich dort also nicht. Dennoch sollte jeder die wichtigsten Regeln schon deshalb kennen, um negatives Auffallen zu vermeiden. Denn an Manieren-Makel erinnern sich Vorgesetzte meist länger als an positive Impressionen.
4. Schein oder nichts sein
Die erinnerte Wahrnehmung hat auf Personalauswahl und Beförderung einen enormen Einfluss. Denken Personalentscheider über Beförderungen nach, haben sie oft nur wenige Alternativen vor Augen – diejenigen nämlich, die positiv aus der Masse hervorstechen beziehungsweise deren Gesicht sie kennen.
Auffallen ist Pflicht, da sind sich die Experten einig. Nicht so einheitlich fällt deren Urteil aus, wie das Marketing in eigener Sache konkret aussehen soll. Die einst von Henry Ford postulierte PR-Maxime «Tue Gutes, und rede darüber» gilt nicht mehr uneingeschränkt. Die modernere Abwandlung lautet: Tue Gutes, und lass andere darüber reden. Sonst setzt man sich dem Vorwurf der Prahlerei aus.
Wege, sich in das Gedächtnis des Vorgesetzten zu bringen, gibt es viele. Die Kernstrategien: Präsenz zeigen. Gute Leistungen sollten immer wieder subtil erwähnt werden, denn so etwas nehmen Chefs oft als selbstverständlich hin – und vergessen es wieder. Zweitens: Qualität zählt. Lieber wenige grosse Erfolge als viele kaum nennenswerte Ergebnisse präsentieren, denn die prägen sich schwerlich ein.
5. Rasten statt rasen
Fleiss ist aller Aufstiege Anfang. In den Unternehmen gibt es dafür einen scheinbar objektiven Massstab: die Uhr. Anwesenheit gilt als Beleg für Loyalität und Leistungwillen, Stress als Statussymbol. Eine Führungskraft verbringt im Schnitt 46 Stunden pro Woche im Büro, bei einem Topmanager sind es 70. Feierabend machen Faulpelze.
Der Stress hat Folgen. Zuerst für das Privatleben. Freunde gehen verloren, Hobbys finden nicht mehr statt. Mangel an Bewegung führt zu gesundheitlichen Problemen. Also gelingt es nur ausgeglichenen Menschen, dauerhaft erfolgreich zu sein. Den Betroffenen ist dieses Problem durchaus bewusst. Das zeigt die starke Nachfrage nach Büchern, die bei der Suche nach der verlorenen Zeit behilflich sein wollen. So hat allein der «Zeitmanagementpapst» Lothar Seiwert mehr als zwanzig Titel zu genau diesem Thema veröffentlicht, das äusserst banale Büchlein «Simplify your life» nimmt seit Wochen Spitzenplätze in den Bestsellerlisten ein. Doch eigentlich, da sind sich die Zeitmanager einig, gibt es nur einen Ausweg: Manager müssen lernen, sich selbst genau so zu führen wie ein Unternehmen. Das heisst sich auf sich selbst besinnen, die eigenen Ziele ermitteln und diese auch konsequent umsetzen. Und das geschieht, indem man einzelne Interessenbereiche festlegt und dann «Termine mit sich selbst» vereinbart. Ihnen sollte man die gleiche Wichtigkeit beimessen wie geschäftlichen Verabredungen.
6. Kein stilles Wörtchen
Den Faden verloren, Schweiss auf der Stirn, die Stimme zittert mit den Händen um die Wette? So könnte das Waterloo des Vortrags aussehen. Muss es aber nicht. Rhetorikbücher versprechen lernwilligen Lesern schnelle Rettung. Denn die Kunst der Rede wird im beruflichen Alltag zur Auszeichnung. Bereits Berufsanfänger müssen oft schon Vorträge vor Kunden und Kollegen halten oder kontroverse Besprechungen führen. Kommunikation ist entscheidend, im Konferenzraum wie in der Kantine. Wer dabei rhetorisch sicher ist, sammelt wertvolle Pluspunkte.
Die meisten Ratgeber beschränken Kommunikation allerdings auf mündliche Präsentationen: Was kommt rüber? Wie setzt man Folien am besten ein? Wie bereitet man sich auf sein Publikum vor? Zwei Regeln sind wichtig. Erstens: Sprechen Sie verständlich! Und zweitens so, dass man nicht vor Langeweile einschläft! Die typischen Schreckensredner: der 200-Folien-Freak, der Oberlehrer, der Publikumsverächter oder der Verzweifelte, der seinen Text auswendig herunterleiert. Eine gelungene Präsentation dagegen orientiert sich immer am Zuhörer, folgt einem logischen Aufbau und regt zum Mitdenken an.
Doch das gesprochene Wort ist nicht alles. Studien belegen: Die rhetorische Wirkung beruht zu 55 Prozent auf dem Gesichtsausdruck und zu 38 Prozent auf Tonfall und Stimme. Der Inhalt des Gesagten macht nur sieben Prozent des Gesamteindrucks aus. Eine lebhafte und ausdrucksstarke Mimik unterstützt das Gesagte, häufiger Blickkontakt mit dem Gegenüber wird als freundlich, selbstbewusst und natürlich geschätzt. Die Stimme verrät die Stimmung des Redners. Eine klare und verständliche Aussprache ist deshalb wesentlich für die persönliche Überzeugungskraft.
7. Mut zur Tücke
Das Credo zahlreicher Ratgeber für Berufseinsteiger lautet: Talent, Fairness und Teamgeist genügen, um die Karriereleiter im Sturm zu nehmen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte: Wer beruflich vorankommen will, muss sich auch gegen seine Mitbewerber durchsetzen können – mit Strategie und Taktik.
Schlachtfeld Büro. Die einschlägige Literatur bedient sich des militärischen Vokabulars und preist auch gleich das Wissen alter Militärstrategen wie etwa des chinesischen Feldherrn Sun Tzu an. Nicht ganz zu Unrecht: So verweist sogar der erfolgreiche Ex-General-Electric Chef Jack Welch in seinen Memoiren («Was zählt») auf den preussischen Offizier und Militärstrategen Carl von Clausewitz. Allen Theorien gemein ist: Am Anfang steht immer die Bestimmung des eigenen Status quo. Der Aufstiegswillige muss sich klar werden, ob er Angreifer oder Verteidiger ist. Wer neu und relativ weit oben in ein Unternehmen einsteigt, wird eher die Position des Verteidigers einnehmen. Eine der Techniken, die bei Machtspielchen intuitiv eingesetzt wird, ist das Streuen von Gerüchten. Die linke Tour zahlt sich allerdings nur kurzfristig aus: Wer als Dreckwerfer verschrien ist, riskiert langfristig, aufs Abstellgleis geschoben zu werden. Kein Chef hat schliesslich gerne einen Stuhlbeinsäger unter sich – könnte er doch selbst dessen nächstes Opfer sein.
Nicht alle Angriffe sind zudem offensichtlich. Karriereexperten beschreiben immer wieder Angriffe, die als nette Geste verkleidet sind. Der Buchautor Ulrich Dehner nennt zum Beispiel den häufigen Typ des so genannten Retters. «Der will nur Ihr Bestes. Und genau das sollten Sie ihm nicht geben.» Solche Kollegen übernehmen grosszügig erfolgreiche Projekte, um sich damit unentbehrlich zu machen. Oder sie setzen die angebotene Hilfe gezielt ein, um dem Neuling das Heft aus der Hand zu nehmen. Die Gegenstrategie: «Bedanken Sie sich für das Angebot, und erklären Sie, dass Sie vielleicht später darauf zurückkommen», rät Ulrich Dehner.
Wer solche Manöver schnell erkennt und pariert, handelt klug.
8. Nochmal mit Gefühl
Eine neuere Einsicht der Aufstiegsliteratur ist: Der Weg an die Spitze führt über Herz und Verstand, wobei Ersteres den Ausschlag gibt. Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten müssen die Mitarbeiter an ihre Führer glauben. Wer dann nur rational argumentiert und kopflastig ist, kann andere nicht für seine Ideen begeistern. Das können nur wenige. Denn während die Ratio in Studium und Berufsausbildung ganz selbstverständlich gedrillt wird, haben Emotionen im Lehrplan keinen Platz. Entsprechend entdecken die Karriereexperten nun die Welt der Gefühle – Schlagwort: emotionale Intelligenz.
Gute Führungskräfte, so der amerikanische Psychologe Daniel Goleman, der den Begriff vorrangig geprägt hat, sprechen die Emotionen ihrer Mitarbeiter an. Das geschieht, indem sie Resonanz erzeugen – also positive Gefühle wecken, die das Beste im Menschen hervorbringen. Um andere Menschen zu begeistern, muss man sich auch in die Gefühle seines Gegenübers hineinversetzen können. Das Interesse an dem Mitmenschen muss jedoch echt sein. Wer andere nur als Werkzeug missbraucht, wird schnell durchschaut.
9. Strahle, Mann!
Zum Chef kann man gemacht werden. Oder man ist dazu geboren. Für den ersten, weitaus beschwerlicheren Weg, muss der Kandidat in der Regel eine Karrieresprosse nach der anderen erklimmen. Für die zweite Variante reicht vor allem eines: Charisma.
Das Modewort hat tiefe Wurzeln. Als religiöses Konzept führte der Apostel Paulus den Begriff in die christliche Theologie ein. Er bedeutet Gnadengabe und steht für eine als übernatürlich empfundene oder nicht alltägliche Qualität eines Menschen. Charisma, das ist eine hoch konzentrierte Mischung aus natürlicher Selbstsicherheit, Charme, Humor, Leidenschaft. Der deutsche Soziologe Max Weber übertrug den Begriff später auf die moderne Gesellschaftspolitik. Im Charisma sah er einen von drei möglichen Führungsansprüchen: Neben der traditionellen Legitimation durch Erbfolge und den legalen Herrschaftsanspruch laut Gesetz gibt es für Weber auch die Autorität durch Charisma.
Das nicht Greifbare beflügelt Karrieren, denn charismatische Menschen umgibt eine Aura von Autorität, Macht und Schaffenskraft, die andere vereinnahmt und zu Höchstleistungen treibt. Den wenigsten ist diese Gabe in die Wiege gelegt, aber man kann sie sich immerhin in Teilen erarbeiten. Davon ist zum Beispiel der amerikanische Fachautor Anthony Alessandra überzeugt. Geradezu magnetische und elektrisierende Wirkung hat beispielsweise die Kunst des Zuhörens. Wer sie beherrscht, so der Motivationsguru, ist auf dem besten Weg, an Charisma zu gewinnen.
Wer wirkt, bewirkt mehr, lautet auch die Botschaft anderer Managementcoachs. Wie Alessandra sind sie davon überzeugt, dass sich am eigenen Charisma feilen lässt. Ihre Empfehlung: «Erkennen und arbeiten Sie an Ihren Fähigkeiten, verwirklichen Sie zielstrebig Ihre Lebensideen, und gewinnen Sie dadurch eine innere Harmonie, die auch nach aussen sichtbar wird. Das stärkt und beeinflusst auch andere.»
Die Managementgurus sind nicht die Einzigen, die sich mit dem magischen Karrierebeschleuniger auseinander gesetzt haben. Seit den Achtzigerjahren häufen sich wissenschaftliche Studien – vor allem aus den USA –, die zum Beispiel nach Wechselwirkungen von Charisma und Wirtschaftserfolg forschten. Für den angesehenen St.-Galler Managementberater Fredmund Malik hat die Charisma-Diskussion längst die Schmerzgrenze erreicht: «Irgendwie ist die Vorstellung in die Welt gekommen, Manager, insbesondere jene an der Spitze von Grosskonzernen, müssten eine Mischung aus Albert Einstein, Alexander dem Grossen und Thomas Gottschalk sein», kritisiert er. «Wirkliche Leader schaffen ihr Charisma durch Vertrauen.»
10. Heute hier, morgen dort
Früher war alles klar. Mit 25 Jahren fing die Karriere an, mit 65 hörte sie auf. Beim selben Unternehmen. Einen neuen Arbeitgeber suchte sich nur, wer mit dem alten nicht mehr zurechtkam. Ein Schandfleck im Lebenslauf.
Das hat sich geändert. Der Wechsel von Unternehmen und Aufgabengebiet ist längst üblich. Und wird auch gerne gesehen. Denn nach 10 oder gar 15 Jahren beim gleichen Arbeitgeber hat ein Angestellter die spezifische Kultur dort derart aufgesogen, dass er kaum mehr wechseln kann. Wie stark die Umgebung prägt, wird meist unterschätzt. Das merken viele erst, wenn sie nach vielen Jahren doch noch einmal zu neuen Ufern aufbrechen. Und sich, dort angekommen, auf einmal überhaupt nicht mehr zurechtfinden.
Zu viel Treue kann also in die berufliche Sackgasse führen. Zu viel Abwechslung aber auch. Wer seine Arbeitgeber stets nach zwölf Monaten wieder verlässt, zeigt, dass er wenig Durchhaltevermögen besitzt und dort nicht wirklich etwas bewirken konnte. Eine gewisse Kontinuität im Lebenslauf ist weiterhin gefragt. Personalexperten messen sie an einer festen Grösse: Ein Engagement sollte mindestens drei Jahre dauern.
Um sich für neue Aufgaben zu empfehlen, muss man sich ein möglichst breites Portfolio an Fähigkeiten zulegen. Gut, wenn man sich dazu ständig neue Herausforderungen auch innerhalb eines Unternehmens gesucht hat. Etwa durch den Wechsel in eine andere Abteilung oder einen längeren Abstecher ins Ausland. Das Prinzip eignet sich auch, wenn der Arbeitsmarkt infolge einer Krise vorübergehend düster aussieht. Hauptsache, in Bewegung bleiben.
Wie wichtig das ist, zeigt schon die Herkunft des Wortes «Karriere». Denn obwohl sich die Experten streiten, ob der moderne Begriff seinen Ursprung nun im lateinischen «carraria» (Fahrweg), dem französischen «garrière» (schnellste Gangart des Pferdes) oder dem italienischen «carriera» (Rennbahn) hat, wird doch eines deutlich: Stillstand und Karriere schliessen sich aus.
Autoren: Steffi Augter, Ulrich Groothuis, Thomas Katzensteiner, Jochen Mai, Cornelius Welp, «Wirtschaftswoche«, Düsseldorf.
Der Markt für Karrieretipps wächst seit Jahren – unabhängig von allen Konjunkturausschlägen. Die Suchmaschine des OnlineBuchladens Amazon wirft unter dem Begriff «Karriere» über 1200 deutschsprachige Buchtitel aus. Dazu kommen unzählige Weiterbildungsangebote und Seminare.
Doch die meisten Ratgeber enttäuschen: viel Spreu, wenig Weizen. Manches ist trendiger Schnickschnack, anderes schadet sogar, und manche als geheim gepriesene Tipps sind nichts weiter als heisse Luft oder universelle Softesoterik à la «Der Erfolg steckt in dir! Du musst ihn nur rauslassen».
Wirklich relevante Regeln sind rar. Nach der Lektüre von über 250 Managementklassikern, Bestsellern und Neuerscheinungen, zahllosen Gesprächen mit Buchautoren, Personalexperten und Karriereberatern haben wir daraus jetzt die zehn Grundsätze destilliert, die für den Verlauf einer Karriere tatsächlich entscheidend sind.
1. Turnen im Beziehungsnetz
Seilschaften, Filz, Klüngel – der Begriff des Netzwerkens ist mitunter negativ belegt. Zu Unrecht: Egal, ob Manager, Politiker oder Privatmann, die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt, ein wohlmeinender Mentor an passender Stelle sind oftmals entscheidende Beschleuniger des beruflichen Erfolgs. Beziehungen schaden halt nur dem, der keine hat. Ohne ein funktionierendes Netzwerk ist es heute fast unmöglich, beruflich grosse Sprünge zu machen. Mehr noch: Mit steigender Position wächst nicht nur das Beziehungsgefüge, sondern auch seine Bedeutung. Führungskräfte helfen sich häufig mit Empfehlungen gegenseitig auf die Karrieresprünge. Eine Studie des amerikanischen Soziologen Mark Granovetter bestätigt das. Er untersuchte die Wirksamkeit von Netzwerken anhand von Berufstätigen, die ihren Job wechseln wollten. Ergebnis: Die Mehrzahl der Befragten fanden ihren neuen Job allein auf Grund persönlicher Kontakte. Bei Managern rangierte das so genannte Vitamin B sogar auf Platz eins.
Entscheidend ist die eigene Lage im Beziehungsgefüge. Je zentraler die Position, desto grösser ist die eigene Bedeutung für das Netz und desto grösser wird der Nutzen daraus. Die logische Konsequenz: Je mehr man selbst an Peripherie einbringt, desto mehr verlagert man den Netzmittelpunkt zu seinen Gunsten. Bei dieser Netzpflege werden jedoch die grössten Fehler gemacht, warnen Experten. Todsünde Nummer eins: das einseitige Absaugen von Informationen. Besonders Nachwuchskräfte neigen dazu. Sobald sie vom Wissen des anderen profitiert haben, drehen sie sich auf dem Absatz um und gehen. Wer so handelt, beweist nicht nur soziale Inkompetenz, er schlägt auch eine Tür zu, durch die er auf dem Weg nach oben vielleicht noch einmal schreiten muss. Netzwerken heisst, dass beide die Beziehung freiwillig aufrechterhalten. Man begegnet sich grundsätzlich auf Augenhöhe – ungeachtet des hierarchischen Status.
2. Volle Kraft voraus
Schwächen sind uns in die Wiege gelegt, sie sind von Kindesbeinen an eine Kampfansage an das Selbstbewusstsein. Wer sie nicht ausmerzt, wird aus dem Kreis der Erfolgreichen verbannt. So jedenfalls lauten die Spielregeln, die uns in der Schule oder am Arbeitsplatz eingebläut werden. Defizite gilt es aufzuspüren, zu analysieren und zu korrigieren. Und genau das ist falsch. Denn dabei verpufft viel Energie, nur um etwas nachzuholen, was man eh nicht kann.
«Warum drehen Sie den Spiess nicht um und konzentrieren sich auf das, was Sie stark macht?», raten deshalb die beiden Gallup-Wissenschaftler Marcus Buckingham und Donald Clifton. «Stärken Sie Ihre Stärken, leisten Sie sich Ihre Schwächen!»
Wer immer nur an seinen Defiziten herumdoktert, betreibt lediglich Schadensbegrenzung, lautet ihre These. «Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand nach oben kommt, weil er seine Stärken bewusst fördert, ist 50 Prozent höher, als wenn er nur seine Schwächen repariert», ist auch die Hamburger Psychologin Monika Voss überzeugt.
«Es gibt kaum eine Stärke, die man nicht ausbauen kann», sagt Professor Dieter Frey vom Institut für Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Das gelingt durch gezielte Weiterbildung oder indem man nach Projekten sucht, in denen man seine Talente einbringen kann und damit auffällt.
3. Wer wirkt, gewinnt
Der erste Eindruck dauert 150 Millisekunden. So lange braucht das Gehirn, um einen optischen Reiz zu verarbeiten. Danach steht bereits in Grundzügen fest, wie wir eine Person einschätzen. Wer auf einen Blick leistungsfähig, zuverlässig und durchsetzungsstark erscheint, kann damit oft auf lange Sicht punkten. Denn von der ersten Wahrnehmung rücken wir kaum wieder ab.
Die Erklärung dafür: «Um uns in einer enorm komplexen Umwelt zurechtzufinden, müssen wir Stereotypien bilden», sagt die Mannheimer Psychologieprofessorin Dagmar Stahlberg.
Zahlreiche Studien belegen den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Auftreten und persönlichem Erfolg. Schon das Aussehen beeinflusst die Karriere. Wer überdurchschnittlich gross ist, trainiert und jugendlich wirkt, hat beim beruflichen Wettlauf zumindest einen Startvorteil. Noch wichtiger als die reine Attraktivität ist das Gesamtbild: So meinten bei einer Mitarbeiterumfrage des Computerherstellers IBM mehr als 30 Prozent, dass vor allem das Image für die Karriere entscheidend sei. Die reine Leistung war nur für zehn Prozent der entscheidende Faktor.
Da ansprechendes Auftreten scheinbar leicht zu beeinflussen ist, widmet sich dem Thema eine Vielzahl von Ratgebern. Manager-Benimmfibeln verraten, wie sich Hummer korrekt knacken lassen und wem man wann das Du anbieten darf. Bewerbungsratgeber informieren über die richtige Kleiderordnung beim Vorstellungsgespräch («Tabu Tennissocken»), andere Autoren geben Tipps für die richtige Tonlage («Stimme: Instrument des Erfolges») oder Körperhaltung («Körpersprache im Beruf»). Essenz aller Werke: Bleiben Sie innerhalb der Konventionen des Unterneh-mens stets authentisch! Höflichkeit ist besser als Rabaukentum, und bestimmtes Auftreten schlägt fahriges Herumgehampele. Überraschendes findet sich dort also nicht. Dennoch sollte jeder die wichtigsten Regeln schon deshalb kennen, um negatives Auffallen zu vermeiden. Denn an Manieren-Makel erinnern sich Vorgesetzte meist länger als an positive Impressionen.
4. Schein oder nichts sein
Die erinnerte Wahrnehmung hat auf Personalauswahl und Beförderung einen enormen Einfluss. Denken Personalentscheider über Beförderungen nach, haben sie oft nur wenige Alternativen vor Augen – diejenigen nämlich, die positiv aus der Masse hervorstechen beziehungsweise deren Gesicht sie kennen.
Auffallen ist Pflicht, da sind sich die Experten einig. Nicht so einheitlich fällt deren Urteil aus, wie das Marketing in eigener Sache konkret aussehen soll. Die einst von Henry Ford postulierte PR-Maxime «Tue Gutes, und rede darüber» gilt nicht mehr uneingeschränkt. Die modernere Abwandlung lautet: Tue Gutes, und lass andere darüber reden. Sonst setzt man sich dem Vorwurf der Prahlerei aus.
Wege, sich in das Gedächtnis des Vorgesetzten zu bringen, gibt es viele. Die Kernstrategien: Präsenz zeigen. Gute Leistungen sollten immer wieder subtil erwähnt werden, denn so etwas nehmen Chefs oft als selbstverständlich hin – und vergessen es wieder. Zweitens: Qualität zählt. Lieber wenige grosse Erfolge als viele kaum nennenswerte Ergebnisse präsentieren, denn die prägen sich schwerlich ein.
5. Rasten statt rasen
Fleiss ist aller Aufstiege Anfang. In den Unternehmen gibt es dafür einen scheinbar objektiven Massstab: die Uhr. Anwesenheit gilt als Beleg für Loyalität und Leistungwillen, Stress als Statussymbol. Eine Führungskraft verbringt im Schnitt 46 Stunden pro Woche im Büro, bei einem Topmanager sind es 70. Feierabend machen Faulpelze.
Der Stress hat Folgen. Zuerst für das Privatleben. Freunde gehen verloren, Hobbys finden nicht mehr statt. Mangel an Bewegung führt zu gesundheitlichen Problemen. Also gelingt es nur ausgeglichenen Menschen, dauerhaft erfolgreich zu sein. Den Betroffenen ist dieses Problem durchaus bewusst. Das zeigt die starke Nachfrage nach Büchern, die bei der Suche nach der verlorenen Zeit behilflich sein wollen. So hat allein der «Zeitmanagementpapst» Lothar Seiwert mehr als zwanzig Titel zu genau diesem Thema veröffentlicht, das äusserst banale Büchlein «Simplify your life» nimmt seit Wochen Spitzenplätze in den Bestsellerlisten ein. Doch eigentlich, da sind sich die Zeitmanager einig, gibt es nur einen Ausweg: Manager müssen lernen, sich selbst genau so zu führen wie ein Unternehmen. Das heisst sich auf sich selbst besinnen, die eigenen Ziele ermitteln und diese auch konsequent umsetzen. Und das geschieht, indem man einzelne Interessenbereiche festlegt und dann «Termine mit sich selbst» vereinbart. Ihnen sollte man die gleiche Wichtigkeit beimessen wie geschäftlichen Verabredungen.
6. Kein stilles Wörtchen
Den Faden verloren, Schweiss auf der Stirn, die Stimme zittert mit den Händen um die Wette? So könnte das Waterloo des Vortrags aussehen. Muss es aber nicht. Rhetorikbücher versprechen lernwilligen Lesern schnelle Rettung. Denn die Kunst der Rede wird im beruflichen Alltag zur Auszeichnung. Bereits Berufsanfänger müssen oft schon Vorträge vor Kunden und Kollegen halten oder kontroverse Besprechungen führen. Kommunikation ist entscheidend, im Konferenzraum wie in der Kantine. Wer dabei rhetorisch sicher ist, sammelt wertvolle Pluspunkte.
Die meisten Ratgeber beschränken Kommunikation allerdings auf mündliche Präsentationen: Was kommt rüber? Wie setzt man Folien am besten ein? Wie bereitet man sich auf sein Publikum vor? Zwei Regeln sind wichtig. Erstens: Sprechen Sie verständlich! Und zweitens so, dass man nicht vor Langeweile einschläft! Die typischen Schreckensredner: der 200-Folien-Freak, der Oberlehrer, der Publikumsverächter oder der Verzweifelte, der seinen Text auswendig herunterleiert. Eine gelungene Präsentation dagegen orientiert sich immer am Zuhörer, folgt einem logischen Aufbau und regt zum Mitdenken an.
Doch das gesprochene Wort ist nicht alles. Studien belegen: Die rhetorische Wirkung beruht zu 55 Prozent auf dem Gesichtsausdruck und zu 38 Prozent auf Tonfall und Stimme. Der Inhalt des Gesagten macht nur sieben Prozent des Gesamteindrucks aus. Eine lebhafte und ausdrucksstarke Mimik unterstützt das Gesagte, häufiger Blickkontakt mit dem Gegenüber wird als freundlich, selbstbewusst und natürlich geschätzt. Die Stimme verrät die Stimmung des Redners. Eine klare und verständliche Aussprache ist deshalb wesentlich für die persönliche Überzeugungskraft.
7. Mut zur Tücke
Das Credo zahlreicher Ratgeber für Berufseinsteiger lautet: Talent, Fairness und Teamgeist genügen, um die Karriereleiter im Sturm zu nehmen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte: Wer beruflich vorankommen will, muss sich auch gegen seine Mitbewerber durchsetzen können – mit Strategie und Taktik.
Schlachtfeld Büro. Die einschlägige Literatur bedient sich des militärischen Vokabulars und preist auch gleich das Wissen alter Militärstrategen wie etwa des chinesischen Feldherrn Sun Tzu an. Nicht ganz zu Unrecht: So verweist sogar der erfolgreiche Ex-General-Electric Chef Jack Welch in seinen Memoiren («Was zählt») auf den preussischen Offizier und Militärstrategen Carl von Clausewitz. Allen Theorien gemein ist: Am Anfang steht immer die Bestimmung des eigenen Status quo. Der Aufstiegswillige muss sich klar werden, ob er Angreifer oder Verteidiger ist. Wer neu und relativ weit oben in ein Unternehmen einsteigt, wird eher die Position des Verteidigers einnehmen. Eine der Techniken, die bei Machtspielchen intuitiv eingesetzt wird, ist das Streuen von Gerüchten. Die linke Tour zahlt sich allerdings nur kurzfristig aus: Wer als Dreckwerfer verschrien ist, riskiert langfristig, aufs Abstellgleis geschoben zu werden. Kein Chef hat schliesslich gerne einen Stuhlbeinsäger unter sich – könnte er doch selbst dessen nächstes Opfer sein.
Nicht alle Angriffe sind zudem offensichtlich. Karriereexperten beschreiben immer wieder Angriffe, die als nette Geste verkleidet sind. Der Buchautor Ulrich Dehner nennt zum Beispiel den häufigen Typ des so genannten Retters. «Der will nur Ihr Bestes. Und genau das sollten Sie ihm nicht geben.» Solche Kollegen übernehmen grosszügig erfolgreiche Projekte, um sich damit unentbehrlich zu machen. Oder sie setzen die angebotene Hilfe gezielt ein, um dem Neuling das Heft aus der Hand zu nehmen. Die Gegenstrategie: «Bedanken Sie sich für das Angebot, und erklären Sie, dass Sie vielleicht später darauf zurückkommen», rät Ulrich Dehner.
Wer solche Manöver schnell erkennt und pariert, handelt klug.
8. Nochmal mit Gefühl
Eine neuere Einsicht der Aufstiegsliteratur ist: Der Weg an die Spitze führt über Herz und Verstand, wobei Ersteres den Ausschlag gibt. Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten müssen die Mitarbeiter an ihre Führer glauben. Wer dann nur rational argumentiert und kopflastig ist, kann andere nicht für seine Ideen begeistern. Das können nur wenige. Denn während die Ratio in Studium und Berufsausbildung ganz selbstverständlich gedrillt wird, haben Emotionen im Lehrplan keinen Platz. Entsprechend entdecken die Karriereexperten nun die Welt der Gefühle – Schlagwort: emotionale Intelligenz.
Gute Führungskräfte, so der amerikanische Psychologe Daniel Goleman, der den Begriff vorrangig geprägt hat, sprechen die Emotionen ihrer Mitarbeiter an. Das geschieht, indem sie Resonanz erzeugen – also positive Gefühle wecken, die das Beste im Menschen hervorbringen. Um andere Menschen zu begeistern, muss man sich auch in die Gefühle seines Gegenübers hineinversetzen können. Das Interesse an dem Mitmenschen muss jedoch echt sein. Wer andere nur als Werkzeug missbraucht, wird schnell durchschaut.
9. Strahle, Mann!
Zum Chef kann man gemacht werden. Oder man ist dazu geboren. Für den ersten, weitaus beschwerlicheren Weg, muss der Kandidat in der Regel eine Karrieresprosse nach der anderen erklimmen. Für die zweite Variante reicht vor allem eines: Charisma.
Das Modewort hat tiefe Wurzeln. Als religiöses Konzept führte der Apostel Paulus den Begriff in die christliche Theologie ein. Er bedeutet Gnadengabe und steht für eine als übernatürlich empfundene oder nicht alltägliche Qualität eines Menschen. Charisma, das ist eine hoch konzentrierte Mischung aus natürlicher Selbstsicherheit, Charme, Humor, Leidenschaft. Der deutsche Soziologe Max Weber übertrug den Begriff später auf die moderne Gesellschaftspolitik. Im Charisma sah er einen von drei möglichen Führungsansprüchen: Neben der traditionellen Legitimation durch Erbfolge und den legalen Herrschaftsanspruch laut Gesetz gibt es für Weber auch die Autorität durch Charisma.
Das nicht Greifbare beflügelt Karrieren, denn charismatische Menschen umgibt eine Aura von Autorität, Macht und Schaffenskraft, die andere vereinnahmt und zu Höchstleistungen treibt. Den wenigsten ist diese Gabe in die Wiege gelegt, aber man kann sie sich immerhin in Teilen erarbeiten. Davon ist zum Beispiel der amerikanische Fachautor Anthony Alessandra überzeugt. Geradezu magnetische und elektrisierende Wirkung hat beispielsweise die Kunst des Zuhörens. Wer sie beherrscht, so der Motivationsguru, ist auf dem besten Weg, an Charisma zu gewinnen.
Wer wirkt, bewirkt mehr, lautet auch die Botschaft anderer Managementcoachs. Wie Alessandra sind sie davon überzeugt, dass sich am eigenen Charisma feilen lässt. Ihre Empfehlung: «Erkennen und arbeiten Sie an Ihren Fähigkeiten, verwirklichen Sie zielstrebig Ihre Lebensideen, und gewinnen Sie dadurch eine innere Harmonie, die auch nach aussen sichtbar wird. Das stärkt und beeinflusst auch andere.»
Die Managementgurus sind nicht die Einzigen, die sich mit dem magischen Karrierebeschleuniger auseinander gesetzt haben. Seit den Achtzigerjahren häufen sich wissenschaftliche Studien – vor allem aus den USA –, die zum Beispiel nach Wechselwirkungen von Charisma und Wirtschaftserfolg forschten. Für den angesehenen St.-Galler Managementberater Fredmund Malik hat die Charisma-Diskussion längst die Schmerzgrenze erreicht: «Irgendwie ist die Vorstellung in die Welt gekommen, Manager, insbesondere jene an der Spitze von Grosskonzernen, müssten eine Mischung aus Albert Einstein, Alexander dem Grossen und Thomas Gottschalk sein», kritisiert er. «Wirkliche Leader schaffen ihr Charisma durch Vertrauen.»
10. Heute hier, morgen dort
Früher war alles klar. Mit 25 Jahren fing die Karriere an, mit 65 hörte sie auf. Beim selben Unternehmen. Einen neuen Arbeitgeber suchte sich nur, wer mit dem alten nicht mehr zurechtkam. Ein Schandfleck im Lebenslauf.
Das hat sich geändert. Der Wechsel von Unternehmen und Aufgabengebiet ist längst üblich. Und wird auch gerne gesehen. Denn nach 10 oder gar 15 Jahren beim gleichen Arbeitgeber hat ein Angestellter die spezifische Kultur dort derart aufgesogen, dass er kaum mehr wechseln kann. Wie stark die Umgebung prägt, wird meist unterschätzt. Das merken viele erst, wenn sie nach vielen Jahren doch noch einmal zu neuen Ufern aufbrechen. Und sich, dort angekommen, auf einmal überhaupt nicht mehr zurechtfinden.
Zu viel Treue kann also in die berufliche Sackgasse führen. Zu viel Abwechslung aber auch. Wer seine Arbeitgeber stets nach zwölf Monaten wieder verlässt, zeigt, dass er wenig Durchhaltevermögen besitzt und dort nicht wirklich etwas bewirken konnte. Eine gewisse Kontinuität im Lebenslauf ist weiterhin gefragt. Personalexperten messen sie an einer festen Grösse: Ein Engagement sollte mindestens drei Jahre dauern.
Um sich für neue Aufgaben zu empfehlen, muss man sich ein möglichst breites Portfolio an Fähigkeiten zulegen. Gut, wenn man sich dazu ständig neue Herausforderungen auch innerhalb eines Unternehmens gesucht hat. Etwa durch den Wechsel in eine andere Abteilung oder einen längeren Abstecher ins Ausland. Das Prinzip eignet sich auch, wenn der Arbeitsmarkt infolge einer Krise vorübergehend düster aussieht. Hauptsache, in Bewegung bleiben.
Wie wichtig das ist, zeigt schon die Herkunft des Wortes «Karriere». Denn obwohl sich die Experten streiten, ob der moderne Begriff seinen Ursprung nun im lateinischen «carraria» (Fahrweg), dem französischen «garrière» (schnellste Gangart des Pferdes) oder dem italienischen «carriera» (Rennbahn) hat, wird doch eines deutlich: Stillstand und Karriere schliessen sich aus.
Autoren: Steffi Augter, Ulrich Groothuis, Thomas Katzensteiner, Jochen Mai, Cornelius Welp, «Wirtschaftswoche«, Düsseldorf.
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