Durch die verstärkte Orientierung am Shareholder-Value-Prinzip induziert, erlebt der Markt für Kapital und Verfügungsrechte derzeit eine Hochkonjunktur, weil in der deutschsprachigen Industrielandschaft viele diversifizierte Konzerne in Mergers & Acquisitions ein wirksames Mittel erkannt haben, um ihren Firmenwert durch die Übernahme unterbewerteter Kandidaten signifikant zu steigern. Während Unternehmen mit Mergers-&-Acquisitions-Aktivitäten bisher insbesondere die Erzielung von Marktmacht sowie Economies of scale und scope beabsichtigten, steht derzeit zunehmend die Zusammenführung von Kompetenzen und Wissen im Blickpunkt des Interesses (vergleiche Arthur, 1994, Seite 406 und folgende). Begründen lässt sich diese Schwerpunktverlagerung unter anderem damit, dass in der heutigen Informations- gesellschaft ein tendenziell wissensbasierter Wettbewerb vorherrscht. Das heisst, Wettbewerbsvorteile sind häufig gleichbedeutend mit Know-how-Vorteilen. Somit wird der Faktor Wissen beziehungsweise Know-how für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens zunehmend wichtiger. Die bisher wenig beachtete Schattenseite des wissensbasierten Wettbewerbs, in Gestalt von Know-how-Risiken, wird nachfolgend beleuchtet (hier beispielhaft bei Mergers & Acquisitions), und es werden Möglichkeiten der Bewältigung derselben aufgezeigt.
Wissensrisiken bei Mergers & Acquisitions
Deutsche und Schweizer Grossbanken diversifizieren im Rahmen von Akquisitionen zunehmend in den Bereich des Investmentbankings, wie die folgenden Übernahmen der letzten Jahre beispielhaft belegen: - Morgan Grenfell durch die Deutsche Bank, - Kleinwort Benson durch die Dresdner Bank, - First Boston durch die Kreditanstalt, - S.G. Warburg durch den Schweizerischen Bankverein, - Bankers Trust durch die Deutsche Bank (in Vorbereitung). Das auf diese Weise «erkaufte» Know-how soll in Verbindung mit Wissen, Können, Erfahrung und Reichweite der Universalbank zu einem Full-Service-Angebot im internationalen Investmentbanking integriert werden.
Dabei wird häufig übersehen, dass Fusionen und Akquisitionen zwar vielversprechende, aber auch riskante Transaktionen sind!
1. So besteht beispielsweise in hohem Masse Unsicherheit bezüglich des strategischen Werts des erworbenen Wissens.
2. Aber auch der Erhalt dieses neuerworbenen Wissens ist keinesfalls gesichert. Kündigungen entscheidender Wissensträger nach der Akquisition führen zur Zerstörung oder Entwertung der übernommenen Wissensbasis. Meldungen der Tagespresse im Zusammenhang mit Mergers & Acquisitions bestätigen dies.
So berichtete der «Tages-Anzeiger» am 1. April 1998, dass im Rahmen der Fusion zwischen der Schweizerischen Bankgesellschaft (UBS) und dem Schweizerischen Bankverein (SBV) ein ganzes Anlageberaterteam kündigte und zugleich eine massgebliche Gruppe aus dem «Warrant-Bereich» sowie fünf Experten, die im «Stillhalterbereich» für rund 60 Prozent des Marktanteils verantwortlich waren, zur Konkurrenz wechselten. Das «Wall Street Journal» berichtete zur gleichen Zeit, dass in New York 23 UBS-Investmentbanker von dem renommierten Wertschriftenhaus Donaldson, Lufkin & Jenrette übernommen wurden. Der Handelschef einer Börsenbank kommentierte diesen Vorfall sehr treffend mit den Worten: «Da geht der neuen Bank sehr viel Know-how verloren» (vergleiche Baumgartner, 1998). Mitarbeiter beklagen, nicht auf die Fusion vorbereitet worden zu sein, sie fühlen sich hintergangen und hegen Misstrauen gegenüber dem Unternehmen. Sie ziehen die Konsequenzen: Manche kündigen innerlich, die besten tun es wirklich. Es ziehen zahlreiche Experten trotz eines Übernahmeangebots einen Wechsel vor.
3. Die Zusammenführung von Prozessen und Strukturen der fusionierenden Banken löst Reibungsverluste und Widerstände aus. Die geforderte Anpassung an veränderte Abläufe verunsichert zahlreiche Mitarbeiter oder bewirkt, dass sie unzufrieden sind. Angst und Unsicherheit lähmen die Bereitschaft, Wissen einzubringen und es mit den neuen Kollegen zu teilen.
4. Aus der Know-how-Risikoperspektive besteht bei Mergers-&-Acquisitions-Aktivitäten zudem die Gefahr, dass man nicht nur gezielt diejenigen Fähigkeiten und Kompetenzen erwirbt, die man sich aneignen möchte (vergleiche Hamel/Prahalad, 1994, Seite 166 und folgende). Beim Zusammenschluss von UBS und SBV ist es auf die weitgehende Homogenität der beiden Banken hinsichtlich formaljuristischen Status, Organisationsaufbaus, internen Informationsflusses, qualitativer und quantitativer Personalausstattung sowie wettbewerbsstrategischer Parameter (zum Beispiel strategischer Ziele, Zielgruppen, Innovations- und Internationalitätsbestrebungen, angebotener Leistungspalette usw.) zurückzuführen, dass damit für Know-how bezahlt wurde, über das bereits verfügt wurde. Im personellen Bereich heisst dieses, es treffen Manager mit ähnlichem Qualifikationsniveau und Erfahrungswissen zusammen, die in den zuvor getrennten Banken gleiche Funktionen innehatten und nun um dieselbe Stelle in der zukünftigen UBS AG konkurrieren. Derartige Abgrenzungskonflikte sind nicht nur in der obersten Führungsriege zu beobachten, sondern das Hickhack um die Stellenbesetzung durchzieht die Organisation bis an die Basis (vergleiche «Tages-Anzeiger» vom 31. März 1998, Titelseite).
5. Im Kampf um einzelne Positionen und Anstellungsverträge setzen sich nicht immer diejenigen durch, die auch qualitativ am besten sind (vergleiche Hafner, 1998, Seiten 1 bis 4). Für diese Art des Know-how-Risikos werden die starren Hierarchien verantwortlich gemacht. Da insbesondere die ehemaligen UBS-Mitarbeiter an klare Formen gewöhnt sind, können sie sich in dem komplexen Fusionsprozess nur schwer gegenüber den als flexibler geltenden Bankverein-Mitarbeitern behaupten (vergleiche Hafner, 1998, Seiten 1 bis 4).
6. Dieser «postfusionelle Machtpoker» erstreckt sich auch auf Entscheidungstatbestände in Verbindung mit der Zusammenführung teilweise sehr heterogener Geschäftsprozesse und Projektabläufe. Der Integrationsprozess macht hochgradig komplexe Veränderungen etablierter Strukturen und Prozesse erforderlich. Dabei sind organisatorische Know-how-Risiken deutlich erkennbar: So wird beispielsweise durch das fusionsbedingte Zusammentreffen unterschiedlicher, meist nicht kompatibler Betriebssysteme das darin gespeicherte Wissen bedroht.
Nach der Fusion von Bank Wells Fargo und First Interstate sollten die Computersysteme der beiden kalifornischen Banken innerhalb von sieben Monaten angepasst und zusammengeschaltet werden (vergleiche Schäfer, 1998, Seiten 132 und folgende). Doch bei der Einbindung der über 1000 First-Interstate-Niederlassungen in das Wells-Fargo-Netzwerk kam es immer wieder zu Systemausfällen. Mehrere Tage lang war das bankweite Computersystem ausser Betrieb. Ein Grossteil des durchschnittlichen täglichen Checkaufkommens blieb unbearbeitet, darunter ungedeckte Checks, die nicht rechtzeitig zurückgegeben werden konnten. Dadurch mussten rund 180 Millionen Dollar, die das Kreditinstitut angeblich auf seinen Konten hatte, aber nicht finden konnte, abgeschrieben werden. Zudem schrumpfte das Einlagenvolumen um 10 Prozent gegenüber 1997, und es war ein Rückgang der Kontenzahl zu verzeichnen. Mit den Kundenabwanderungen ging auch das in der Kunde-Bank-Beziehung steckende Know-how verloren.
7. Zudem kann sich nur ein Betriebssystem durchsetzen; dies hat zur Folge, dass die Fähigkeiten und Kompetenzen im Umgang mit dem abgelehnten System meist obsolet werden. «Der Versuch, die EDV-Systeme von zwei Unternehmen zu verschmelzen, wird immer scheitern. Man muss sich für eins entscheiden» (Peter Hoch, Vorstand Hypobank, zitiert bei Schäfer, 1998, Seite 135).
8. Die konträren Unternehmenskulturen von Citicorp und Travelers Group werden als weitere Know-how-Risikoquelle identifiziert. Es treffen unterschiedliche Führungsstile, Arbeitsweisen und Managementphilosophien aufeinander. Mit dem Zusammenwachsen der beiden Banken bricht zugleich ihre spezifische traditionelle Unternehmenskultur auseinander und damit auch das darin verhaftete (implizite) Wissen in Form von Arbeitsweisen, «ungeschriebenen Regeln und Gesetzen», informellen Netzwerken, Ansprechpartnern sowie Vertrauen. Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit anderen Kollegen und das Wissen darüber, wer die Experten im Unternehmen sind, verlieren durch die Fusion an Wert. Darüber hinaus behindern kulturelle Barrieren den Aufbau beziehungsweise die Nutzung einer gemeinsamen Wissensbasis. Der organisatorische Wissensfluss wird insbesondere durch inkompatible Wertesysteme und die Unterschiedlichkeit der Normengeflechte der aufeinandertreffenden Subkulturen gehemmt (vergleiche Schüppel, 1996, Seite 175).
Die vorangegangenen Beispiele haben gezeigt, dass Know-how-Risiken im Zuge von Fusionen und Akquisitionen sowohl durch unerwünschten oder unfreiwilligen Abfluss als auch durch die Vernichtung, die Substitution, Fehlallokation oder Nichtnutzung kritischen Wissens auftreten können. In der Tabelle (siehe Seite 13) sind die Beispiele und Auswirkungen der geschilderten organisatorischen Know-how-Risiken zusammengefasst.
Der Schutz vor Wissensrisiken ist elementar für den künftigen Erfolg
kein unternehmen, das im wissensintensiven Wettbewerb steht, kann es sich leisten, Wissen zu verlieren. Dies legt den Schluss nahe, dass Know-how-Risiken handhabbar und kalkulierbar gemacht werden müssen. Dabei wird eine systematische Vorgehensweise anhand des auf Seite 13 abgebildeten Regelkreises empfohlen. Die Tabelle auf Seite 14 zeigt, wie Know-how-Risiken abgesichert werden können.
1. Zur Reduzierung von Know-how-Risiken, die im Zuge der Vereinheitlichung von Arbeits- und Organisationsabläufen entstehen, haben die Manager der künftigen Bayerischen Hypotheken- und Vereinsbank folgenden Weg gefunden:
Ganze Arbeitsschritte sollen «en bloc» von einer der Banken übernommen werden (vergleiche Schäfer, 1998, Seite 135). So orientieren sich die Fusionspartner zum Beispiel bei der Neudefinition des Kreditvergabeprozesses von der Entscheidung hinsichtlich der Formulare über die Reihenfolge der Bearbeitung bis hin zu den Zuständigkeiten entweder an der Hypothekenbank oder an der Vereinsbank. Der Versuch, sich aus beiden bisherigen Systemen die «Rosinen» herauszusuchen, um nach dem perfekten Prozess zu streben, wird bewusst unterlassen. Bei diesem Unterfangen drohen zu viele neu entstehende Schnittstellen. Sie können kaum wieder zusammengefügt werden. Da scheint den Bankern die risikofreie 80-Prozent-Lösung die geeignetere Alternative zu sein.
2. Um dem Verlust an Humankapital durch Kündigung vorzubeugen, sind entscheidende Mitarbeiter frühzeitig in den Fusionsprozess einzubeziehen.
3. Es gilt, die Ungewissheit bei Mitarbeitern zu reduzieren. Dabei ist Schnelligkeit hinsichtlich der Entscheidung, ob und in welcher Position Mitarbeiter weiterbeschäftigt werden, gefordert.
4. Die Abwehrhaltung der Mitarbeiter abzubauen erfordert viel Geduld.
5. Um Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Investoren nicht zu verlieren, sind sie über den aktuellen Stand und die Details der Fusion umfassend in Kenntnis zu setzen. Die offene Kommunikation sollte eine «Zweibahnstrasse» darstellen, um Organisationsstrukturen, Arbeitsabläufe, Produkte und Dienstleistungen im neuen Unternehmen möglichst zielgruppenorientiert zu gestalten.