Es war ein Donnerschlag, als Jörg Wolle letzten Herbst seinen Rücktritt als DKSH-Präsident auf die Generalversammlung im März 2019 ankündigte. Der Abgang erfolgte nur knapp zwei Jahre nach Amtsantritt und überraschte umso mehr, als Wolle in seinen 15 Jahren zuvor als operativer Chef den Handelskonzern so fest im Griff gehabt hatte wie kein Zweiter. DKSH – das war Wolle.
Der Widerhall auf den angekündigten Weggang war intern gewaltig und hält bis heute an, wie Recherchen der «Handelszeitung» zeigen. Der auf Asien fokussierte Handelskonzern steht personell am Scheideweg. Denn nebst Wolle sind offenbar drei weitere Verwaltungsräte, unter ihnen ein Grossaktionär, drauf und dran, sich von DKSH zu verabschieden. Genannt werden Theo Siegert, Vorsitzender des Strategieausschusses, David Kamenetzky, Chefstratege des Biergiganten Anheuser-Busch InBev, und Robert Peugeot, der im Vergütungs- und Nominationsausschuss sitzt. Die Firma will sich zu möglichen Abgängen nicht äussern.
Peugeot, Spross des französischen Autobauers, präsidiert gleichzeitig die Investmentholding FFP, die grossmehrheitlich der Peugeot-Familie gehört und 5,9 Prozent an DKSH hält. FFP ist hinter dem Diethelm-Keller-Familienpool – er hält 46 Prozent – der grösste Einzelaktionär des Handelskonzerns. Peugeots Abschied aus dem Verwaltungsrat könnte, so vermuten Insider, über kurz oder lang auch den finanziellen Ausstieg der Franzosen aus DKSH bedeuten. Deren Aktienpaket ist derzeit rund 285 Millionen Franken wert.
Neues Machtzentrum
Der mutmassliche Exodus aus dem Verwaltungsrat lässt aufhorchen. Offenbar ging dem Abgang von Wolle und Co. ein Richtungsstreit im Gremium voraus. Dass sich das Verhältnis zwischen dem Handelskonzern und seinem Präsidenten eintrüben würde, zeichnete sich letzten Frühsommer ab. Da machte Wolle, der gemäss «Bilanz» geschätzte 200 bis 250 Millionen Franken schwer ist, einen Grossteil seiner DKSH-Aktien zu Geld: genauer gesagt 342 000 Stück oder 90 Prozent der Anteile am Asien-Dienstleister, für die er 27,2 Millionen Franken löste.
Das präsidiale Cash-out war ein unverholenes Misstrauensvotum an die Adresse der neuen operativen Führung um Stefan Butz, der seit April 2017 als DKSH-Chef amtet. Sein Langzeitvorgänger Wolle hatte ihn zuvor für stolze 4,3 Millionen Franken Handgeld väterlich ins CEO-Amt eingeführt. Doch schon bald war klar, dass sich der Neo-Präsident und der Neo-Chef in die Wolle geraten würden.
Der Präsident gebärdete sich weiter als Alleinherrscher, derweil der Konzernchef in seinem Schatten stand. Butz soll sich im Verwaltungsrat deshalb an die Familienaktionäre Andreas Keller und dessen Cousin Adrian Keller gehalten haben. Seine Forderung: Mehr Ellbogenfreiheit.
Die Machtfrage spitzte sich weiter zu, bis der Diethelm-Keller-Clan dem dominanten Wolle beschied, die Zukunft ohne ihn bewältigen zu wollen. Der Bruch zwischen den langjährigen Weggefährten war komplett. Der angesäuerte VR-Präsident blies zum Rückzug und stiess sein üppiges Aktienpaket ab. Der Kehraus freilich war nicht zur Freude der Altaktionäre, denn mit dem Losschlagen seines Pakets stürzte der DKSH-Kurs fast senkrecht ab und vernichtete 800 Millionen an Börsenwert. Denn auch der abtretende Verwaltungsrat und Financier Rainer-Marc Frey entledigte sich seiner DKSH-Anteile. Praktisch zeitgleich mit Wolle.
Die Trennung vom Alpha-Präsidenten fiel den Keller-Cousins indes nicht schwer, im Gegenteil. Intern waren längst Zweifel aufgekommen, ob Wolle wirklich das Geld wert war, das er in seiner langen Regentschaft anhäufen durfte. Denn der fürstlich vergütete Manager aus Sachsen hat im Unternehmen nicht nur blühende Landschaften hinterlassen. Die Profitabilität lässt jedenfalls zu wünschen übrig. Der Gewinn pro DKSH-Aktie stagniert seit Jahren. Auch Wolles Umsatz und Gewinn-Ziele für 2016, die er drei Jahre zuvor proklamiert hatte, wurden nicht annähernd erreicht. Und die Wachstumsfantasien in Asien trüben sich gerade rapide ein.
Der auf maximale Macht und Honorierung ausgerichtet Wolle musste jedenfalls zusehen, wie sich das Gefüge im obersten DKSH-Gremium zu seinen Ungunsten verschob. Sein Abschieds-Communiqué lud Wolle, der keine drei Monate zuvor fast sein gesamtes Aktienpakt abgestossen hatte, noch einmal richtig mit Pathos auf: «DKSH ist auf Kurs für eine erfolgreiche Zukunft.»
Auch Topmanagerin verabschiedet sich
Der frohgemute Gruss zum Abschied konnte freilich nicht kaschieren, dass der Haussegen schief hängt. Einen Monat nach Wolles Abgangsankündigung vermeldete der Handelskonzern, dass Kommerzchefin und Leiterin der Konsumgüter-Sparte Martina Ludescher DKSH ebenfalls verlassen würde. Eine pikante Personalie: Auch Ludescher ist mit 16 Konzernjahren ein Urgestein. Die heute 41-jährige Topmanagerin startete 2003 als Wolles Assistentin und galt seither als dessen Protegée, die rasch die Karriereleiter erklomm.
Aufgrund von «Differenzen in der strategischen Orientierung und in der Implementierung organisationaler Massnahmen», schrieb die Firma, habe sie DKSH verlassen. Im Klartext: Ludescher und Butz waren sich nicht grün. Mit dem Sukkurs des Verwaltungsrates konnte der Konzernchef Butz schliesslich durchgreifen und die Ära Wolle ausläuten. Doch noch ist das eindrückliche Kapitel Jörg Wolle in der Firmenchronik des Handelshauses nicht definitiv geschlossen. Die letzte Korrektur, so scheint es, steht im Verwaltungsrat kurz bevor.
Das Aktienpaket der französischen Investmentholding FFP am Handelskonzern DKSH ist rund 285 Millionen Franken wert. Dies entspricht einem Anteil von 5,9 Prozent. Die FFP wird im VR der DKSH vom Autoerben Robert Peugeot vertreten.
Die Titel des Zürcher Handelshauses DKSH haben im Jahresvergleich rund einen Sechstel ihres Werts eingebüsst. Die Aktien des in Asien exponierten Konzerns sind damit stärker gefallen als der breite SPI, der um 7 Prozent gesunken ist.