Im Juni war Dominik de Daniels Leben auf vier Kontinente verteilt. Bermuda, New York, Sydney, Auckland, Singapur, Stockholm, Zürich – diese Stationen spulte der Adecco-Finanzchef für seinen Arbeitgeber ab. Ein Youngster, der es mit seiner zupackenden Art weit gebracht hat, der mit Siebenmeilenstiefeln Karriere machte. Laufschuhe hat er immer im Gepäck.
Der 37-Jährige ist einer von 40 Köpfen, die BILANZ in einer Nachwuchs-Leistungsschau zeigt. 40 unter 40-jährige Hoffnungsträger. Mit Headhuntern, Branchenexperten und Start-up-Beobachtern ist eine überraschende Liste zusammengekommen. Insbesondere in den Wissenschaften und im Start-up-Bereich machen sich risikofreudige Talente auf, Neues zu wagen, unkonventionelle Wege zu gehen, womöglich als «Gamechanger» aufzutreten. Geht es aber darum, in einer exportstarken, börsenkotierten Firma hochzukommen, macht sich der Auftritt im globalen Massanzug, im East-meets-West-Kostüm, am besten.
De Daniel passt gut zum Sittenbild, wie es Claudia Bucheli Ruffieux, Partnerin bei der Executive-Search-Firma Amrop, von der aufstrebenden «Generation grenzenlos» malt: Diese zeichnet sich aus durch «grenzenlose geografische Mobilität, grenzenlose zeitliche Verfügbarkeit, grenzenlose Anpassungsfähigkeit». Der globale Wanderarbeiter ist «überall auf der Welt zu Hause, über alle Zeitzonen hinweg erreichbar, und er kann sich laufend an veränderte Situationen anpassen». Gefragt ist eine Art Starbuckisierung des persönlichen Mindsets, «die Fähigkeit zum Aufbau einer internationalen Denkweise und Werthaltung», so Bucheli Ruffieux: «Starke Verwurzelung und das konsequente Leben der eigenen Werte können in der globalisierten Wirtschaft eher ein Hindernis sein.»
Jugendbonus ade. Wer reüssieren wolle in einer Grossfirma, sagt Martina Ludescher, müsse über «Neugier, Durchsetzungskraft und Einsatzfreude verfügen». Ludescher (35) ist Head Corporate Development bei DKSH, Dienstleistungskonzern für die Marktexpansion in Asien. Sie bildete beim erfolgreichen diesjährigen Börsengang der Firma mit dem CEO und dem Finanzchef das Vorbereitungs-Kernteam. Mit Weiterbildungen in Thailand und Kalifornien holte sie sich das Rüstzeug, um mit 33 in die DKSH-Konzernleitung gewählt zu werden. Zwölf der 40 «High Potentials» sind weiblich; wie ihre männlichen Pendants bereit für den nächsten Sprung.
Wenn sie denn von den Verwaltungsräten herangelassen werden. Denn anders als kurz nach der Jahrtausendwende, als die Old-Boys-Netzwerke auseinanderfielen und man vielerorts gewillt war, jungen Talenten eine Chance zu geben, sei Jugend per se heute kein Asset mehr bei der Suche nach Kaderleuten, sagt Guido Schilling, Headhunter und Verfasser des «Schillingreport»: «Die ständigen Höhen und Tiefen unserer Wirtschaft seit 2007 führen dazu, dass Jugend und Unerschrockenheit bei der Selektion keine Kriterien mehr sind. Die Verwaltungsräte stehen unter gewaltigem Druck und wollen die höchstmögliche Gewissheit über den Leistungsausweis ihrer Konzernleitungsmitglieder.» Habe man früher eher auch einmal einen mutigen Entscheid gefällt, so werde Erfahrung heute wieder deutlich stärker gewichtet, sagt Schilling: «Einstellungsentscheide auf Topmanagement-Ebene fallen viel rationaler aus.» Seit 2010 geht die Zahl der unter 40-jährigen Geschäftsleitungsmitglieder in den grössten Schweizer Firmen zurück (siehe Grafik unter 'Downloads).
Auf der anderen Seite hat sich in der Schweiz eine starke Gründerszene gebildet mit unkonventionellen Köpfen, die ihre Ideen abseits von Grossfirmenpolitik durchsetzen wollen.
«Ich sehe uns als eine Art Sandwich-Generation», sagt Firmengründerin Dania Gerhardt (32), «die Altvorderen waren noch nicht Teil der Computer-Revolution, unsere Nachfolger hatten schon Internet im Kinderzimmer. Wir sind sozusagen halbdigital aufgewachsen – und kennen uns dafür in beiden Welten aus.» Ähnlich sieht es Kulturunternehmer Christian Jott Jenny: «Selbstverständlich nutze ich Facebook. Aber wenn es kompliziert wird, steige ich lieber ins Flugzeug und treffe die Entscheider.» Diesbezüglich, sagt der 32-Jährige, sei er «uralte Schule»: «Einen Kaffee zu trinken mit den richtigen Leuten, ist besser, als 300 Mails hin und her zu schicken.»
Achterbahnfahrt. Sandro Gianella vom Executive-Search-Unternehmen Knight Gianella sieht eine weitere Besonderheit: Die Generation der heute 30- bis 40-Jährigen war zeit ihres Berufslebens mit Leistungsdruck und sinkenden Löhnen konfrontiert. «Die Unbeschwertheit ist verflogen», sagt Gianella, «viele sorgen sich darum, künftig ihren Lebensstandard halten zu können.» In seinem Besprechungszimmer häufen sich auch die Diskussionen über die Kehrseite des Karrieredenkens: «Früher stand Erfolg über allem», sagt der Headhunter, «heute wird mir die Frage nach dem Preis des Erfolgs und den damit verbundenen persönlichen Risiken gestellt.»
Laut Gianella ist das klassische Bild der unablässig nach oben führenden Karriereleiter passé; heute gehe es in der Laufbahn hinauf und hinunter. Durch die seit Jahren anhaltende Permakrise hat ein grosser Teil der Generation unter 40 (U40) gelernt, mit Brüchen in ihrer Vita umzugehen. Dania Gerhardt erzählt: «Unsere Ursprungsfirma Amazee war als eine Art produktives Facebook gedacht; auf unserem globalen Aktionsnetzwerk sollten Personen und Organisationen gemeinsame Projekte anschieben können. Als das nicht wie gewünscht reüssierte, mussten wir durch eine harte Findungsphase, die Abbau und Lohnkürzungen brachte.» Eine Delle, kaum hatte das Firmenbaby laufen gelernt. Gerhardt kriegte die Kurve: «Gleichzeitig merkten wir, dass externe Firmen Interesse an unserer Online- und Social-Media-Kompetenz hatten. Dadurch wandelten wir uns zur Webagentur, die für Unternehmen Websites, etwa Mitarbeiterportale, entwickelt. Zu unseren Kunden gehören Osec, Swiss Re oder SRF Schweizer Radio und Fernsehen.»
Auch Christian Jott Jenny griff schon ins Leere. Etwa als er 2010 eine Leo-Wundergut-Reihe mit 15 Abenden in der Zürcher Maag Event Hall absagen musste: «Das war eine heavy Baisse, Geld im sechsstelligen Bereich ging verloren. Die Zeiten waren schlecht, wir verkauften zu wenig Tickets.» Im Rückblick analysiert er: «Am schlimmsten wäre es gewesen, wenn die Branche das Vertrauen in mich verloren hätte. Was aber nicht geschah: Alle Geschäftspartner reagierten extrem professionell.»
Chancen im Detailhandel. Neben der künstlerischen und der digitalen Welt ist die Generation U40 in zwei anderen Bereichen tonangebend. Zum einen in der Top-Hotellerie: Viele Juwele der Schweizer Gastfreundschaft werden von jungen Spitzenkräften geführt. Fiorenzo Fässler, Tourismus-Spezialist und Ex-Geschäftsführer der Swiss Deluxe Hotels, ist der Run der Jugend aufgefallen: «In der Spitzenhotelszene hat ein Paradigmenwechsel eingesetzt.» Fässler weist darauf hin, dass der Generation U40 heute Prestigehäuser wie das Eden Roc in Ascona, das Tschuggen in Arosa oder der Kronenhof Pontresina anvertraut sind. «Weil elektronische Verkaufskanäle, Bewertungssysteme und der Umgang mit dem Web immer wichtiger werden, könnte dies einer der Gründe für den Generationenwechsel sein.»
Ein verschwiegener Sektor lässt ebenfalls die Jungen heran: die deutschen Harddiscounter. Sowohl Timo Schuster (36), Chef von Aldi Suisse, wie auch Matthias Oppitz (35), das Pendant bei Lidl Schweiz, sind unter 40. Weder Schuster noch Oppitz wollten sich zu Vita und Zielen äussern. «Junge Länderchefs sind bei Aldi und Lidl nicht unüblich», sagt Discount-Experte Matthias Queck vom Handelsinformationsdienst Planet Retail, man müsse aber ihre Funktion richtig interpretieren: «Weil das System Discount hochgradig standardisiert ist, kommt den Länderchefs keine grosse strategische Rolle zu, sondern der Umsetzung. Da zählt Dynamik möglicherweise mehr als Erfahrung.» Für die Karriere sei aber die Länderchef-Position in jungen Jahren als Vertrauensbeweis der Firma nicht zu unterschätzen.
Dynamik wird der U40-Truppe bedenkenlos zugeschrieben. Ums Vertrauen muss sie aber im Kontakt mit Geschäftspartnern aus dem Senior Management auch mal kämpfen. Was die Business-Kids aber easy hinbringen, wie Kulturunternehmer Jenny, der seit seinem elften Altersjahr Events aufzieht, beiläufig erzählt. Seine Jugendlichkeit spiele im Kontakt mit sehr viel älteren Verhandlungspartnern letztlich keine Rolle: «Wenn ich mich zum ersten Mal mit neuen Geschäftspartnern treffe, hat es einen Überraschungseffekt. Ansonsten aber ist es egal. Mir auch. Denn meine Jugend habe ich mit 30 abgelegt.»
Mitarbeit: Corinne Amacher