Es gab mehrere bestens qualifizierte Bewerber. Aber mit ihrem zurückhaltenden Auftreten verblassten sie neben dem Star in der Runde. «Ich habe über 500 Business-Kontakte, diese ganzen Assets bringe ich mit», warf er cool und mit der Miene des Gewinners in die Runde. Das machte Eindruck, auch bei Klaus Schuster, dem aus Österreich stammenden ehemaligen Bankmanager, heute als Executive Coach und Buchautor tätig.
Ernüchterung stellte sich bald ein. Die Leistung des selbst ernannten Überfliegers hinkte sogar jener des schwächsten Kollegen hinterher. Die Kontakte nämlich waren gar keine richtigen. Es handelte sich um gehortete Visitenkarten von Messebesuchen – nutzlos, weil nie aktiv bearbeitet. «Wir waren auf einen Blender hereingefallen», gibt Schuster unumwunden zu.
Laut-, Schnell- und Vielredner gelten als klüger
Ausnahme oder Regel in unserer Arbeitswelt? Die Regel, ist Klaus Schuster überzeugt. Das Credo lautet schliesslich seit Jahren: Feilen Sie am eigenen Image! Vermarkten Sie sich selbst! Das kommt jenen entgegen, die den grossen Auftritt lieben – auch wenn sie dabei öfters viel Tamtam um wenig machen und eigentlich keine besondere Leistung vorzuweisen haben.
Mehr Schein denn Sein, dies hängt mit der Wahrnehmung in unserem Kulturkreis zusammen: Als durchsetzungsstark und erfolgreich werden diejenigen eingestuft, die auftrumpfen und eine kesse Lippe riskieren. Laut-, Schnell- und Vielredner gelten als klüger. Ihnen wird mehr zugetraut als jenen, die sich selten zu Wort melden und lieber im Hintergrund agieren.
Leise im Nachteil
Mit dem Ergebnis, dass die Stillen den Kürzeren ziehen und manchmal, ungeachtet hervorragender Leistungen, zum x-ten Mal in einer frühen Bewerbungsrunde ausscheiden, bei Beförderungen übergangen werden oder sogar den Job verlieren.
Sylvia Löhken aus Bonn arbeitet als Kommunikationsberaterin und hat Bücher über extrovertierte und introvertierte Menschen geschrieben. Einer Klientin von ihr wurde die Kündigung nahegelegt. Sie kommuniziere nicht offensiv genug, lautete die Begründung der Vorgesetzten. Die Introvertierte ging – und hinterliess eine grosse Lücke. Abläufe funktionierten nicht mehr, wertvolle Kundenkontakte brachen weg. Die Chefin wusste nicht, dass sie einer der kompetentesten Mitarbeiterinnen den Laufpass gegeben hatte.
Daraus zu folgern, stille Schaffer seien Opfer der Umstände und trügen gezwungenermassen die Nummer zwei auf dem Rücken, wäre allerdings falsch, betont Sylvia Löhken, die sich selbst als introvertiert bezeichnet. Den Leisen, die etwas erreichen wollen im Job, rät sie zu einem mehrstufigen Strategieplan. Am Anfang steht die Regel: Erkennen Sie sich selbst, und akzeptieren Sie sich, wie Sie sind.
Karrierefördernde Eigenschaften
«Intros ticken anders als Extros», sagt die Kommunikationsberaterin. Sie hätten eine längere Leitung, was allerdings nicht heisse, dass sie begriffsstutzig seien. Im Gegenteil: Ihr Gehirn arbeite stets auf Hochtouren, werte ständig Informationen aus, gleiche unaufhörlich ab, was in ihnen vorgehe und um sie herum passiere. Selten komme deshalb bei Introvertierten die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Es dauere länger, bis sie die richtigen Worte gefunden und gesetzt hätten, dafür sei die Qualität oft fundierter.
In sich Gekehrten sagt man zudem eine Reihe von Eigenschaften und Fähigkeiten nach, die eigentlich karrierefördernd sein müssten: analytisches Denken, sich in etwas versenken zu können, es von allen Seiten zu beleuchten, komplizierte Sachverhalte zu durchschauen. Sorgfältiges Arbeiten gehört dazu, genaues Beobachten, gutes Zuhören. Darüber hinaus beharrlich sein, konsequent bleiben, nicht aus der Ruhe geraten.
Wer dabei an Angela Merkel, Bill Gates oder Mark Zuckerberg denkt, liegt richtig. Sie zählen zu Promi-Beispielen introvertierter Menschen, die alles erreicht haben. Sie freilich müssen keinem mehr etwas beweisen.
Konkurrenz ist wachsam
Der Chef wird es schon wahrnehmen und würdigen, dass ich meine Sache gut mache – beim Durchschnittsangestellten funktioniert dies leider nicht. Zum einen, weil Vorgesetzte und Kollegen in einem scharf getakteten Arbeitsalltag den Kopf voll haben mit anderen Dingen. Zum anderen, weil die Konkurrenz wachsam ist. Junge und gut ausgebildete Leute drängen auf den Markt und wollen nach oben. «Da ist es entscheidend, immer wieder seine Qualitäten unter Beweis zu stellen», sagt Patrick Rohr, ehedem TV-Moderator, heute als Kommunikationsberater tätig.
Hier kommt wieder der Begriff der Selbstvermarktung aufs Tapet. Der aber ist den Stillen ein Graus. Weil er danach klingt, seine Haut zu Markte zu tragen und seine Dienste lauthals anzupreisen. Und das können sie nicht, oder sie wollen es nicht. Oder es kommt beides zusammen. Rohr, selbst dezent im Auftreten, betont, dass es nicht darum gehe, für sich selbst grosse Werbekampagnen zu fahren, es aber sehr wohl notwendig sei, sein relevantes Umfeld gelegentlich wissen zu lassen, womit man sich gerade beschäftigt oder was man Neues auf die Beine gestellt hat. «Und das geht unaufdringlich», ist er überzeugt.
Eine der wichtigsten Regeln
Ruhigeren Naturen kommt dabei eine weitere Eigenart zugute: Auch sie pflegen ihr Netzwerk, aber punktuell und damit nachhaltiger. Sie gehen beispielsweise mittags nur mit einzelnen Kollegen essen, führen dort Gespräche, die tiefer gehen, bauen vertrauensvolle Beziehungen auf. Sie bleiben gut und gerne in Erinnerung. Und wenden damit eine der wichtigsten Regeln des «Selbstmarketings für Fortgeschrittene» an, ohne es vielleicht zu wissen: dafür sorgen, dass andere darüber reden, was man Gutes tut.
Dazwischen können die Stillen immer mal wieder selbst Akzente setzen, zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle. Das kann zum Beispiel ein Hinweis sein, die neue, selbst kreierte Website sei jetzt online. Sie können auch ein noch nicht ganz ausgereiftes Produkt bei ihren Kollegen in die «Vernehmlassung» geben. Oder das Zweiergespräch mit dem Teamleiter suchen und ihn im Detail darüber informieren, welchen Anteil sie selbst an laufenden Projekten und den erzielten Erfolgen haben.
Am Auftritt feilen
Sich selbst treu bleiben, keine Show abziehen. Und es nicht den Lauten abschauen wollen, denn das wirkt aufgesetzt und unglaubwürdig. «Es gibt begnadete Selbstvermarkter», sagt der Luzerner Executive Coach Othmar Fries. Diese Talente haben einen Vorsprung in unserer Arbeitswelt, keine Frage. Und es gilt zu unterscheiden zwischen Blendern und jenen, die gute Arbeit leisten – und zudem noch die naturgegebene Fähigkeit besitzen, diese gekonnt zu verkaufen.
Aber auch zurückhaltende Typen können an ihrer «Auftrittskompetenz» feilen, wenngleich es für sie aufwendiger ist, in der Regel Überwindung kostet. Und sie es erst lernen müssen, sich so ins Spiel zu bringen, dass es stimmig rüberkommt.
Sachlich, sauber belegbar, unaufgeregt
So wie die 45-jährige Hightech-Ingenieurin mit abgeschlossenem ETH-Studium plus MBA, top qualifiziert und top motiviert, etwas Neues anzupacken. Angesichts des Fachkräftemangels in der Branche eine begehrte Bewerberin? Mitnichten.
Zu Vorstellungsgesprächen wurde die bescheiden und schüchtern wirkende Frau selten eingeladen, und konnte sie sich irgendwo vorstellen, flog sie schnell aus dem Rennen. Sie entschied sich für ein Karriere-Coaching. Dringende Empfehlung dort: sich ihre beruflichen Erfolge vergegenwärtigen und dokumentieren. Erst so wurde der Ingenieurin bewusst, was sie bis anhin alles geleistet hatte, und sie konnte in ihren Bewerbungsunterlagen und weiteren Vorstellungsgesprächen entsprechend argumentieren – sachlich, sauber belegbar, unaufgeregt. Ganz so, wie es ihre Art ist.
Den Blick schärfen
Buch führen über die eigene Arbeit – das empfehlen Fries und Löhken auch anderen Introvertierten. Denn sie neigen eher dazu, eigene Erfolge zu unterschätzen, zu schmälern oder für selbstverständlich zu halten.
An sich arbeiten und sich immer wieder ins Gespräch bringen, das ist eine Sache. Die andere ist, nicht automatisch vom glänzenden Auftritt auf die Leistungsfähigkeit zu schliessen. Führungskräfte sollten lernen, Blender zu enttarnen. Und den Blick dafür zu schärfen, was die leisen Leister alles stemmen.
Das Team schätzen lernen
«Management by walking around», nennt Klaus Schuster dieses Prinzip. Chefs und Chefinnen gehen dabei in die Büros und an die Arbeitsplätze, schauen den Leuten wohlwollend über die Schulter und stellen Fragen: Woran arbeiten Sie gerade? Wie läuft es? Wo sind die heiklen Stellen? Wie packen Sie es an? Was ist der Stand, was das Ergebnis bislang? Vorgesetzte dürften nirgendwo ehrlichere und aufschlussreichere Antworten erhalten. Wenn sie es ganz genau wissen wollen, können sie sich vor Ort noch entsprechende Arbeitsproben zeigen lassen.
«Wieso sehen wir Führungskräfte dann so selten?», wird Klaus Schuster von introvertierten Menschen oft gefragt. «Ich könnte ihnen doch zeigen, was ich draufhabe.» Weil sie unter ihrer «Verhaltensprädisposition» leiden, antwortet er dann. Ein extrovertierter Boss unterhält sich lieber mit seinesgleichen. Während sich ein introvertierter selbst zu wenig aus seinem Schutzbau heraustraut.
Deshalb: Wollen Chefs ihr Team kennen und schätzen lernen, sollten sie über ihren Schatten springen. Was sich lohnen kann, denn sie werden dort auf Leistungsträger stossen, wo sie es vielleicht am wenigsten vermutet haben.