Sind Schweizer Banken gute Risikomanager? Die Frage ist einfach gestellt, eine Antwort fällt schwer. Aus der Sicht der Theorie lässt sich das Thema unter zwei Blickwinkeln betrachten: Einerseits kann man untersuchen, ob die Risiken der Banken gut oder schlecht sind. Denn Risiken sind nicht unbedingt schlecht. Finanzielle Risiken zu übernehmen, kann als eine Hauptaufgabe der Banken betrachtet werden. Aus dieser Sicht sind schlechte Risiken jene,
Andererseits scheint es sinnvoll, eine Bank auf Grund ihrer Systeme als guten oder schlechten Risikomanager einzustufen. Als guten Risikomanager würde man eine Bank bezeichnen, die moderne, wissenschaftlich fundierte Methoden verwendet.
Dass die zwei Fragen nicht zwangsläufig zu gleichen Antworten führen, ist spätestens seit dem Debakel des LTCM-Hedge-Fonds bekannt, der zwei prestigeträchtige Nobelpreisträger als Mitglieder in seinem Board hatte.
Aber auch die jüngere schweizerische Bankengeschichte offeriert hierfür ein Anschauungsbeispiel: Während die Grossbanken, die zweifellos über modernere Risikomanagement-Methoden verfügten, im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 1996 im inländischen Kreditgeschäft 2,1 Prozent Verluste pro Jahr ausweisen mussten, belief sich die gleiche Risikokennzahl bei den weniger sophistiziert arbeitenden Raiffeisenbanken auf lediglich 0,1 Prozent.
Aus der Sicht der Wissenschaft ergeben sich aus diesem Paradox zwei Schlussfolgerungen:
Für diese Bankengruppen sind auch in einem Masse Marktinformationen sowie Rating- und Analystenberichte verfügbar, die eine Beantwortung der gestellten Frage erleichtern.
Für die Volkswirtschaft als Ganzes ist jedoch nicht das Risiko der einzelnen Banken entscheidend, sondern das Risiko des gesamten Finanzsystems. Ist das Finanzsystem insgesamt robust, kann es einzelne Bankzusammenbrüche, Krisenfälle sowie konjunkturelle Einbrüche verkraften. Ein Bankensystem, das in seinen Regelwerken zu viel Gewicht auf die Sicherheit jedes einzelnen Instituts legt, kann längerfristig starr und anfällig für Systemrisiken werden.
Ohne dies hier im Detail zu begründen, sind wir der Meinung, dass das schweizerische Bankensystem in dieser Hinsicht gute Noten verdient. Es hat sich in den letzten rund zehn Jahren massiv erneuert, ohne dass Einleger zu Schaden gekommen wären oder der Steuerzahler als «lender of last resort» Verluste hätte übernehmen müssen. In dieser Beziehung hebt sich das schweizerische von vielen anderen Bankensystemen positiv ab. Eine erste Antwort auf die im Titel gestellte Frage lautet demnach: Das schweizerische Bankensystem verfügt über ein gutes Risikomanagement. Bevor wir versuchen, die Fragen nach den Risiken und dem Risikomanagement der zwei Grossbankengruppen zu beantworten, werden nachstehend noch zwei aus der Sicht der Theorie wichtige Aspekte beleuchtet: Welche Arten von Risiken und welche Kategorien von Risikosituationen gibt es für eine Bank?
Man spricht traditionell vor allem von zwei bankspezifischen Risikoarten: den Markt- und den Kreditrisiken. Letztere führen in jüngster Zeit die Sorgenliste der Bankbranche wieder an. Seit einigen Jahren haben zusätzlich die operationellen Risiken Aufmerksamkeit erhalten. Die bankspezifischen Liquiditätsrisiken dagegen sind wenig erforscht und verstanden.
Weniger geläufig ist die Unterteilung in drei Kategorien von Situationen, in denen die Banken die Risiken beherrschen müssen:
Normalfall, Tag-zu-Tag-Veränderungen, Volatilität. Beispiele sind für das Börsengeschäft tägliche Preisschwankungen der Aktien, Volumenschwankungen, für eine kommerzielle Bank die Zinssensitivität des Bankenbuches, die Veränderung der Bonität der einzelnen Kredite und Deckungen.
Diese Risikosituation steht bei der Beurteilung der Risiken von Banken oft im Vordergrund. Praxis und Wissenschaft haben vor allem für diese Risikosituationen bedeutende methodische Fortschritte erzielt. Wir vermuten, dass die im Abschnitt «Meinung der Märkte» präsentierten Risikokennzahlen vor allem diese Situationen bewerten, insbesondere bei Signalen aus dem Aktienmarkt. Vom Urteil der Ratingagenturen dagegen erwarten wir auch einen Einbezug der nachfolgend genannten Situationen.
Konjunkturverlauf, zyklische Risiken, Trend: Beispiele sind Konjunktur- und Kreditzyklus, Inflations- und Zinszyklus, Hausse und Baisse an der Börse. Auch solche Risikosituationen müssen von Banken beherrscht werden. Angesichts fundamentaler Veränderungen in der Wirtschaft ist dies schwieriger geworden. Diese Risikosituationen bestimmen die längerfristigen Überlebenschancen der Banken.
Schock, ausserordentliche Risiken, Diskontinuitäten: niedrige Häufigkeit, unregelmässig. Beispiele sind ein Crash, der 11. September 2001, ein EDV-Systemabsturz, Sammelklagen und Prozesse, politische Unruhen.
Auf Grund dieser einleitenden Überlegungen lässt sich die Frage nach der Qualität des Risikomanagements einer Bank wie folgt beantworten: Eine Bank ist ein guter Risikomanager, wenn sie erstens nur gute Risiken – wie oben definiert – eingeht und zweitens ihre Risikomanagement-Systeme entsprechend ausrichtet. Sie hat ihre Risiken nicht nur im Tagesgeschäft, sondern auch im Konjunkturzyklus im Griff. Sie ist in der Lage, Diskontinuitäten zu meistern.
Aus der Sicht der Aktionäre wie auch zur Beurteilung der Robustheit des Finanzsystems kommt der Qualität des Risikomanagements in Zeiten fragiler oder volatiler Ergebnisse eine besondere Bedeutung zu.
Das Urteil einer Ratingagentur
Wir haben die Ratingagentur Fitch gewählt, weil sie mit dem Rating internationaler Banken besondere Erfahrungen hat und weil sie neben dem klassischen langfristigen Rating seit Jahrzehnten auch die Qualität des Managements und der Risikopolitik (unabhängig von allfälligem externem Beistand) der Banken zu beurteilen sucht. Zu diesem Zweck publiziert Fitch verschiedene Arten von Ratings.
Individual Rating: Damit versucht Fitch die Qualität einer Bank darzustellen. Es wird die Frage beantwortet, wie stark eine Bank wäre, auch wenn sie im Bedarfsfall keine externe Unterstützung erhielte. Dieses Rating berücksichtigt neben der Ertragslage vor allem auch die Risikoposition und das Risikomanagement. Es erlaubt nach unserem Dafürhalten am ehesten eine Antwort auf unsere Frage: Ein wie guter Risikomanager ist eine Bank? Es gibt fünf Ratingkategorien:
Das gebräuchliche Rating ist das International Long-Term Credit-Rating mit den folgenden Kategorien: AAA für allerhöchste Kreditqualität, AA für sehr hohe Kreditqualität, A für hohe Kreditqualität. Die niedrigsten Ratingkategorien sind DDD, DD und D (für Verpflichtungen, die bereits in Verzug sind). Im klassischen Credit-Rating spiegelt sich sowohl die Qualität der Bank (Individual Rating) als auch die Wahrscheinlichkeit einer externen Unterstützung im Bedarfsfall (Support-Rating).
Die Tabelle auf dieser Seite zeigt die Einstufung der zwei schweizerischen Grossbanken im Vergleich. Gemäss Fitch ist die amerikanische Citigroup Inc. (mit der Bank Citicorp), die über ein Rating A/B verfügt, die beste Bank. Da ihr Fitch lediglich ein Support-Rating von 5 zuordnet, erreicht sie im Long-Term Credit-Rating die zweitbeste Stufe AA. Die UBS gehört zur zweiten Qualitätsgruppe (Individual Rating B) zusammen mit der Bank Credit Suisse (CS), J.P. Morgan Chase Bank aus den USA sowie den britischen Banken Royal Bank of Scotland und HSBC plc. Die Bank Credit Suisse First Boston (CSFB) erreicht, gleich wie die Deutsche Bank, lediglich ein B/C-Rating, die Bayerische Hypo- und Vereinsbank ein C.
Fitch äussert sich im ausführlichen Kommentar zu den erwähnten Ratings (es gibt auch noch ein hier nicht diskutiertes Short-Term-Rating) und zu einzelnen Aspekten der Bank. Eines der Kapitel steht jeweils unter dem Titel «Risk-Management». Die UBS erhält dabei gute Noten für die Risikopolitik und die Risikomanagement-Systeme: Die Bank sei vorsichtig («cautious approach») sowohl im Kredit- wie Marktrisikobereich. Kredit- wie Marktrisiken werden ausführlich dargestellt. Neben diesen zwei Risikokategorien wird im Bericht nur kurz auf die erledigten Probleme in den USA im Zusammenhang mit den nachrichtenlosen Konten hingewiesen.
Die Credit Suisse erhält sowohl für die gute Kreditqualität wie auch für die Risikomanagement-Systeme lobende Worte («good asset quality»). Die Kreditrisiken und -systeme werden ausführlich dargestellt. Die Bank hat nur beschränkte Marktrisiken. Weitere Risikokategorien werden nicht erwähnt.
Der CSFB, bei der die Marktrisiken der Credit Suisse Group weit gehend konzentriert sind, attestiert Fitch hoch stehende Systeme («sophisticated risk management systems»). Sowohl Kredit- wie Marktrisiken werden ausführlich dargestellt. Aussergewöhnlich ist die Darstellung der operationellen Risiken, die sich in Konflikten mit und in Rechtsverfahren von verschiedenen Aufsichtsbehörden niederschlagen. Die im Sommer 2001 vorgenommenen Änderungen an der Managementspitze der CSFB werden von Fitch begrüsst.
Die Meinung der Märkte
Die Akteure auf den Finanzmärkten überlegen und überprüfen laufend, welche Wertpapiere sie kaufen, verkaufen, empfehlen oder ablehnen sollen. Sie beantworten dabei implizit auch Fragen nach der Qualität des Risikomanagements. Ihr Handeln schlägt sich in den Preisen an den Märkten nieder. Aus diesen Marktpreisen und deren Bewegungen lassen sich Rückschlüsse auf die zu Grunde liegenden Risiken ziehen.
Erster Marktindikator ist die Volatilität. Die annualisierte Volatilität der Tagesrenditen der Aktien der untersuchten acht Banken schwankt in der Periode 2000 bis 2001 zwischen dem besten Resultat von 31 Prozent für die UBS und dem schlechtesten von 43 Prozent für die Royal Bank of Scotland. Auf Grund der insgesamt nahe beieinander liegenden Werte lässt sich keine klare Rangfolge festlegen.
Ein ähnliches Bild erhalten wir bei der Betrachtung der Credit-Spreads. Diese Kennzahl errechnet sich aus der Differenz der Rendite einer Obligation der Bank mit der Rendite einer risikolosen Regierungsanleihe vergleichbarer Restlaufzeit. Je tiefer der Credit-Spread für eine gegebene Laufzeit, desto tiefer das Risiko. Die niedrigsten Werte für die Periode 2000/2001 weisen die schweizerischen Institute aus, wobei die UBS mit durchschnittlich 0,28 Prozent den absoluten Spitzenwert verzeichnet. Die angelsächsischen Institute zeigen dabei tendenziell höhere Werte als die kontinentaleuropäischen. Zudem ist anzumerken, dass die amerikanischen Banken auch die höchste Volatilität der Credit-Spreads haben.
Der dritte Marktindikator ist die Expected Default-Frequency EDFTM. Die EDFTM wird von der in San Francisco domizilierten Forschungsgesellschaft KMV auf Grund der Optionspreis-Formel aus Marktsignalen errechnet, wobei das Eigenkapital einer Firma, in unserem Falle der untersuchten Bank, als eine Call-Option auf den Wert der Firma betrachtet wird. Aus dem Finanzierungsverhältnis, dem Marktpreis und der Volatilität lässt sich durch die Optionspreisformel die Wahrscheinlichkeit berechnen, mit der eine Firma innerhalb eines gegebenen Zeitraumes, zum Beispiel eines Jahres, in Zahlungsverzug (Default) geraten wird. Je tiefer die Kennzahl, desto tiefer das Risiko.
Der Vorteil der EDFTM liegt darin, dass dies eine zukunftsorientierte Kennzahl ist, die jederzeit auf Grund der neusten Marktdaten neu berechnet werden kann. Die Royal Bank of Scotland hat das tiefste Risiko, gefolgt von den beiden deutschen Banken. HSBC, Credit Suisse Group und die UBS folgen im Mittelfeld, die US-amerikanischen Banken weisen die höchsten EDFTM-Werte auf.
Die Risiko-Berichterstattung
Die vorstehende Analyse zeigt, dass die Marktindikatoren widersprüchliche Signale über den Gesundheitszustand der Banken senden können. Damit haben Kunden, Kontrahenten, Analysten und Regulatoren ein direktes Interesse daran, dass die Führungssysteme der Banken die Bewirtschaftung der Risiken effizient unterstützen. Aussenseiter haben jedoch nur beschränkte Möglichkeiten, diese Systeme zu beurteilen. Damit wird die Berichterstattung über die Systeme des Risikomanagements zu einem Faktor, der die Wahrnehmung und die Beurteilung der Systemrisiken positiv oder negativ beeinflussen kann.
Eine vom IFCI Institute, Genf, und von Arthur Andersen durchgeführte Untersuchung von 42 internationalen Banken auf Grund der Geschäftsberichte 1998 zeigte enttäuschende Resultate. Keine der untersuchten Banken erreichte mit ihrer Risikoberichterstattung im Geschäftsbericht auch nur 50 Prozent der möglichen Punkte. Die angelsächsischen Banken schnitten im Durchschnitt besser ab als die Institute aus anderen Ländern. Auffällig war der Mangel an präzisen Informationen über die Methoden zur Abschätzung der Kreditrisiken, welche die wichtigste Risikoart der Banken darstellen.
Um ein Gefühl für die Entwicklung seit 1998 zu erhalten, haben wir die Geschäftsberichte 2000 von vier repräsentativen grossen Banken aus den USA, Grossbritannien, Deutschland und der Schweiz untersucht. Im Bewusstsein der beschränkten Aussagekraft einer so kleinen Stichprobe kommen wir zu folgenden Schlüssen:
Die Qualität der Berichterstattung über die Value-at-Risk-Grössen und -Methoden für Marktrisiken ist gestiegen. Alle vier Banken haben die Beschreibung der Verfahren für das Stress-Testing verbessert, Angaben über das Back-Testing fehlen aber bei den zwei angelsächsischen Instituten noch immer. Die Qualität der Berichterstattung über die Kreditrisiken hat bezüglich Umfang und Wesentlichkeit zugenommen. Die Aussagen über Methoden und Modelle sind jedoch weiterhin dürftig. Den Angaben zur Risikokonzentration fehlt es oft an Tiefe, besonders bezüglich des Bedrohungspotenzials bei Ausfällen der wichtigsten Gegenparteien. Wir konstatieren weiterhin einen Mangel an einer funktional orientierten Berichterstattung.
Schlussfolgerung
Rajna Gibson ist Professorin für Finanzwesen am Institut für schweizerisches Bankwesen an der Universität Zürich.
Hans Geiger ist Professor für Betriebswirtschaftslehre am Institut für schweizerisches Bankwesen an der Universität Zürich.
- für welche die Entschädigung für die Bank unangemessen tief ist,
- die eine Bank mangels der notwendigen Fähigkeiten nicht unter Kontrolle halten kann,
- die den Appetit und den Verdauungsapparat der Bank überfordern.
Andererseits scheint es sinnvoll, eine Bank auf Grund ihrer Systeme als guten oder schlechten Risikomanager einzustufen. Als guten Risikomanager würde man eine Bank bezeichnen, die moderne, wissenschaftlich fundierte Methoden verwendet.
Dass die zwei Fragen nicht zwangsläufig zu gleichen Antworten führen, ist spätestens seit dem Debakel des LTCM-Hedge-Fonds bekannt, der zwei prestigeträchtige Nobelpreisträger als Mitglieder in seinem Board hatte.
Aber auch die jüngere schweizerische Bankengeschichte offeriert hierfür ein Anschauungsbeispiel: Während die Grossbanken, die zweifellos über modernere Risikomanagement-Methoden verfügten, im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 1996 im inländischen Kreditgeschäft 2,1 Prozent Verluste pro Jahr ausweisen mussten, belief sich die gleiche Risikokennzahl bei den weniger sophistiziert arbeitenden Raiffeisenbanken auf lediglich 0,1 Prozent.
Aus der Sicht der Wissenschaft ergeben sich aus diesem Paradox zwei Schlussfolgerungen:
- Erstens kann man einfache Methoden nicht generell als schlecht, wissenschaftlich hoch stehende als gut bezeichnen. Für die Bewertung der Methoden ist entscheidend, ob sie den von der Bank eingegangenen Risiken angemessen sind. Extreme Risiken, komplexe Risikoprofile und eine globale Geschäftstätigkeit verlangen nach anderen Instrumenten als massvolle, einfache und lokal überblickbare Aktivitäten.
- Zweitens sollen die Banken in ihren Geschäftsberichten über die Risiken und Systeme so Rechenschaft ablegen, dass Kunden, Kontrahenten und Investoren beide Fragen selbst beantworten können.
Für diese Bankengruppen sind auch in einem Masse Marktinformationen sowie Rating- und Analystenberichte verfügbar, die eine Beantwortung der gestellten Frage erleichtern.
Für die Volkswirtschaft als Ganzes ist jedoch nicht das Risiko der einzelnen Banken entscheidend, sondern das Risiko des gesamten Finanzsystems. Ist das Finanzsystem insgesamt robust, kann es einzelne Bankzusammenbrüche, Krisenfälle sowie konjunkturelle Einbrüche verkraften. Ein Bankensystem, das in seinen Regelwerken zu viel Gewicht auf die Sicherheit jedes einzelnen Instituts legt, kann längerfristig starr und anfällig für Systemrisiken werden.
Ohne dies hier im Detail zu begründen, sind wir der Meinung, dass das schweizerische Bankensystem in dieser Hinsicht gute Noten verdient. Es hat sich in den letzten rund zehn Jahren massiv erneuert, ohne dass Einleger zu Schaden gekommen wären oder der Steuerzahler als «lender of last resort» Verluste hätte übernehmen müssen. In dieser Beziehung hebt sich das schweizerische von vielen anderen Bankensystemen positiv ab. Eine erste Antwort auf die im Titel gestellte Frage lautet demnach: Das schweizerische Bankensystem verfügt über ein gutes Risikomanagement. Bevor wir versuchen, die Fragen nach den Risiken und dem Risikomanagement der zwei Grossbankengruppen zu beantworten, werden nachstehend noch zwei aus der Sicht der Theorie wichtige Aspekte beleuchtet: Welche Arten von Risiken und welche Kategorien von Risikosituationen gibt es für eine Bank?
Man spricht traditionell vor allem von zwei bankspezifischen Risikoarten: den Markt- und den Kreditrisiken. Letztere führen in jüngster Zeit die Sorgenliste der Bankbranche wieder an. Seit einigen Jahren haben zusätzlich die operationellen Risiken Aufmerksamkeit erhalten. Die bankspezifischen Liquiditätsrisiken dagegen sind wenig erforscht und verstanden.
Weniger geläufig ist die Unterteilung in drei Kategorien von Situationen, in denen die Banken die Risiken beherrschen müssen:
Normalfall, Tag-zu-Tag-Veränderungen, Volatilität. Beispiele sind für das Börsengeschäft tägliche Preisschwankungen der Aktien, Volumenschwankungen, für eine kommerzielle Bank die Zinssensitivität des Bankenbuches, die Veränderung der Bonität der einzelnen Kredite und Deckungen.
Diese Risikosituation steht bei der Beurteilung der Risiken von Banken oft im Vordergrund. Praxis und Wissenschaft haben vor allem für diese Risikosituationen bedeutende methodische Fortschritte erzielt. Wir vermuten, dass die im Abschnitt «Meinung der Märkte» präsentierten Risikokennzahlen vor allem diese Situationen bewerten, insbesondere bei Signalen aus dem Aktienmarkt. Vom Urteil der Ratingagenturen dagegen erwarten wir auch einen Einbezug der nachfolgend genannten Situationen.
Konjunkturverlauf, zyklische Risiken, Trend: Beispiele sind Konjunktur- und Kreditzyklus, Inflations- und Zinszyklus, Hausse und Baisse an der Börse. Auch solche Risikosituationen müssen von Banken beherrscht werden. Angesichts fundamentaler Veränderungen in der Wirtschaft ist dies schwieriger geworden. Diese Risikosituationen bestimmen die längerfristigen Überlebenschancen der Banken.
Schock, ausserordentliche Risiken, Diskontinuitäten: niedrige Häufigkeit, unregelmässig. Beispiele sind ein Crash, der 11. September 2001, ein EDV-Systemabsturz, Sammelklagen und Prozesse, politische Unruhen.
Auf Grund dieser einleitenden Überlegungen lässt sich die Frage nach der Qualität des Risikomanagements einer Bank wie folgt beantworten: Eine Bank ist ein guter Risikomanager, wenn sie erstens nur gute Risiken – wie oben definiert – eingeht und zweitens ihre Risikomanagement-Systeme entsprechend ausrichtet. Sie hat ihre Risiken nicht nur im Tagesgeschäft, sondern auch im Konjunkturzyklus im Griff. Sie ist in der Lage, Diskontinuitäten zu meistern.
Aus der Sicht der Aktionäre wie auch zur Beurteilung der Robustheit des Finanzsystems kommt der Qualität des Risikomanagements in Zeiten fragiler oder volatiler Ergebnisse eine besondere Bedeutung zu.
Das Urteil einer Ratingagentur
Wir haben die Ratingagentur Fitch gewählt, weil sie mit dem Rating internationaler Banken besondere Erfahrungen hat und weil sie neben dem klassischen langfristigen Rating seit Jahrzehnten auch die Qualität des Managements und der Risikopolitik (unabhängig von allfälligem externem Beistand) der Banken zu beurteilen sucht. Zu diesem Zweck publiziert Fitch verschiedene Arten von Ratings.
Individual Rating: Damit versucht Fitch die Qualität einer Bank darzustellen. Es wird die Frage beantwortet, wie stark eine Bank wäre, auch wenn sie im Bedarfsfall keine externe Unterstützung erhielte. Dieses Rating berücksichtigt neben der Ertragslage vor allem auch die Risikoposition und das Risikomanagement. Es erlaubt nach unserem Dafürhalten am ehesten eine Antwort auf unsere Frage: Ein wie guter Risikomanager ist eine Bank? Es gibt fünf Ratingkategorien:
- Sehr starke Bank (very strong)
- Starke Bank, keine wesentlichen Vorbehalte (strong)
- Angemessene Bank (adequate), mit einem oder mehreren prob- lematischen Aspekten (trouble- some)
- Bank mit Schwächen interner und/oder externer Herkunft
- Bank mit sehr ernsthaften Prob- lemen.
Das gebräuchliche Rating ist das International Long-Term Credit-Rating mit den folgenden Kategorien: AAA für allerhöchste Kreditqualität, AA für sehr hohe Kreditqualität, A für hohe Kreditqualität. Die niedrigsten Ratingkategorien sind DDD, DD und D (für Verpflichtungen, die bereits in Verzug sind). Im klassischen Credit-Rating spiegelt sich sowohl die Qualität der Bank (Individual Rating) als auch die Wahrscheinlichkeit einer externen Unterstützung im Bedarfsfall (Support-Rating).
Die Tabelle auf dieser Seite zeigt die Einstufung der zwei schweizerischen Grossbanken im Vergleich. Gemäss Fitch ist die amerikanische Citigroup Inc. (mit der Bank Citicorp), die über ein Rating A/B verfügt, die beste Bank. Da ihr Fitch lediglich ein Support-Rating von 5 zuordnet, erreicht sie im Long-Term Credit-Rating die zweitbeste Stufe AA. Die UBS gehört zur zweiten Qualitätsgruppe (Individual Rating B) zusammen mit der Bank Credit Suisse (CS), J.P. Morgan Chase Bank aus den USA sowie den britischen Banken Royal Bank of Scotland und HSBC plc. Die Bank Credit Suisse First Boston (CSFB) erreicht, gleich wie die Deutsche Bank, lediglich ein B/C-Rating, die Bayerische Hypo- und Vereinsbank ein C.
Fitch äussert sich im ausführlichen Kommentar zu den erwähnten Ratings (es gibt auch noch ein hier nicht diskutiertes Short-Term-Rating) und zu einzelnen Aspekten der Bank. Eines der Kapitel steht jeweils unter dem Titel «Risk-Management». Die UBS erhält dabei gute Noten für die Risikopolitik und die Risikomanagement-Systeme: Die Bank sei vorsichtig («cautious approach») sowohl im Kredit- wie Marktrisikobereich. Kredit- wie Marktrisiken werden ausführlich dargestellt. Neben diesen zwei Risikokategorien wird im Bericht nur kurz auf die erledigten Probleme in den USA im Zusammenhang mit den nachrichtenlosen Konten hingewiesen.
Die Credit Suisse erhält sowohl für die gute Kreditqualität wie auch für die Risikomanagement-Systeme lobende Worte («good asset quality»). Die Kreditrisiken und -systeme werden ausführlich dargestellt. Die Bank hat nur beschränkte Marktrisiken. Weitere Risikokategorien werden nicht erwähnt.
Der CSFB, bei der die Marktrisiken der Credit Suisse Group weit gehend konzentriert sind, attestiert Fitch hoch stehende Systeme («sophisticated risk management systems»). Sowohl Kredit- wie Marktrisiken werden ausführlich dargestellt. Aussergewöhnlich ist die Darstellung der operationellen Risiken, die sich in Konflikten mit und in Rechtsverfahren von verschiedenen Aufsichtsbehörden niederschlagen. Die im Sommer 2001 vorgenommenen Änderungen an der Managementspitze der CSFB werden von Fitch begrüsst.
Die Meinung der Märkte
Die Akteure auf den Finanzmärkten überlegen und überprüfen laufend, welche Wertpapiere sie kaufen, verkaufen, empfehlen oder ablehnen sollen. Sie beantworten dabei implizit auch Fragen nach der Qualität des Risikomanagements. Ihr Handeln schlägt sich in den Preisen an den Märkten nieder. Aus diesen Marktpreisen und deren Bewegungen lassen sich Rückschlüsse auf die zu Grunde liegenden Risiken ziehen.
Erster Marktindikator ist die Volatilität. Die annualisierte Volatilität der Tagesrenditen der Aktien der untersuchten acht Banken schwankt in der Periode 2000 bis 2001 zwischen dem besten Resultat von 31 Prozent für die UBS und dem schlechtesten von 43 Prozent für die Royal Bank of Scotland. Auf Grund der insgesamt nahe beieinander liegenden Werte lässt sich keine klare Rangfolge festlegen.
Ein ähnliches Bild erhalten wir bei der Betrachtung der Credit-Spreads. Diese Kennzahl errechnet sich aus der Differenz der Rendite einer Obligation der Bank mit der Rendite einer risikolosen Regierungsanleihe vergleichbarer Restlaufzeit. Je tiefer der Credit-Spread für eine gegebene Laufzeit, desto tiefer das Risiko. Die niedrigsten Werte für die Periode 2000/2001 weisen die schweizerischen Institute aus, wobei die UBS mit durchschnittlich 0,28 Prozent den absoluten Spitzenwert verzeichnet. Die angelsächsischen Institute zeigen dabei tendenziell höhere Werte als die kontinentaleuropäischen. Zudem ist anzumerken, dass die amerikanischen Banken auch die höchste Volatilität der Credit-Spreads haben.
Der dritte Marktindikator ist die Expected Default-Frequency EDFTM. Die EDFTM wird von der in San Francisco domizilierten Forschungsgesellschaft KMV auf Grund der Optionspreis-Formel aus Marktsignalen errechnet, wobei das Eigenkapital einer Firma, in unserem Falle der untersuchten Bank, als eine Call-Option auf den Wert der Firma betrachtet wird. Aus dem Finanzierungsverhältnis, dem Marktpreis und der Volatilität lässt sich durch die Optionspreisformel die Wahrscheinlichkeit berechnen, mit der eine Firma innerhalb eines gegebenen Zeitraumes, zum Beispiel eines Jahres, in Zahlungsverzug (Default) geraten wird. Je tiefer die Kennzahl, desto tiefer das Risiko.
Der Vorteil der EDFTM liegt darin, dass dies eine zukunftsorientierte Kennzahl ist, die jederzeit auf Grund der neusten Marktdaten neu berechnet werden kann. Die Royal Bank of Scotland hat das tiefste Risiko, gefolgt von den beiden deutschen Banken. HSBC, Credit Suisse Group und die UBS folgen im Mittelfeld, die US-amerikanischen Banken weisen die höchsten EDFTM-Werte auf.
Die Risiko-Berichterstattung
Die vorstehende Analyse zeigt, dass die Marktindikatoren widersprüchliche Signale über den Gesundheitszustand der Banken senden können. Damit haben Kunden, Kontrahenten, Analysten und Regulatoren ein direktes Interesse daran, dass die Führungssysteme der Banken die Bewirtschaftung der Risiken effizient unterstützen. Aussenseiter haben jedoch nur beschränkte Möglichkeiten, diese Systeme zu beurteilen. Damit wird die Berichterstattung über die Systeme des Risikomanagements zu einem Faktor, der die Wahrnehmung und die Beurteilung der Systemrisiken positiv oder negativ beeinflussen kann.
Eine vom IFCI Institute, Genf, und von Arthur Andersen durchgeführte Untersuchung von 42 internationalen Banken auf Grund der Geschäftsberichte 1998 zeigte enttäuschende Resultate. Keine der untersuchten Banken erreichte mit ihrer Risikoberichterstattung im Geschäftsbericht auch nur 50 Prozent der möglichen Punkte. Die angelsächsischen Banken schnitten im Durchschnitt besser ab als die Institute aus anderen Ländern. Auffällig war der Mangel an präzisen Informationen über die Methoden zur Abschätzung der Kreditrisiken, welche die wichtigste Risikoart der Banken darstellen.
Um ein Gefühl für die Entwicklung seit 1998 zu erhalten, haben wir die Geschäftsberichte 2000 von vier repräsentativen grossen Banken aus den USA, Grossbritannien, Deutschland und der Schweiz untersucht. Im Bewusstsein der beschränkten Aussagekraft einer so kleinen Stichprobe kommen wir zu folgenden Schlüssen:
Die Qualität der Berichterstattung über die Value-at-Risk-Grössen und -Methoden für Marktrisiken ist gestiegen. Alle vier Banken haben die Beschreibung der Verfahren für das Stress-Testing verbessert, Angaben über das Back-Testing fehlen aber bei den zwei angelsächsischen Instituten noch immer. Die Qualität der Berichterstattung über die Kreditrisiken hat bezüglich Umfang und Wesentlichkeit zugenommen. Die Aussagen über Methoden und Modelle sind jedoch weiterhin dürftig. Den Angaben zur Risikokonzentration fehlt es oft an Tiefe, besonders bezüglich des Bedrohungspotenzials bei Ausfällen der wichtigsten Gegenparteien. Wir konstatieren weiterhin einen Mangel an einer funktional orientierten Berichterstattung.
Schlussfolgerung
- Das schweizerische Bankensystem verfügt über ein gutes Risikomanagement.
- Nach Ansicht der Ratingagentur Fitch gehören die zwei schweizerischen Grossbanken risikomässig hinter der Citicorp in die Spitzengruppe, mit einer gewissen Führungsrolle der UBS.
- Für die Qualität des Risikomanagements erhalten die Schweizer Institute von Fitch mit einem gewissen Vorbehalt gute Noten.
- Die teilweise widersprüchlichen Marktindikatoren positionieren sowohl die UBS und auch die CSG klar in der vorderen Hälfte der hoch stehenden internationalen Vergleichsgruppe.
- Wir stellen einen positiven Trend in der Berichterstattung über Risiken und Risikomanagement fest. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für eine verstärkte Disziplinierung der Banken durch Kunden, Kontrahenten, Aktionäre und Analysten. Die erhöhte Marktdisziplin wird eine noch effizientere Allokation des Kapitals in der Wirtschaft ermöglichen.
Rajna Gibson ist Professorin für Finanzwesen am Institut für schweizerisches Bankwesen an der Universität Zürich.
Hans Geiger ist Professor für Betriebswirtschaftslehre am Institut für schweizerisches Bankwesen an der Universität Zürich.
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