Der Bescheid kam kurz vor Weihnachten. «Als ich es mir zu Hause eben bequem gemacht hatte, erfuhr ich per E-Mail, dass Harrods unser Getränk für vier Wochen ins Angebot nehmen wird», erzählt Veronika Bürgi. Ein Glücksmoment für die Produktmanagerin der jungen Zürcher Eisteemarke Yootea. Dieser Tage konnte sich Bürgi während des Schweizer Monats im Londoner Edelkaufhaus selber davon überzeugen, dass die Briten empfänglich sind für Ice Tea made in Switzerland: «Auf die Variante mit Granatapfelsaft fahren sie besonders ab.»
Yootea ist Teil einer bunten Szene junger Schweizer Softdrinks, die sich in ein Haifischbecken traut, das von den Grossen beherrscht wird. Nestlé (Nestea) und Unilever (Lipton), Pepsi und Coca-Cola lassen im Marketing ihre Millionenmuskeln spielen, daneben füllen hierzulande die Grossverteiler ihre Regale mit Eigenmarken, die sie über ihre eigenen Medien breitflächig bewerben können. Kommt dazu, dass im Konsumgütermarkt kaum ein Bereich so hart umkämpft ist wie jener der Softdrinks: Die Floprate ist hoch, die Auswahl für den Konsumenten heute schon fast unüberschaubar.
Bipolare Schweiz. In den Regalen eines Coop-Megastores etwa drängen sich in den Bereichen Softdrinks, Energydrinks, Eistee und Fruchtsäfte 300 bis 350 Artikel in verschiedenen Gebindeformen: «Wir schätzen die Dynamik punkto Markenwechsel etwas höher ein als vor fünf Jahren», sagt Coop-Sprecher Urs Meier. «Neben etablierten Marken, die mit neuen Varietäten den Markt bearbeiten, drängen immer mehr neue Marken mit neuen Produkten auf den Markt.»
Zum Kampf gegen die werbestarken Brands der Multis kommt hierzulande eine weitere Schwierigkeit. Der Schweizer Markt, sagt Björn Berg, warte mit einem zusätzlichen Härtegrad auf: «Wer im bipolaren Handelssystem nicht reüssieren kann, wer nicht entweder bei Migros oder Coop gelistet wird, schafft es kaum auf eine vernünftige Grösse.» Berg schaffte es. Sein 2005 lancierter Softdrink Mojo – Wasser, zehn Prozent natürlicher Fruchtsaft, Fruchtzucker – wurde 2008 in der Migros-Gastronomie und im Jahr darauf auch im nationalen Netz des orangen M gelistet. Dafür war aber zu Beginn die volle Ochsentour nötig. Der studierte Jurist mit MBA-Abschluss wuchtete Tausende seiner Flaschen persönlich in die Keller von Wirten, die er zuvor von seinem Produkt überzeugen musste. Sein Rat an jeden Getränkenovizen: «Es geht nur über den Guerillakanal.» Neue Softdrinkmarken könne man nur über Szenelokale, Bars und Clubs in grösseren Städten lancieren, «weil die Gäste dort Lust haben, Neues auszuprobieren, weil sie nicht die Massenware der Multis wollen».
Genau so machte es Yootea. Mit einem Startvorteil: Der Eistee wurde von Szenebeizern selber kreiert. Er stammt aus der Zürcher Gastrogruppe Two Spice, die mit Lokalen wie Iroquois, Bohemia, Nooba oder Yooji’s einer der wichtigeren Stämme ist in der Limmatstadt. «Man wollte sich von den Produkten der Giganten abwenden und einen eigenen, gesünderen Eistee lancieren», sagt Bürgi. So wurde in einem der heute zwölf Lokale ein zuckerarmes Produkt gebraut und über die Restaurantgruppe verteilt. «Auf der eigenen Gastronomieplattform zu beginnen, war ein riesiger Vorteil» sagt Bürgi, «unsere Gäste waren und sind unsere besten Werbeträger.» Vor zwei Jahren entschloss man sich, per blumig gebrandete Flasche aus dem Two-Spice-Reich hinauszuwachsen. Wobei man anfangs noch mit der üblichen Abwehrreaktion zu kämpfen hatte: «Vom Handel hörten wir zunächst immer wieder, dass es einen Überfluss an Marken gebe, zu viele Neuheiten, zu viel Wechsel im Regal.» Doch dann konnte Bürgi die ersten Kunden von der Zürcher Version der «trinkbaren, gesunden Swissness» überzeugen.
Wobei: Swissness mag im Trend sein, aber kapitalisieren lässt sie sich für Softdrinks im Inland kaum. «Sie können, anders als Bier, nicht auf lokales oder regionales Heimatgefühl setzen», sagt Berg. «Ausser dem Tessiner Gazosa aus der Bügelflasche ist es keinem hiesigen Softdrink gelungen, aus dem geografischen Ursprungsgebiet ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen und damit Geld zu verdienen.» Möglicherweise ist das Ausland empfänglicher für Swissness, doch dazu muss man sich meist erst im eigenen Land eine Basis geschaffen haben.
Wie hart der Kampf mit einer jungen Getränkemarke sein kann, weiss wohl keiner besser als der Luzerner Roland von Moos. Der einstige Schweiz- und Europa-Chef von Red Bull lancierte 2008 seinen eigenen Energydrink IXSO, der es gleich in die Regale von Coop schaffte. Nach achtzehn Monaten warfen die Basler den malzig-fruchtigen Energydrink wieder aus ihren Gestellen – wegen zu tiefer Umsätze. IXSO war, zumindest in der Schweiz, erledigt. Nicht aber von Moos, der seit drei Monaten mit einem neuen Softdrink am Start ist: «Premium Active», sagt der Konsumgüterprofi, der das Marketing-Handwerk bei Riesen wie Ford, Mars und Johnson & Johnson gelernt hat, «zielt aufs ältere Segment. Es ist der Energydrink für die müde Generation Ü30.» Seinen Wachmacher, einen malzig-fruchtigen Mix aus Quitte, Apfel, Himbeer, Traube und Zitrone, platziert er dort, wo er die ausgepowerten Leistungsträger vermutet: im Büro. «Premium Active wird über Personalrestaurants, aber auch via Hotels und Drogerien lanciert.»
Kunst des richtigen Timings. Von Moos grollt Coop nachträglich nicht wegen der damaligen Auslistung: «Wir waren wohl zu früh im Gestell des Grossverteilers. Heute weiss ich es besser: Man muss sich zunächst eine Basiskundschaft erarbeiten.» Andernfalls fahre man quasi mit dem Velo auf die Autobahn. So sieht es auch Björn Berg von Mojo: «Tatsächlich ist es nicht gut, zu früh und ohne markentechnischen Rückenwind beim Grossverteiler gelistet zu werden. Eine unbekannte Marke steht auf keinem Einkaufszettel. Und vom Impulskauf profitiert ein Softdrink meist nur, wenn er im Kühlregal, dem eigentlichen Catwalk des Detailhandels, steht. Doch dort sind die Listing-Gebühren meist sehr hoch, was sich eine junge Marke einer kleinen Firma in der Regel schon gar nicht leisten kann.»
Will man aber als Softdrinkmarke hierzulande eine gewisse Grösse erreichen, drängt sich der Schritt in die Gestelle des Handels auf. Gemäss den Zahlen der britischen Getränkemarktforschungsfirma Canadean werden in der Schweiz 68 Prozent der Softdrinkumsätze im Handel erzielt. Logistik und Markenauftritt gestalten sich im Detailhandel oft einfacher als bei der kleinzelligen Belieferung unzähliger Bars, Clubs und Restaurants. Dafür aber müssen die Youngsters im Handel unmittelbar neben Coca-Cola und Red Bull ihre Performance erreichen. Wer nahe bei der Zielgruppe einen Ruf aufgebaut hat, kann, wenn alles gut läuft, auch im Handel reüssieren. «Dreht das Schwungrad dann erst einmal so richtig, kann man über grössere Abnehmer nachdenken», sagt von Moos. Vorerst aber muss der Manager, der bei Red Bull mit der ganz grossen Kelle anrühren konnte, mit Minibudgets auskommen. Was er nicht nur als Nachteil sieht: «Wenig Geld zwingt dich, haushälterisch und strategisch sauber zu arbeiten.»
Bedürfnisfremde Marketinggeburten. Tatsächlich ist auch das grosse Schwungrad kein Garant für den Erfolg. Trotz teuren Markenkampagnen floppten Produkte wie Lacto Tab oder Emminent (Emmi); auch Rivella gelb kam bisher nie richtig auf Touren. Von Moos’ Credo: «Liessen sich Innovationen nur mit Marketing-Millionen durchsetzen, dann wäre ja jede kleine Innovation einer jungen Firma dem Tode geweiht.» Björn Berg gibt Sukkurs: «Ich glaube, dass Innovationen von kleinen Unternehmen erfolgversprechender sind als solche von Multis. Von den Grossen stammen oft bedürfnisfremde künstliche Marketinggeburten, die Kleinen sind viel näher am Markt und orientieren sich unmittelbar an den Bedürfnissen ihrer Kunden.»
Auch die Frage der eigenen Positionierung müssen sich die Marken-Youngsters gut überlegen. Derweil im Energydrink-Markt das Leaderprodukt Red Bull weiterhin Marktanteile bolzt und Migros, Coop sowie Valora mit ihren Eigenmarken den Markt zuballern, hat sich von Moos mit Premium Active «abpositioniert, um einen neuen Markt zu erschliessen: den der gekühlten Kaffeealternativen». Trotzdem: Kann eine weitere Schweizer Getränkemarke letztlich den Durchbruch schaffen, ohne den Support von Migros oder Coop? Von Moos geht die Sache realistisch an: «Fragen Sie mich das wieder in drei bis vier Jahren. Wenn wir bis dann überlebt haben, dann vermutlich nur mit der Hilfe unseres Auslandgeschäfts.»