Wer schon als Student eine Firma gründet, den treiben Unternehmungslust und eine Einsicht: Nach dem Studium wird es ernst, noch ist alles möglich – auch ein Fehlschlag. Spass muss es vor allem machen. Eine Probe für den Ernstfall, für die Zeit nach dem Studium. Wenn es vorher klappt, umso besser. Mit einer fixen Idee im Kopf und keiner klaren Vorstellung, wohin sie ihn führen würde, hat auch Christopher Kayatz (24) angefangen, Physikstudent an der ETH Zürich. Er spielte Jo-Jo, seit er gesehen hatte, dass es Jo-Jos gibt, die mehr können, als sich aus- und einrollen.
Diese Freilauf-Jo-Jos waren aber damals, vor sieben Jahren, in der Schweiz nicht zu haben. Sie zu importieren, war bald mühsam. «Dann habe ich überlegt, selbst ein Jo-Jo zu machen», sagt er. «In den USA gab es 1996 einen Jo-Jo-Boom. Ich habe damit gerechnet, dass der auch die Schweiz erreicht.» Christopher Kayatz’ Marktgespür erwies sich als richtig: Inzwischen sind 500 Handquakes – «Handbeben», wie er das Jo-Jo taufte – in der ganzen Welt verkauft. Dank Internet ist die Firma Hspin überall präsent: «Dabei habe ich die Homepage damals nur gemacht, weil es cool war.» Hspin – da kommt der Physiker in Christopher Kayatz durch: h ist die plancksche Konstante, mit der in der Quantenmechanik der Drehimpuls von Elektronen beschrieben wird.
Wie Kayatz ergeht es vielen studierenden Unternehmensgründern: Da ist eine Idee, die begeistert, die nach Umsetzung schreit. Dass sie gerade während des Studiums auftaucht, ist nicht zu ändern. Fortan muss das Studium neben der eigenen Firma gemeistert werden. Kein leichtes Unterfangen, vor allem, wenn das Unternehmen wächst. So wie bei Christopher Kayatz. Nachdem er drei ehemalige Kantonsschulkollegen als erste Geldgeber gewinnen konnte, begann es als Spiessrutenlauf: «Ich habe oft nur ein mildes Lächeln geerntet, als ich nach einem Hersteller für ein Bimetall-Jo-Jo mit Kugellager gesucht habe», erinnert er sich. Dabei sind es diese technischen Finessen, die das Jo-Jo ausmachen und die den stolzen Preis von 149 Franken erklären.
Nach langer Sucherei fand Kayatz einen kleinen Handwerksbetrieb, der ihm einen Prototyp schenkte und im November 1998 eine erste Serie von 50 Stück fertigte. In den USA, der Wiege des Jo-Jo-Spiels, verlief der Start harzig, doch in den Niederlanden, in England und Singapur fand das Hightech-Jo-Jo schnell Fans. In der Schweiz legte ihm die marktbeherrschende Konkurrenz Active People Steine in den Weg, indem sie sein Jo-Jo auf den Schweizer Meisterschaften verbot. Trotzdem musste bald eine zweite Serie her, diesmal grösser, 400 Stück.
Die Firma frass immer mehr Zeit. «Ich muss mich sehr gut organisieren, um neben dem Studium ein Unternehmen zu führen», gibt Kayatz zu. Mit zunehmender Grösse galt es umzudenken. Mit der Buchführung per Zettelwirtschaft war Schluss; drei Datenbanken mussten her. All das managte der Student in Eigenregie, obwohl er weiss, dass seine Hochschule – wie mittlerweile die meisten Schweizer Hochschulen – allerlei Unterstützung für Jungunternehmer anbietet. «Lust auf eine eigene Firma» heisst das Kursprogramm von ETH tools, in dem sich Gründungswillige erstes unternehmerisches Rüstzeug aneignen können. In den letzten fünf Jahren besuchten rund 9500 Teilnehmer die Kurse, knapp über die Hälfte von ihnen waren Studierende; 679 Arbeitsplätze sind durch ehemalige Kursteilnehmer entstanden. Dennoch: «Es geht auch ohne», findet Christopher Kayatz. «Ein Buchführungskurs ist eine Alibiübung.»
Wenn die Motivation stimmt, muss das Studium nicht leiden: Den ersten Teil seines Physikexamens hat Christopher Kayatz im Herbst vergangenen Jahres gut bestanden. Einschränkungen gab es eher auf Seiten der Firma: «Ich hätte mein Verkaufsvolumen verdrei- oder vervierfachen können. Aber ein Physikstudium ist nicht gerade das Lockerste», bedauert er. Inzwischen ebbt der Jo-Jo-Boom wieder ab. Zu einem ähnlich hippen Produkt soll jetzt Kayatz’ neustes Spielzeug, der Dragon-Ring, werden, den er aus Singapur importiert: Um einen fussballgrossen Stahlring kreisen fünf kleine Messingringe, solange der grosse Ring in Bewegung bleibt und herumjongliert wird. In Asien ist der neue Sport schon ein Boom, in der Schweiz hofft Christopher Kayatz, ihn zu initiieren. Was allerdings langfristig wird, steht noch in den Sternen. «Wenn ich vier Jahre studiert habe, möchte ich nicht eine Spielzeugfirma haben. Es sei denn, sie beschert mir Milliardengewinne», lacht Kayatz.
Wer während des Studiums ein Unternehmen aufzieht, wittert meistens nicht das grosse Geld. Ein Goldrausch, oft heraufbeschworen durch das Internet, ist den Jungunternehmern fremd, sie sind vor allem eins: bodenständig. Wie für Kayatz, so steht auch für die vier Gründer der Creativa Netconsulting das Studium an erster Stelle. Sie bieten eine E-Commerce-Lösung für kleine und mittlere Unternehmen an. Begonnen hat alles im Dezember 1998 mit der Anfrage eines Apothekers aus Interlaken, der seine Heilpflanzentees über das Internet verkaufen wollte. Aus Neugier und Spass an der Sache sagten die vier Informatikstudenten zu, eine Homepage samt Software zu entwickeln. «Wenn wir aufs Geld aus gewesen wären, hätten wir die Finger davon gelassen», sagt Manuel Thiemann, einer der vier Gründer. «Falls etwas dabei herausspringt, ist es gut, andernfalls aber auch nicht schlimm. Wer studiert, ist finanziell meistens von zu Hause abgesichert.» Für die Gründung reichten die eigenen Ersparnisse: Die Computer stehen daheim in der Stube; ein Anwalt arbeitete gratis für sie unter der Voraussetzung, dass sie sich mit späteren Rechtsfragen wieder an ihn wenden.
Diesen Kontakt haben die Jungunternehmer der Sankt-Galler Studentenorganisation Start zu verdanken. Start organisiert einmal jährlich ein Forum, in dem sich Studierende im Dialog mit Unternehmen, Wissenschaftlern und Experten mit dem Thema Gründung anfreunden können. Ist eine Geschäftsidee ausgereift, greift Start den Gründern in der Anfangsphase unter die Arme. Eine andere Initiative, die Unternehmertum an den Hochschulen fördert, sind die Junior Entreprises, studentische Unternehmensberatungen. Die Studierenden arbeiten selbst als Berater oder aber sie vermitteln Projekte an andere, fachlich spezialisierte Studenten und übernehmen nur die Projektleitung. Letzteres Modell praktizieren die ETH Juniors. «Wir arbeiten wie ein eigenständiges Unternehmen, nur dass wir uns keinen Lohn bezahlen. Uns geht es um die Erfahrungen», sagt Ceyhun Dönmez von den ETH Juniors.
Nicht nur die Studenten, auch die Rektoren wollen ihre Hochschulen aus dem Elfenbeinturm befreien. Technologietransferstellen unterstützen die Vermittlung von universitärem Wissen in die wirtschaftliche Praxis. Die Förderung von Unternehmensgründungen ist nur ein Teil ihrer Aufgaben, sie gewinnt aber an Bedeutung: Die ETH Zürich und McKinsey haben gemeinsam den mit 150 000 Franken dotierten Businessplanwettbewerb Venture 2000 ins Leben gerufen. Teilnahmeberechtigt sind Hochschulangehörige; ihre Geschäftsideen und Businesspläne treten in drei Runden gegeneinander an und werden in der Schlussrunde von einem hochkarätig besetzten Beratergremium beurteilt.
Bei dem Vorläufer des Wettbewerbs, Venture 98, wurden 215 Geschäftsideen und 87 Businesspläne eingereicht. 27 Teams haben ihre Idee bereits umgesetzt, 24 weitere stehen vor der Gründung. Ein Gründerfieber an den Hochschulen? «Ich würde nicht unbedingt von Gründerfieber sprechen, aber in den letzten vier Jahren hat sich sehr viel getan», meint Matthias Erzinger von Venture 2000. Die Zahlen bestätigen das auch nicht unbedingt: Der Anteil gründungswilliger Diplomanden an der ETH stagniert seit 1995 zwischen 14 und 16 Prozent. Sehr verwunderlich ist das nicht, locken doch gerade ETH-Absolventen hohe Einstiegsgehälter.
So sieht das auch Manuel Thiemann: «Als ETH-Informatiker finde ich sowieso einen gut bezahlten Job, insofern habe ich den Luxus, mir etwas aussuchen zu können, das mich interessiert. Ich habe noch nicht länger mit dem Gedanken gespielt, mich selbstständig zu machen.» Mit dem Studium als Sicherheit im Hintergrund wird auch ein Scheitern in Kauf genommen, ohne dass es tiefe Spuren in der Biografie hinterliesse. Noch ist die Firma ein Hobby und nicht der Beruf. So steht es auch für die vier Informatiker ausser Frage, dass sie ihr Studium abschliessen werden.
Prominente Studienabbrecher wie Bill Gates sind den jungen Unternehmensgründern kein Vorbild. Dass es auch anders geht und neben dem Studium ein viel gepriesener Internetladen entstehen kann, haben der Schweizer Stephan Paternot (25) und sein Studienkollege Todd Krizelman (26) in den USA vorgemacht. Sie gründeten ihren Chat-Service theglobe.com 1994 während ihres Studiums an der Cornell-Universität. Im November 1998 ging theglobe.com an die Börse und war zwischenzeitlich 350 Millionen Dollar wert. Stephan Paternots Studienabschluss hing an einem seidenen Faden; er hat zeitweilig selbst nicht mehr daran geglaubt. Studenten, die ein Unternehmen gründen wollen, gibt er den Rat, es sich genau zu überlegen: «Man muss seinen Businessplan gründlich durchdenken und dann entscheiden, in welchem Rahmen man das Unternehmen aufziehen will, ob man das Studium fertig machen will oder nicht.»
Noch sind die USA eher ein Pflaster für gründungswillige Studenten als die Schweiz. Unternehmerisches Grundlagenwissen steht dort in jedem Studienfach auf dem Stundenplan. Hier sind diese Vorlesungen vor allem BWL-Studenten vorbehalten. «Wirtschaftliches Know-how habe ich bisher nicht gelernt an der ETH», stellt Manuel Thiemann fest. Von der Hochschule profitiert er in anderer Hinsicht: «Wie man im Studium lernt, Probleme zu lösen, hat mir sehr viel gebracht.»
Ganz anders der 30-jährige Erik Streller-Shen: Er hat vor zehn Jahren, während seines Wirtschaftsstudiums an der Universität Sankt Gallen, die Firma Go! Uni-Werbung gegründet und immer versucht, den Vorlesungsstoff in der eigenen Firma umzusetzen: «Manche Worthülsen bekamen oft erst dann einen Sinn», sagt er heute. Ganz so gut harmonierten Studium und Firma nicht immer: Seine Diplomarbeit hat Erik Streller-Shen zweimal schreiben müssen – «ich habe das zu sehr auf die leichte Schulter genommen». Dennoch eine Geschichte mit Happy End: Ausser BWL hat er noch ein Handelslehrerstudium abgeschlossen und kann heute gut von seinem Unternehmen leben; sogar der Börsengang könnte zum Thema werden. «Dabei habe ich am Anfang nicht daran gedacht, dass daraus ein Unternehmen werden könnte», sagt Erik Streller-Shen.
Angefangen hat alles, als er noch Herausgeber einer Schülerzeitung war und in ständiger Finanznot nach Inseraten suchte. Die kamen manchmal, oft blieben sie aus. Wenn sie kamen, passten sie nicht zum Zielpublikum, den Schülern. Ähnliches beobachtete Streller-Shen zu Beginn seines Studiums bei den Studentenzeitungen: «Viele Unternehmen haben keine Zeit herauszufinden, was an der Uni gerade in ist.» Also übernahm er den Job. Machte Hochschulzeitungen ausfindig, die Anzeigen suchten, und Unternehmen, die an den Universitäten werben wollten, und führte beide zusammen.
Was aus Spass an der Sache begann, wurde Schritt für Schritt ernst: Inzwischen sind es 150 Zeitungen und viele Firmen mit wohlklingenden Namen, für die der Werbeauftritt an den Hochschulen umfassend gestaltet wird. Was fehlt, ist Tabak- und Alkoholwerbung. Erik Streller-Shen hat Grundsätze. Deswegen schafft er auch Arbeitsplätze und bildet junge Leute aus: Acht Mitarbeiter sind in Sankt Gallen mit dabei, davon zwei Lehrlinge, rund 25 in der ganzen Schweiz, viele auf Teilzeitbasis. Blickt er zurück auf sein Studium, bereut er nichts: «Ich würde alles wieder so machen. Es ist wichtig, auch neben dem Studium aktiv zu sein.»