Wie freiwillig seine Berufswahl war, ist nicht klar. Unter seinen Nachkommen wird erzählt, er wäre lieber Theologe geworden. So oder so war Rudolf Sprüngli-Ammann geprägt von den Erfahrungen seines Vaters David Sprüngli, der sich bereits im Alter von 14 Jahren als Vollwaise durchs Leben schlagen musste. Rudolf Sprüngli ergriff jedenfalls den Beruf seines Vaters und machte die Lehre als Zuckerbäcker in der Konditorei Vogel an der Marktgasse in Zürich, wo sein Vater schon als Geselle tätig war.

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Man schrieb das Jahr 1832. Bruder David junior lernte Steinmetz und Maurer und machte schliesslich in Basel Karriere als Architekt, während sein jüngerer Bruder die Grundsteine für die heutige Lindt & Sprüngli legte. Ohne seinen strengen Vater hätte Rudolf nie erreicht, was er in den nächsten Jahren zustande bringen sollte. Als treuer Mitarbeiter der Konditorei Vogel, war es David Sprüngli, der das Haus «Zum goldenen Ring» mit der Zuckerbäckerei an der Marktgasse von der Witwe Vogel zum Kauf erhielt und sich dafür nicht schlecht verschuldete. Damals war Rudolf Sprüngli 20-jährig und das Geschäft hiess von Beginn an «David Sprüngli & Sohn».

Vater und Sohn legten sich mächtig ins Zeug und auf Initiative des Sohnes wurde in der kleinen Konditorei im Jahr 1845 erstmals feste Schokolade nach einer aus Italien kommenden Methode produziert - mit einer kleinen Röstanlage und einer von Hand betriebenen Reibmaschine. Daneben verkaufte man Zucker-, Mandel- und Honiggebäcke, Konfekt und die noch heute beliebten Leckerli und Lebkuchen.

Schokolade war bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts selten und teuer. Sprünglis Tafel- und Trinkschoggi war schnell beliebt in Zürichs edlen Kreisen und die Kleinstfabrik an der Marktgasse bald zu klein. Als er 30-jährig war, verheiratet und Vater von drei Töchtern - zwei Söhne folgten kurz darauf -, kaufte er mit dem Haus im Schleifetobel in Horgen eine Werkstätte mit Wasserkraft und produzierte fortan in Zürich und Horgen. Zweimal wöchentlich sah er zu Fuss in der Horgener Fabrik zum Rechten - 14 Kilometer hin und zurück. Das Geld für Pferde fehlte dem Juniorchef, und der Dampfschifffahrplan entsprach nicht den Bedürfnissen des Jungunternehmers.

Kühne Standortentscheide

Zwei Standortentscheide von Rudolf Sprüngli-Ammann, der nach dem Tod seines Vaters 1862 alleiniger Chef wurde, zeigten im Nachhinein seinen Mut und seine goldene Hand: Der Erwerb der Werdmühle in Zürich (heutige Sihlporte) und die Errichtung einer Fabrik ebendort, noch viel mehr aber der Kauf des Hauses Tiefenhof am heutigen Paradeplatz (damals Neumarkt), wo bis heute die Confiserie Sprüngli Café und Laden führt.

Sprüngli hatte vorausgesehen, welche Bedeutung dem Standort künftig zukommen sollte. Im neuen Lokal eröffnete er einen Erfrischungsraum, so wie ihn Weitgereiste allenfalls aus Wien, Paris oder London kannten. Das «Sprüngli» war eines der ersten Lokale Zürichs, wo man gepflegt Schokolade oder Tee trank und wo sich Damen ohne männliche Begleitung hineinwagten. Der «Tiefenhof» wurde das, was man eine Goldgrube nennt. Er warf bald ein Mehrfaches des Geschäfts an der Marktgasse ab und zog eine noch besser betuchte Klientel an. Für diese boten er und bald sein Sohn David Robert edle Torten an. David Robert war es auch, der den Confiserie-Teil weiterführte, als sich Rudolf Sprüngli-Ammann - wiederum unternehmerisch weitsichtig - entschloss, Schoko-Manufakturen und Confiserien 1892 voneinander zu trennen. Die Fabriken in Zürich und Horgen übertrug er seinem Sohn Johann Rudolf, dem späteren Sprüngli-Schifferli.

Schrittweise zog sich Sprüngli-Ammann aus dem operativen Geschäft zurück und konzentrierte sich auf das, was man heute geschickte PR-Arbeit nennt. Er publizierte, trat öffentlich auf, forderte Mut zu Innovationen und neuen Herstellungsmethoden, wirkte in Verbänden mit, war Zünfter und strich den hohen Nährwert von Schokolade zur Förderung der allgemeinen Volksgesundheit heraus. Als einer der Ersten forderte er Importschutz in Form von höheren Einfuhrzöllen für ausländische Schokolade. Was heute protektionistisch wirkt, war damals innovativ.

Ein Glück, dass Sprüngli-Ammann - er starb 1897 - nicht mehr miterlebte, was nach dem Kauf der Berner Schokoladenfabrik Lindt durch seinen Sohn 1899 geschah. Eine Fusion, die an den unterschiedlichen Kulturen zu scheitern drohte, wie es im heutigen Jargon hiesse. Gekauft wurde Lindt, weil man in der inzwischen in Betrieb genommenen Kilchberger Fabrik vergeblich versuchte, eine gleich exquisite feinschmelzende Schokolade herzustellen wie jene aus der Berner Matte.

Doch innert Kürze verkrachten sich die Familien Sprüngli und Lindt wegen unterschiedlichen Auffassungen zur Geschäftspolitik. Der Streit gipfelte darin, dass die Lindts unter Vertragsbruch eine zweite Schoggifabrik aufzogen. Erst 1927 verurteilte der Berner Appellationshof die Lindts zu einer hohen Geldstrafe und verbot der Familie für alle Zeiten, unter dem Namen Lindt Schokolade zu fabrizieren. Dies war fortan Lindt & Sprüngli vorbehalten.

Dieser Artikel erschien erstmals am 12.07.2006 in der Printausgabe der «Handelszeitung».