Trump, Brexit, Euro-Krise, Niedrigzinsen, Populismus: Die Liste der Probleme der EU ist lang. «Die in den vergangenen 66 Jahren als unvorstellbar angesehene Rückabwicklung der europäischen Einigung droht im Jahr 2017 Realität zu werden», warnte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, am Montag. Er empfiehlt Politikern und Unternehmern zum Auftakt eines schwierigen Jahres, Haltung und Stärke zu beweisen. Bei der Suche nach Lösungen können Fakten helfen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Trump und die Sorge vor Preotektionismus

Mit der Devise «America First» lässt der neue US-Präsident weltweit die Alarmglocken schrillen. Aus Sicht des IW besteht tatsächlich die Gefahr, dass erstmals seit sieben Jahrzehnten bei der Handelsliberalisierung das Rad zurückgedreht wird. Der Nährboden dafür sei da: In vielen Bereichen - nicht nur der Stahlindustrie - gebe es Überkapazitäten. Der starke Konkurrenzdruck aus China werde nicht nur in den USA als Überforderung empfunden. Zudem hätten es viele Länder bisher nicht geschafft, alle Bürger an den Vorteilen globaler Märkte und Arbeitsteilung zu beteiligen.

Sollte Trump die US-Wirtschaft stärker abschotten, hätte das für die Exportnation Deutschland schwerwiegende Folgen. Fast zehn Prozent der deutschen Warenexporte entfallen auf die USA. Nach Worten Hüthers unterschlägt Trump allerdings in seiner Polemik die Kehrseite der Medaille. Denn das US-Handelsdefizit geht mit Nettokapitalzuflüssen in Milliardenhöhe einher. Anders gesagt: Die Welt investiert im grossen Stil in die US-Wirtschaft. Die Verbindlichkeiten der USA gegenüber dem Rest der Welt übersteigen die Forderungen um über sieben Billionen Dollar.

Dabei spielen Direktinvestitionen eine wichtige Rolle. Und immerhin 60 Prozent davon kommen aus EU-Mitgliedstaaten, wie Hüther sagt. Die EU ist massgeblich an den Investitionen und am Wirtschaftswachstum in den USA beteiligt - das Land verdankt also einen erheblichen Anteil seines Wohlstandes internationalen Investoren. Mit Abschottung würden sich die USA selbst schaden.

Auch Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon hält die Devise «Exporte gut, Importe schlecht» für eine Milchmädchenrechnung Trumps: «Wenn wir hier in einer Welt erwachen, in der man sich gegenseitig mit Schutzzöllen konfrontiert, dann schneidet sich auch die amerikanische Wirtschaft ins eigene Fleisch.» Sollte Trump ausserdem schuldenfinanzierte Wachstumsprogramme auflegen, werde auch der US-Staatshaushalt aus dem Ruder laufen. Dies werde letztlich auch zu steigenden Preisen führen, warnt er.

Der Brexit und die Sorge vor einem Exporteinbruch

Nach dem Brexit-Votum im Sommer haben britische Politiker immer wieder die Erwartung geschürt, die EU werde nicht zu hart über den weiteren Zugang zum Binnenmarkt verhandeln. Schliesslich wollten etwa deutsche Konzerne auch weiter ihre Waren auf der Insel verkaufen. Aus Hüthers Sicht ist das eine Illusion. Eine IW-Umfrage unter 2900 deutschen Unternehmen ergab, dass über 90 Prozent davon ausgehen, vom Brexit nicht stark beeinträchtigt zu werden. Folgen für Investitionen oder Beschäftigung sahen nur zwei bis drei Prozent. «Das sind homöopathische Grössenordnungen», sagt Hüther. Anders sehe es bei den Briten aus, denen ein langfristiger Wohlstandsverlust von zehn Prozent drohe.

«In London wird es Zeit, Illusionen abzulegen», sagt Hüther. Einen Grund, in den Brexit-Verhandlungen grundlegende Prinzipien des Binnenmarktes wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu opfern, habe die EU jedenfalls nicht. Er schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass es am Ende wegen der immer klarer absehbaren Folgen für die Briten gar nicht zum Brexit kommt, sogar auf rund ein Drittel.

Euro-Schuldenkrise und kein Ende in Sicht

Griechenland hängt zwar bereits seit 2010 am Tropf seiner Euro-Partner. Allerdings sagen die Prognosen für dieses Jahr eine Rückkehr zum Wachstum vorher. Aus Hüthers Sicht kommt es nun darauf an, den Aufschwung abzusichern, ohne ihn in neuen Querelen über die Reformauflagen der Geldgeber kaputt zu machen. Die Chancen dafür stehen aus seiner Sicht gar nicht so schlecht.

«Schwieriger ist das Thema Italien», warnt Hüther. Hier komme es darauf an, die Wirtschaft wieder besser in Schwung zu bringen. Aus seiner Sicht besteht sonst die Gefahr, dass die euroskeptische Fünf-Sterne-Bewegung die nächste Wahl gewinnt. Italien sei zudem der Testfall für die neuen EU-Regeln bei der Abwicklung maroder Banken, mit denen die Steuerzahler geschont und stattdessen die Bankeigentümer zur Kasse gebeten werden sollen. Hier gebe es nun ein Zeitfenster bis zur nächsten Wahl.

Die Zinswende steht vor der Tür

Die Wirtschaft im Euro-Raum wächst mittlerweile moderat, aber stetig. Aus IW-Sicht besteht auch nicht mehr die Gefahr einer Deflation, also eines verheerenden Preisverfalls auf breiter Front. Stattdessen rücken die negativen Folgen der ultraniedrigen Zinspolitik stärker in den Vordergrund wie die Gefahr einer kreditgetriebenen Immobilienblase oder die Ertragsschwäche der Finanzwirtschaft wegen der niedrigen Zinsen. Hüther empfiehlt der EZB deshalb, noch im ersten Quartal wenigstens ihre Anti-Deflationsmassnahmen zurückzunehmen.

Für eine echte Zinswende wäre dann Hüther zufolge voraussichtlich Anfang 2018 die Zeit gekommen. Allein wegen der hohen privaten und öffentlichen Verschuldung in einigen Ländern der Euro-Zone müsse dies kommunikativ aber gut und frühzeitig vorbereitet werden, mahnt er. Die Operation ist heikel, aber die EZB bekäme damit die Chance, sich wieder auf die Geldpolitik zu konzentrieren, was eine Normalisierung wäre: Für die Inflation ist die EZB zuständig, für die Wirtschaftspolitik die Politik.

(reuters/ccr)