Gegenwärtig ist ein Prozess im Gang, der gekennzeichnet ist von einem breiten Auseinanderdivergieren des bilanziellen Eigenkapitals und der Börsenkapitalisierung von Unternehmen. Internationale Führungskräfte, Unternehmer und Investoren sind sich einig, dass der Unternehmenswert inskünftig immer weniger durch die realen Vermögenswerte (Tangible Assets), sondern vielmehr durch die immateriellen Werte (Intangible Assets) – wie beispielsweise qualifizierte Mitarbeiter, fester Kundenstamm, Wissen, Markennamen und Allianzen – bestimmt werden wird.

Solche Intangible Assets treiben das Abheben der Börsenkapitalisierung an, dennoch werden sie in der klassischen Rechnungslegung weder gemessen noch bilanziell erfasst. Eine erhöhte Börsenvolatilität und nicht gemessene Geschäftsrisiken resultieren daraus. Um sich dieser spannenden Thematik anzunehmen, initiierte Arthur Andersen vor drei Jahren ein Forschungsprojekt mit der Bezeichnung «Value Dynamics».

Das Forschungsprojekt (siehe Literaturhinweis am Ende dieses Beitrags) brachte eine umfassende Datenbank hervor, welche für über 10 000 Unter-nehmen, deren Aktien an US-Börsen gehandelt werden, rund 450 verschiedene finanzielle und nicht finanzielle Variablen zusammentrug. Eine Analyse dieser Daten erhärtete die zuvor beschriebene Erkenntnis: 1978 entsprach der Buchwert einer Unternehmung durchschnittlich 95 Prozent der Börsenkapitalisierung, zehn Jahre später reduzierte sich der Buchwert auf durchschnittlich 28 Prozent des Marktwertes. Diese Entwick-lung setzte sich fort, sodass heute dieser Wert unter 20 Prozent zu liegen kommt (siehe Grafik «Reduzierter Buchwert» auf dieser Seite).

Eine weitere Erkenntnis dieser Studie war: Gesellschaften mit stark ausgeprägten materiellen Vermögenswerten setzten ihr Kapital weniger effizient ein. Worin liegt der Kern dieser ein-drucksvollen Entwicklung, und welches sind die Auswirkungen auf die Bewertung von Unternehmungen in der neuen Ökonomie? Dieser Artikel soll diesen Fragestellungen nachgehen und sie schliesslich beantworten.

Buchwert und Value Dynamics
Der wirtschaftliche Wandel führt einem klar vor Augen, wie die materiellen Güter einer Unternehmung an Bedeutung verlieren. Der rasante Auf-stieg der neuen Ökonomie ist unübersehbar: neue Geschäftsmodelle, weltweite Netzwerke und Fortschritte in der Technologie. Wie können Unternehmen in diesem Umfeld den Wert ihrer materiellen und immateriellen Aktiven besser messen und das Kapital besser einsetzen? Um diese entscheidenden Fragen beantworten zu können, hat Arthur Andersen in der er-wähnten Studie die Wertetreiber eruiert und im so genannten Value Dynamics Framework zusammengefasst:

Traditionelle Kennzahlen und immaterielle Werte
Das Framework enthält die traditionellen Kategorien wie physisches und finanzielles Vermögen oder Schulden – die Bilanzwerte. Zusätzlich als Wertetreiber kommen hinzu: Organisation, Kunden, Mitarbeiter und Lieferanten. Diese immateriellen Werte sind bisher weder bilanziert noch systematisch und einheitlich gemessen worden, sondern lediglich als Ausgaben oder Einnahmen in die finanzielle Berichterstattung geflossen.

Die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen, wie Unternehmen erfolgreich den Wert ihres Vermögens in einer der fünf Kategorien des Frameworks vervielfacht haben:

Physisches Vermögen: 1984 war Williams Co., Oklahoma, ursprünglich einer der grössten Gasverteiler in den USA mit kilometerlangen, brachliegenden Ölpipelines, mit sinkenden Gewinnen konfrontiert. In der Folge zog Williams Co. fiberoptische Kabel durch die Pipelines und mutierte zu einem erfolgreichen Kabelnetzbetreiber.

Finanzielles Vermögen: Während die Rückzahlung von Schulden nicht als Vermögen bezeichnet werden kann, stellt die Ausgabe von Schulden einen Wert dar. In den Anfängen verhalf GE Capital den Konsumenten zum Kauf von Haushaltgeräten. Inzwischen ist GE Capital der grösste Leasinggeber und generiert mehr als ein Drittel der Einkünfte des Mutterhauses General Electric.

Mitarbeiter: Für die Restaurantkette Starbucks Co. stellte sich die Frage, wie sie ihr grösstes Kapital – die Mitarbeiter, auf deren Schultern der Erfolg des Unternehmens aufbaute – vermehren könnte. Um sich von der vielseitigen und starken Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt hervorzuheben, zahlt Starbucks ihren Mitarbeitern überdurchschnittliche Löhne, erstellt Optionspläne und offeriert grosszügige Sozialleistungen. In der Folge dehnte sich der Mitarbeiterumsatz markant aus, und die Mitarbeiterfluktuation verringerte sich stark.

Kundenvermögen: Da America Online über 20 Millionen Abonnenten verfügt, sind andere Unternehmen bereit, enorme Summen zu investieren, um ihre Dienstleistungen dem hohen Kunden-stamm von AOL verkaufen zu können.

Organisatorisches Vermögen: Ist Cisco Systems Inc. der grösste Hersteller von Netzwerkgeräten? Nicht wirklich. Streng betrachtet produziert Cisco kein einziges Gerät selbst. Durch das Ausgliedern von der Herstellung bis zur Distribution kreierte Cisco ein neues, erfolgreiches Geschäftsmodell – eine integrierte Netzorganisation. Dies erlaubte Cisco eine Beschleunigung in der Entwicklung neuer Geräte und wurde vom Kapitalmarkt mit einer extrem hohen Bewertung honoriert.

Mitarbeiter sind im Framework keine Kostenfaktoren mehr
Das Value Dynamics Framework verhilft dem Leser zu einer neuen Sicht der Werte: Mitarbeiter werden beispielsweise nicht mehr länger nur als Kostenfaktor beziehungsweise Aufwand in der Erfolgsrechnung betrachtet. Das Vermögen wird definiert als potenzielle Quelle aller zukünftigen Werte inklusive jener, die ein Unternehmen weder besitzt noch direkt kontrolliert. Die traditionellen Erfassungskriterien für Aktiven wie Eigentum und Verfügungsgewalt und die Bewertung zu historischen Anschaffungskosten abzüglich Abschreibungen hat in diesem Konzept nur noch eine untergeordnete Bedeutung.

Management-Herausforderung: Wertetreiber generieren und erneuern Die grosse Herausforderung im Bereich Rechnungslegung in den nächsten Jahren wird sein, Bewertungsgrundlagen und Offenlegungsvorschriften für sämtliche Werte einer Unternehmung zu entwickeln. Ob diese Werte dereinst in der Bilanz erfasst oder als zusätzliche Informationen dargestellt werden, ist sekundär. Entscheidend ist, dass sie einheitlich erkannt, erfasst und nachvollziehbar bewertet und dargestellt werden.

Nur wenn dies erfolgreich gelingt, wird die klassische Rechnungslegung in Bezug auf die Bewertung von Unternehmen wieder an tatsächlicher Bedeutung gewinnen. Die Herausforderung an Unternehmensführer und Unternehmer ist es, die einzelnen Wertetreiber zu generieren, sie zu unterhalten, zu erneuern und allenfalls zu veräussern und sie als Werteportfolio klar aufeinander abzustimmen.

Bewertung von Unternehmungen in der neuen Ökonomie Das Auseinanderdivergieren von Buchwert und Börsenkapitalisierung wird durch die vergangenheitsbezogene Sicht der traditionellen Rechnungslegung verstärkt. Während die Bilanz mehrheitlich auf historischen Anschaffungskosten basiert, umfasst der Börsenwert die geschätzten, zukünftigen Einnahmen. In Anbetracht der sehr volatilen und zum Teil sehr hohen Bewertung der Neue-Ökonomie-Aktien ist die faire Bewertung solcher Unternehmen ein sehr kontrovers diskutiertes Thema.

Wie der Wert eines Internetunternehmens, bei dem die Gewinnschwelle in weiter Zukunft liegt, konkret berechnet werden kann, wird in der Literatur unzureichend beantwortet. Dennoch sehen sich die Marktteilnehmer unter anderem bei Übernahmen und Fusionen gezwungen, den Wert einer Gesellschaft bestimmen zu können.

Die Praxis zeigt, dass für die Bewertung einer Neue-Ökonomie-Gesellschaft durchaus auf klassische Verfahren, welche den neuen Gegebenheiten angepasst werden müssen, zurückgegriffen werden kann. Darunter verstehen sich folgende drei Ansätze:

- Discounted-Cashflow-Methode (DCF)
- Bewertung anhand vergleichbarer börsennotierter Unternehmen
- Bewertung anhand von Übernahmetransaktionen vergleichbarer Unternehmen.

Da die Vergleichsmethoden lediglich Anhaltspunkte liefern, wählt man stets eine Kombination der drei aufgezeigten Methoden, welche nachfolgend kurz erläutert werden. Wie diskontiert man Cashflows bei defizitären Unternehmen?

Die DCF-Methode hat sich mittlerweile als fester Bestandteil der Unternehmensbewertung etabliert. Konzeptionell ermittelt diese Methode den Barwert aller künftigen, den Investoren zur Verfügung stehenden Zahlungsüberschüsse (Cashflows), die das Unternehmen erwirtschaftet. Vorteilsweise muss dabei nicht zwischen getätigten und kapitalisierten Investitio-nen unterschieden werden, da dies den Cashflow nicht beeinflusst. Trotzdem müssen bei der Anwendung der Methode schwierige Entscheidungen getroffen werden.

Doch wie diskontiert man Cashflows, die derzeit nicht existieren? Denn die Neue-Ökonomie-Gesellschaften zeichnen sich typischerweise dadurch aus, dass sie auf Jahre hinaus rote Zahlen schreiben, mehrheitlich verursacht durch hohe Marketingkosten. Auf der anderen Seite generieren sie hohe Wachstumsraten; erfolgreiche Internetgesellschaften multiplizieren ihr Umsatzwachstum innerhalb eines Jahres. Zusätzlich schöpfen die Neue-Ökonomie-Gesellschaften Mehrwert, indem sie so genannte Netzwerkeffekte nutzen: Im Internet sinken die durchschnittlichen Transaktionskosten mit jedem neuen Teilnehmer. Erwähnenswert ist dabei das Online-Auktionshaus E-Bay, welches mit der elektronischen Abwicklung der Geschäftsprozesse, einer der erwähnten Wertetreiber, enorme Mehrwerte geschaffen hat. Diese visionären Potenziale der Neue-Ökonomie-Gesellschaften scheinen in hohem Masse bewertungsrelevant zu sein. Um die Cashflow-Entwicklung zu berechnen, bedient man sich mit zehn bis zwanzig Schlüsselvariablen wie beispielsweise Marktwachstum, Kundenakquisitionskosten, durchschnittlichem Kundenumsatz und so weiter.

Mit Vorteil nimmt man einen Betrachtungszeitraum von etwa zehn Jahren und schätzt dabei das Potenzial der zu bewertenden Gesellschaft während und am Ende dieser Periode. Dieser Potenzialwert wird abdiskontiert auf den Gegenwartswert. Da sich die ganze neue Ökonomie in einer sehr frühen Phase befindet, muss der Betrachtungszeitpunkt über eine ausreichend lange Sicht geplant werden.

Zur Ermittlung des Kapitalkostensatzes für Neue-Ökonomie-Gesellschaften existieren grundsätzlich keine spezi-ellen Verfahren. Man vergleicht die Kapitalkosten anderer börsennotierter Internetgesellschaften, die eine ähnliche Geschäftsstrategie verfolgen. Da die Vergleichsauswahl in diesem Bereich aber sehr beschränkt ist, benötigt man Erfahrung und Fingerspitzengefühl zur Bestimmung des Kapitalkostensatzes. Insbesondere bei Start-up-Unternehmen werden die Kapitalkosten sehr subjektiv bestimmt.

Mittels gewichteter Wahrscheinlichkeitsszenarien können die Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Bewertung von Neue-Ökonomie-Gesellschaften weiter auf ein akzeptables Mass reduziert werden. Festzuhalten bleibt, dass mit der DCF-Methode eine Wertbasis ermittelt werden kann, welche die heutigen erkennbaren Erlösstrukturen umfasst. Wesentliche Teile der noch unvorhersehbaren Möglichkeiten werden nicht berücksichtigt, weshalb die DCF-Bewertung in der Regel zu moderaten Wertansätzen führt. Sie stellt eine Basis dar, die durch Erfahrungen mit entsprechenden Zu- und Abschlägen anzupassen ist.

Bewertung anhand vergleichbarer börsennotierter Unternehmen
Bei der Bewertungsmethode anhand vergleichbarer börsennotierter Gesellschaften wird der Börsenkurs eines Unternehmens im Verhältnis beispielsweise zum Gewinn betrachtet. Auf Grund der Verluste der Neue-Ökonomie-Gesellschaften wird an Stelle des Gewinnes der Umsatz oder die Anzahl Kunden als Bezugsgrösse herangezogen. Damit erhält man jedoch nur den relativen Wert einer Unternehmung im Vergleich mit der Konkurrenz. Ob ein Markt über- oder unterbewertet ist, ist daraus nicht ersichtlich. Es ist zu beachten, dass Internetunternehmen schnell wachsen; somit sollte bei der Vergleichsmethode ein erwarteter künftiger Umsatz herangezogen werden, um ein aussagekräftiges Bild zu erhalten.

Die Bewertung von Neue-Ökonomie-Gesellschaften auf Basis börsennotierter Vergleichsunternehmen ist eine relativ einfache Methode. Für strategische Zwecke sollte sie stets in Kombination mit einer DCF-Bewertung durchgeführt werden.

Bewertung anhand von Übernahmen vergleichbarer Unternehmen
An Stelle des Börsenkurses verwendet man bei dieser Methode den Preis für eine Mehrheitsübernahme eines vergleichbaren Unternehmens. Damit kann die Kontrollprämie bei Unternehmensübernahmen quantifiziert werden. Das Problem ist jedoch, dass bei den wenigen Übernahmetransaktionen im Internetbereich der Transaktionspreis bisher selten veröffentlicht wurde.

 

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