Nirgends verbringt man mehr Zeit als am Arbeitsplatz. Kein Wunder ist das Büro auch eine beliebte Partnerbörse. Ein Indiz dafür liefert Bloomberg Business mit einer Studie zu den Berufen verheirateter Amerikaner: Lehrer heiraten am häufigsten Lehrer, Ärzte Ärzte, Flugbegleiter Flugbegleiter und Anwälte Anwälte. Auch dass Köche häufig Kellner, Restaurantmanager oder Hauswirtschaftsangestellte heiraten, spricht für ein Kennenlernen während der Arbeitszeit.
Den Sozial- und Wirtschaftspsychologen Christian Fichter wird dieses Ergebnis nicht erstaunen. Menschen sind soziale Wesen, dass sie auch am Arbeitsplatz Beziehungen suchen, sei nur natürlich. Entspannt begegnen angefragte Schweizer Unternehmen dem Thema. So sagt SBB-Mediensprecher Oli Dischoe: «Beziehungsstatus- und form unserer Mitarbeitenden ist grundsätzlich deren Privatsache.» Ähnlich tönt es bei der Migros. Alix Mina Müller sind keine spezifischen Probleme bekannt, im Gegenteil: «Wir begrüssen es, wenn unsere Mitarbeitenden glücklich sind».
Trotz diesen optimistischen Stimmen bergen Arbeitsplatzbeziehungen viele Risiken. Welche heiklen Punkte dabei beachtet werden müssen:
Spontane Affären sind riskant
Bereits das Kennenlernen ist nicht ohne. Während gemeinsame Mittagessen, Gespräche in der Kaffeeküche oder Treffen am Drucker kaum problematisch sind – sofern das Sich-näher-Kommen auf Gegenseitigkeit beruht, können Alkohol-unterstützte Annäherungen an Weihnachtsessen heikel sein.
Denn eine Beziehung am Arbeitsplatz will wohlüberlegt sein, weil man gewissermassen in der Falle steckt. Weder dem Ex-Partner, der Kurzzeitaffäre noch den Kollegen, die möglicherweise mehr von dem Techtelmechtel mitbekommen haben, als sie es sich wünschten, kann man am nächsten Tag aus dem Weg gehen.
Die Beziehung öffentlich machen
Wird aus der Affäre ernsthaftes Interesse, gilt es zu überlegen, ob und wann das Paar die Beziehung öffentlich macht. Bevor die Beziehung gefestigt ist, kann es sinnvoll sein, erstmal abzuwarten und die Zweisamkeit unter dem Deckel zu halten.
Hält die Partnerschaft auf Dauer, ist es womöglich klüger, den Vorgesetzten oder auch die Kollegen einzuweihen. Denn für die meisten dürfte es schwierig sein, die Liebe und einen wichtigen Teil des Lebens ständig komplett zu verheimlichen. Spekulationen und Gerüchte sind wahrscheinlicher und diese könnten im schlimmsten Fall das Arbeitsklima negativ beeinflussen.
Bei Problemen ist der Vorgesetzte gefordert
Ein gestörtes Arbeitsklima kann auch rechtlich zum Problem werden. Leidet das Arbeitsklima oder fühlen sich Kollegen durch die Bürobeziehung gestört, kann beziehungsweise muss der Arbeitgeber vom Weisungsrecht gemäss Art. 321d OR Gebrauch machen. Nehmen die Betroffenen den Hinweis nicht ernst, dann kann der Arbeitgeber das Paar allenfalls sogar in verschiedene Abteilungen versetzen, erklärt Rechtsanwalt Nicolas Facincani. Allerdings muss die neue Position der alten gleichwertig sein.
Ebenfalls eingreifen kann der Vorgesetzte, wenn die Verliebten ihre Arbeit vernachlässigen. Denn trotz Schmetterlingen im Bauch müssen sich Angestellte um eine befriedigende Arbeitsleistung bemühen und sich im Büro professionell verhalten. Wie die Auskünfte von SBB und Migros zeigen, scheint dies für die meisten kein grosses Problem zu sein. Der Wirtschaftspsychologe Christian Fichter meint denn auch, dass die meisten Angestellten gesunden Menschenverstand walten liessen und auch genau wüssten, was sich am Arbeitsplatz gehört oder eben nicht.
Auch glückliche Kollegen können anstrengend sein
Wenig hält der Experte von der künstlichen und strikten Trennung von Privat- und Arbeitsleben. Es spreche etwa nichts dagegen, seine Partnerin oder Frau im Büro mit «Schatz» anzusprechen. Eine erfüllte und glückliche Beziehung könne einen Spillover-Effekt in andere Lebensbereiche und damit auch positive Auswirkungen auf die Arbeitsleistung haben, ist er überzeugt.
Auch wenn das Arbeitsklima unter einer Bürobeziehung nicht leidet, kann eine solche Beziehung für die übrigen Teammitglieder anstrengend sein. Ob verliebtes Turteln oder Liebeskummer – gerade in Grossraumbüros gibt es oft kein Entkommen. Die Kollegen werden notgedrungen zu Beobachtern. Dem Liebespaar empfiehlt Christian Fichter, trotz aller Verliebtheit die Kollegen nicht aus den Augen zu verlieren. Andere Ratgeber legen dem Paar nahe, auch ab und zu einzeln mit den Kollegen zu essen oder sich privat zu treffen.
Verliebt in den Chef
Ein spezieller Fall sind Beziehungen mit Hierarchieverhältnissen – zwischen Chefs und Untergebenen. Wie bei vielen Unternehmen wird auch bei der SBB in solchen Fällen die Rangfolge aufgelöst. Meist sei ein interner Wechsel möglich, sagt Sprecher Dischoe.
Problematisch an solchen Beziehungen sind die Abhängigkeitsverhältnisse. So könne ein Vorgesetzter seinen oder seine Untergebenen bevorzugen oder benachteiligen und damit im Vergleich zu den anderen Mitarbeitern ungleich behandeln. Ein Verstoss gegen die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht würde vorliegen, wenn er seine Führungsposition bewusst ausnützte, erklärt Arbeitsrechtler Facincani. «Geht es um eine Beziehung zwischen der Führungskraft und einem ihr unterstellten Mitarbeiter, so sollte dies den Vorgesetzten gemeldet werden», sagt Facincani zum Spezialfall. Für solche Situationen wären Richtlinien in grossen Unternehmen sinnvoll. Verbieten aber lassen sich Beziehungen zwischen Mitarbeitern in der Schweiz nicht.
Auch der Wirtschaftspsychologe erkennt im Abhängigkeitsverhältnis eine Gefahr und hält gewisse Regeln diesbezüglich sinnvoll. Meist aber, so ist Fichter überzeugt, käme man hierzulande ohne spezielle Richtlinien aus. Dass weder die Migros noch die SBB grundsätzliche Regeln haben, finde er gut. Das passe zur Arbeitskultur in der Schweiz.
Trennung im Büro – was dann?
Das Ende einer jeder Beziehung ist häufig schmerzvoll, den Ex-Partner will man erst mal nicht mehr sehen. Bei Bürobeziehungen lässt sich dies meist nicht umsetzen. Umso wichtiger ist es, für eine einvernehmliche Trennung zu sorgen, so dass die Beteiligten, das Team und die Arbeit nicht darunter leiden. Probleme sollten nicht während der Arbeitszeit besprochen werden – Professionalität ist gefragt.
Gerade wegen den Problemen, die eine Trennung mitbringt, sollten sich die Beteiligten im Vorfeld gut überlegen, ob sie das Risiko «Beziehung» eingehen wollen. Im schlimmsten Fall bleibt einem der beiden nur die Kündigung und damit die endgültige Trennung.
Offenbar machen aber die wenigsten solch schlechte Erfahrungen mit der Liebe am Arbeitsplatz. Denn wie eine aktuelle Studie aus den USA zeigt, würden zwei von drei das Risiko einer weiteren Bürobeziehung auf sich nehmen.