Die Insel Man ist schon ein merkwürdiger Ort. Auf dem Eiland in der Irischen See gibt es Schafe mit vier Hörnern, schwanzlose Katzen, perfekt erhaltene Dampfloks aus dem viktorianischen Zeitalter und das weltweit gefährlichste Motorradrennen Manx TT.

Es ist aber auch ein Ort, an dem Bitcoin-Startups aus dem Boden spriessen. Normalerweise gehen Jungunternehmer eher dorthin, wo die Risikokapitalgeber sind: London, New York, San Francisco. Doch das kleine Besitztum der britischen Krone, das eher an eine Zeitkapsel als an Übermorgenland erinnert, nimmt es mit diesen Kolossen auf. Tatsächlich will die Regierung in Douglas ihre Insel zum weltweit führenden Zentrum dieser Technologie machen. Es gibt es bereits etwa 25 Startups, die mit der Kryptowährung oder der Bitcoins zugrunde liegenden Blockchain arbeiten - und ihre Anzahl nimmt stetig zu.

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Spielekonzerne als Geburtshelfer

Viele Neuankömmlinge sind junge Programmierer oder technisch bewanderte Fachleute aus den Vereinigten Staaten, Kanada und Brasilien, die zuerst eine Stelle im Online-Glücksspiel annahmen. In den vergangenen zehn Jahren haben einige der grössten Firmen in der Branche - wie Rational Group, die die Webseiten PokerStars und Full Tilt Poker betreibt - ihren Sitz hierher verlegt und die Insel für Online-Poker so wichtig werden lassen wie es Las Vegas und Macao für traditionelle Kasinos sind.

Womöglich unwissentlich wurden die Spielekonzerne zum Geburtshelfer der lokalen Kryptowährung- Gemeinschaft. Denn obwohl die meisten Online-Glücksspielanbieter keine Bitcoins akzeptieren, ist die digitale Währung unter den technikaffinen Mitarbeitern beliebt. Einige Bitcoin-Anhänger haben gar ihren Stellen für Startups aufgegeben, die sich mit digitalen Währungen beschäftigen.

Online-Poker revolutionieren

Zu ihnen gehört auch Nick Williamson, ein strubbelhaariger Amerikaner, der sein Studium am Illinois Institute of Technology abgebrochen hatte, um professioneller Poker-Spieler zu werden. PokerStars lockte ihn 2011 mit einem Job als Manager von Nichtturnierspielen um Bargeld. «Es ist grossartig hier, solange man ab und zu die Gelegenheit findet, den Felsbrocken zu verlassen, um keinen Lagerkoller zu bekommen», sagt der 29- Jährige aus dem mittleren Westen der USA.

Williamsons Interesse an Bitcoins fusste auf der Möglichkeit, Online-Poker zu revolutionieren und vielleicht eines Tages die Notwendigkeit einer neutralen Instanz zu eliminieren, die das Spiel beaufsichtigt und die Einsätze der Spieler überprüft. Nach seinem Umzug auf die Insel bastelte er in seiner Freizeit am Bitcoin-Quelltext rum und begann, sein eigenes Blockchain-Protokoll zu verfassen. Im November 2014 verliess er PokerStars, um sich voll auf sein neues Startup Pythia zu konzentrieren, das massgeschneiderte Software anbietet, mit der die Kunden ihre eigene Blockchain nach Wunsch schaffen und laufen lassen können.

Verzeichnis aller Kryptowährungsfirmen

Um die Realisierbarkeit des Pythia-Protokolls unter Beweis zu stellen, fand Williamson einen ungewöhnlichen Partner: die Regierung der Insel Man. Die Regierung hat ein Verzeichnis aller Kryptowährungsfirmen auf dem Kronbesitz geschaffen, das als Pilotprojekt in der Blockchain gespeichert wird, die das Pythia- Protokoll benutzt. Das wird die Insel Man zu dem ersten Staat überhaupt machen, der die Blockchain als offiziellen Datenspeicher benutzt, erklärt Williamson.

«Das demonstriert nur unser Vertrauen», sagt der Beamte Brian Donegan über das Blockchain-Pilotprojekt, der den Vorstoss in der Abteilung für Wirtschaftsentwicklung vorangetrieben hatte. «Es signalisiert auch, dass wir ein Gleichgewicht schaffen zwischen der Bedeutung von Regulierung und Geschäftsfreundlichkeit.»

Grossbritannien zaudert

Nach Einschätzung von Donegan prescht die Manx-Regierung voran, während das benachbarte Grossbritannien zaudert und Weissbücher über einen Umgang mit Bitcoins abfasst. In weniger als einem Jahr wurden auf der Insel ein Regulierungsrahmen geschaffen und Gesetzesänderungen vom Tynwald verabschiedet, der mehr als 1000 Jahre zurückreicht und sich als das älteste durchgehend existierende Parlament der Welt bezeichnet. Kryptowährungsbörsen müssen sich an die Vorschriften des Inselstaats zur Bekämpfung von Geldwäsche und an Kundenidentitätsanforderungen halten.

Für Fintech-Unternehmer hat die Insel aber noch mehr zu bieten als das Regulierungsregime. Drei Glasfaserringe verbinden sie mit Irland und Grossbritannien und sorgen für ungewöhnlich leistungsstarke Bandbreiten. Elektrizität ist reichlich und zuverlässig vorhanden, ebenso wie hochsichere und belastbare Rechenzentren. Und dann ist da noch das Steuersystem: keine Körperschaftssteuer, keine Steuern auf Kapitalerträge oder Dividenden und niedrige Einkommenssteuersätze von maximal 20 Prozent, weniger als die Hälfte des Höchstsatzes in Großbritannien.

Zügige Akzeptanz auf der Insel

Die zügige Akzeptanz digitaler Währungen auf der Insel Man geschieht zu einer Zeit, in der der autonome Kronbesitz wegen seines Status als Offshore-Steueroase in den Fokus der Aufseher von Grossbritannien und anderen Ländern rückt. Die Insel, die sich seit drei Jahrzehnten eines ungebrochenen Wirtschaftswachstums erfreut und schon früher auf neue technologische Innovationen wie Satelliten und Mobilfunkdienste gesetzt hatte, will ihre Wirtschaft weiter diversifizieren. E- Commerce, zu dem auch Online-Spiele gehören, macht bereits mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Insel Man aus. Zum Vergleich: Der Anteil der Finanzdienstleister am BIP beläuft sich auf etwa 35 Prozent, während andere Fachdienstleistungen wie Anwälte und Buchhaltung rund 20 Prozent zum Wachstum beitragen.

Die Regierung in Douglas will das Schicksal von Jersey vermeiden, das ebenfalls ein Offshore-Finanzzentrum und direkt der britischen Krone unterstellt, aber nicht Teil des Vereinigten Königreichs ist. Der Insel im Ärmelkanal droht bis 2019 eine Haushaltslücke von 125 Millionen Pfund, teils auch wegen des härteren Durchgreifens in Grossbritannien gegen Strategien zur Steuervermeidung, die sich auf Offshore-Fonds stützen.

Doch untergräbt eine Regulierung nicht den ganzen Zweck von Bitcoins, die auf dem libertären Versprechen einer von staatlicher Aufsicht befreiten Währung basieren, wird Charlie Woolnough oft gefragt. Der auf Man geborene 39-jährige half beim Aufbau der Bitcoin-Börse CoinCorner 2014 und dem Verband Manx Digital Currency Association, der die Kryptowährungs- Gemeinschaft bei Staat und Aufsehern vertritt.

Einzige Weg für Akzeptanz

Woolnough zufolge ist ein «intelligentes Regulierungsregime» der einzige Weg, wie Bitcoins eine hohe Akzeptanz finden können. «Andernfalls könnte Bitcoin nur zu einem Spielzeug des Dark Web werden», sagt er und bezieht sich auf eine Reihe illegaler Websites, die von anonymen Servern aus betrieben werden.

Doch nicht alle in der Bitcoin-Bruderschaft teilen seine Meinung. «Man kann eine Rolex oder Diamanten kaufen, ohne durch den umfangreichen Kenne-Deinen-Kunden-Prozess zu gehen. Und diese Sachen sind schwieriger nachzuverfolgen als Bitcoins», erklärt der gebürtige Insulaner Adrian Forbes. Der Gründer von TGBEX verkauft physische Bitcoins - oder auf Anraten seines Anwalts, damit seine Firma nicht als Wechselstube gilt - «dekorative, neuartige Metallmarken». Auf diesen Bitcoin- Tokens ist jeweils ein privater Schlüssel eingraviert, um die Summe in eine digitale Geldbörse zu übertragen.

Noch nicht allgegenwärtig

Bitcoins sind zwar noch nicht allgegenwärtig auf der Insel, doch die Zahl der Geschäfte wächst, in denen mit der digitalen Währung bezahlt werden kann. Möglich ist dies beispielsweise bei dem Taxidienst The Lady Chauffeurs oder im Café Java Express und der Kneipe Thirsty Pigeon, beide in Douglas.

Mit Hipster-Bäckereien, lokal gebrautem Bier und ultraschnellem Breitband-Internetzugang bietet die Insel Man so ziemlich alles, was ein Zentrum für Bitcoins braucht - und dazu noch ihren sehr eigenen Charme.

(bloomberg/ccr)