Als Kaiser Nero im Jahre 54 die Nachfolge seines einem Giftanschlag zum Opfer gefallenen Vorgängers Claudius antrat, hielt er selber die Leichenrede. Verfasst hatte sie ein Ghostwriter namens Seneca. Nero lobte die Weisheit und Umsicht seines Vorgängers, obwohl ganz Rom wusste, dass der ein Einfaltspinsel gewesen war. Wenn ein CEO sein Unternehmen fast an die Wand gefahren hat, hält sein Nachfolger, der neue «Hoffnungsträger», seine vom Ghostwriter verfasste Antrittsrede. Darin lobt er den Vorgänger über den grünen Klee, obwohl alle Mitarbeiter wissen, dass er eine patentierte Null war. Aber irgendwie muss der goldene Fallschirm des Dahingegangenen gerechtfertigt werden.

In den ersten fünf Regierungsjahren erwies sich Kaiser Nero als massvoller und weiser Regent, der die Steuern senkte, mit sinnvollen Erlassen die Korruption bekämpfte und das Volk von Rom mit Kultur versorgte – auch indem er selber als nicht unbegabter Dichter, Sänger, Maler und Bildhauer tätig war. Der neue CEO tritt vor sein Volk mit einem ehrgeizigen Aktionsplan, in dem viel von «Change», «Krise als Chance», «Spirit» und «Vertrauenskultur» die Rede ist – und natürlich davon, dass nun alles besser werde. Die Visionen sind derart kühn, dass der Neue in den Medien und dann in den Fallstudien der Business-Schools als «Superstar» gefeiert wird.

Neros Lust, sich zu produzieren, und sein enormes Lampenfieber trieben ihn dazu, immer aufwändigere Spiele zu sponsern, den Beifall durch hoch bezahlte Claqueure sicherzustellen und schliesslich, als er den Boden der Realität vollends verlassen hatte, seine stärkste Performance in Szene zu setzen: Er liess ganz Rom anzünden. Brot und Spiele sind auch für moderne Regenten ein Lebenselixier. Topshots halten sich ganze Sportvereine (oder Museen oder neuerdings Verlage), bevölkern die Loipen beim Engadiner Marathon und umgeben sich im Unternehmen mit Ja-Sagern. Und weil sie schliesslich selber an ihre Unfehlbarkeit glauben, treiben sie den Spass am Umbau bis zum bitteren Ende. Jack Welchs Rat an einen Neuen in der Chefetage: «Nehmen Sie eine Handgranate, ziehen Sie die Zündschnur, rollen Sie die Granate durch den Haupteingang, und jagen Sie das Unternehmen in die Luft.» Oder im zivilisierteren Management-Speak unserer Breitengrade: «Lassen Sie keinen Stein auf dem anderen.»

Nero verstand sich stets als Wohltäter des Volkes und konnte gar nicht begreifen, warum es sich nach dem Brand von Rom gegen ihn erhob – er hatte doch nur die alten Bauwerke hässlich gefunden. Als ihn der Senat verhaften lassen wollte und niemand zu seinem Schutz herbeieilte, wählte er den dramatischen Abgang und stiess sich einen Dolch in die Kehle. Die meisten Topmanager verstehen sich als Gemeinwohl-Elite, die den Gewinn maximieren, um Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn sie selber hinaus-komplimentiert werden, können sie nicht begrei-fen, weshalb ihnen dies geschieht. Sie greifen aber – ein Fortschritt in fast 2000 Jahren – nicht mehr zum Dolch, sondern zum goldenen Fallschirm. Und tauchen nach angemessener Schamfrist als Berater wieder auf, bis sie dank ihres Beziehungsnetzes einen Platz auf den Fahndungslisten der Headhunter finden – um dann als «Hoffnungsträger» neue «Visionen» zu verkünden.

Angeregt durch das Kapitel «Das Nero-Syndrom» im lesenswerten Buch «top schrott» von Rolf Finke und Karl Kälin, Verlag Orell Füssli, 176 Seiten, Fr. 39.80.
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