Bisher gab es für sie keine Grenzen: Grafiker, Softwareentwickler oder andere Berufsgruppen, die dank digitalen Tools ihre Zelte in der Schweiz abgebrochen haben und seitdem durch die Welt jetten. Ein Monat Arbeit in Tokio, eine Woche Programmieren am Strand in Bali, ein halbes Jahr in Buenos Aires und dann noch eine Woche New York. Natürlich alles möglichst spontan.
Das ist jetzt vorbei. Durch Reisesperren und Shutdowns ist die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. In manchen Ländern ist die Reisefreiheit aufgehoben. Wer sich doch noch ins Ausland wagt, riskiert eine wochenlange Quarantäne. Ist das Modell der digitalen Nomaden damit endgültig am Ende?
Lebensmodell unter Druck
Für Anina Torrado Lara, eine Schweizer Kommunikationsexpertin und digitale Nomadin, die sich gerade in Mexiko aufhält, ergeben sich gleich mehrere Probleme: «Die härteste Entscheidung ist, ob man sofort in die Schweiz zurückreist oder in seinem temporären Zuhause in einem anderen Land wartet, bis der Sturm vorbei ist.»
Wie bei allen Selbstständigen könnten nun Aufträge einbrechen. Aber ob man als digitaler Nomade Anspruch auf Hilfe des Bundes habe, sei zweifelhaft. «Wer abgemeldet ist, kann wohl kaum auf Hilfe zählen», so Torrado Lara. Auf ihrer Arbeits-Weltreise war sie bereits unter anderem in Lima, Kyoto und Belgrad.
Torrado Lara kennt viele amerikanische digitale Nomaden, oder DN, wie sie sich selber per Kürzel bezeichnen, die von heute auf morgen den Job verloren haben und irgendwo festsitzen. Sie können momentan auch gar nicht mehr in die USA einreisen. «Ich bleibe, wo ich gerade bin, in Mexiko, und versuche, Normalität zu leben. Meine Kundenbesuche in der Schweiz sind auf Herbst verschoben.»
Fragile Arbeitsverhältnisse
Für Lorenz Ramseyer, Präsident des Vereins Digitale Nomaden Schweiz, der für die «Handelszeitung» eine Umfrage im Slack-Channel der in aller Welt verstreuten digitalen Nomaden durchgeführt hat, ist klar: «Wer aktuell unterwegs ist, muss sich gut überlegen, wie weiter. Das Beispiel aus Mexiko zeigt, wie fragil die Arbeitsverhältnisse von Freelancern sind.»
Durch den Umstand, dass viele Leute in der Schweiz jetzt zum ersten Mal im Homeoffice arbeiteten, entstünde aber auch eine grosse Nachfrage nach Expertinnen und Experten im Remote-Work-Bereich. «Hier werden die digitalen Nomaden ihr Know-how gerne einbringen.»
Vorbild für Homeoffice-Neulinge
«Die aktuell grösste Einschränkung bringt die Limitierung unserer Mobilität, Schliessung von Grenzen und öffentlichen Orten», sagt Adrian Sameli, der lange als digitaler Nomade gelebt hat und heute IT-Chef einer Zürcher Firma ist. «Am meisten betroffen sind Menschen, deren Aufenthaltsgenehmigung zeitlich limitiert ist. In Südostasien halten sich viele Nomaden auf, die regelmässig das Land verlassen, um ihr Visum zu erneuern.» Anstatt Landesgrenzen zu überschreiten, kommt man heute eben nur bis zur nächsten Stadt.
Dennoch glaubt er, dass das digitale Nomadentum aktueller denn je ist: «Wir können traditionellen Organisationen zeigen, wie ein Büro-Alltag digitalisiert werden kann. Wir arbeiten seit Jahren mit digitalen Dokumenten, Online-Software und führen virtuelle Meetings. Dieser Lebensstil erfordert höhere Selbstdisziplin und sehr strukturierte Arbeitsweise. Traditionelle Büroteams sind eher mit der aktuellen Situation überfordert», ist er überzeugt.
Hilfe bei neuer Firmenkultur
Mitarbeiterführung durch Büropräsenz würde plötzlich nicht mehr funktionieren und unklare Arbeitsprozesse würden dank fehlender Dokumentation und Kommunikation schnell zum Problem. «Unsere Bewegung wird gestärkt aus dieser Krise hervorgehen und unser Lebensstil wird an Wichtigkeit gewinnen.» Für Ramseyer, den Präsidenten der digitalen Nomaden Schweiz, kommt gerade sehr viel Arbeit auf seine Gruppe zu.
«Das Feuerlöschen ist ja schnell gemacht, damit sich mal alle schön einloggen können, aber der ganze Mindset-Aufbau und die Entwicklung einer neuen Unternehmenskultur wird sehr viel mehr Zeit und Unterstützung beanspruchen.» Und da viele digitale Nomaden momentan ohnehin irgendwo festsitzen, haben sie viel Zeit, bei dieser neuen Arbeitskultur mitzuhelfen.
Erreichbarkeit Seien Sie zuverlässig. Stellen Sie sicher, dass Sie zu den vereinbarten Zeiten erreichbar sind und zeitnah auf Anfragen reagieren können. Widmen Sie den Arbeitstag nur dienstlichen Aufgaben.
Sprache Wählen Sie eine neutrale Sprache. Wird nur über Text kommuniziert, entstehen schnell Missverständnisse. Formulieren Sie E-Mails und Instant Messages so neutral wie möglich, meiden Sie zum Beispiel Sarkasmus. Lesen Sie Nachrichten immer zur Kontrolle durch.
Reaktionszeit Einigen Sie sich mit Kollegen auf gemeinsame Regeln, z.B. wann Meetings stattfinden, auf welchen Kommunikationswegen und wie schnell reagiert werden soll. Klare Erwartungen helfen Streit zu vermeiden. Regeln Sie auch, zu welchen Zeiten nicht mehr auf E-Mail und Telefonate reagiert werden muss!
Vorbild Halten Sie sich auch als Chef an die aufgestellten Regeln, wählen Sie sich zum Beispiel pünktlich in Konferenzen ein und sorgen Sie dafür, dass Teilnehmer gleichermassen zu Wort kommen.