Die Geschichte ist auch fast drei Dekaden später noch rekordverdächtig. Anfangs der Neunzigerjahre verschliess der Berner Industriepionier Fritz Bösch, Grossaktionär und Verwaltungsratspräsident der von ihm gegründeten Feintool, in acht Jahren nicht weniger als sechs Chefs. Macht eine durchschnittliche Verweildauer von mikrigen 16 Monaten, wie das Nachrichtenmagazin «Facts» seinerzeit vorrechnete. Feintool stellte Montageautomaten her, sein Präsident demontierte deren Geschäftsführer.
Ein Verwaltungsratspräsident, der, so ging damals das Gerücht, seinen Kaderleuten auch mal in die Post guckte, der es nicht mochte, wenn seine Chefs im Rampenlicht standen, und der dazu tendierte, die Karte des Unternehmensgründers zu spielen, der jeden Kunden persönlich kannte: Fritz Bösch war der Klassiker eines Patrons, der sich schwer tat mit den neuen Machtverhältnissen, welche die Kotierung seines Unternehmens mit sich brachte.
Konflikte sind Gift
«Konflikte zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung gehören zu den häufigsten Gründen für einen CEO-Wechsel», sagt Clemens Högl, Personalberater bei Egon Zehnder. Oder anders rum: «Wer für einen Job als Konzernchef im Rennen ist, der sollte schauen, dass die Chemie mit dem Verwaltungsratspräsidenten stimmt», sagt Personalberater Guido Schilling.
Auch veränderte Besitzverhältnisse rufen nach neuen Köpfen. «Die Erwartungen ändern sich, es gibt eine neue Strategie: Da liegt es auf der Hand, dass man den Konzernchef auswechselt», sagt Daniel Kessler, Managing Partner von BCG Schweiz.
Bei Syngenta wurde Erik Fyrwald Chef, als das Unternehmen an die chinesische ChemChina verkauft wurde. Das Nachsehen hatte der ehemalige Finanzchef und Interims-Geschäftsführer John Ramsay. Sein vermeintliches Plus, die lange Firmenzugehörigkeit, geriet über Nacht zum Nachteil. Und noch ein aktuelles Beispiel: Die zur chinesischen HNA-Gruppe gehörende Swissport hat soeben vor einem möglichen Börsengang ihren Chef Eric Born verloren. Auch das ist «courant normal».
Vekselbergs Renova – ein heisses Pflaster
Heiss wirds, wenn sich die Konzernchefs nur so die Klinke in die Hand geben. Wenn es die häufigen Chefwechsel unmöglich machen, einen Strategiezyklus von vier bis fünf Jahren überhaupt erst über die Runden zu bringen. Besonders gefährlich leben die Chefs von Viktor Vekselbergs Gnaden.
Von den fünf Unternehmen mit mehr als drei Chefwechseln zwischen 2006 und 2017, die der Zürcher Personalberater Guido Schilling aufgrund des jährlich erscheinenden Schillingreports für die «Handelszeitung» evaluiert hat, gehören zwei zum Imperium des russischen Oligarchen, der seit kurzem wegen amerikanischer Sanktionen in der Klemme sitzt. Das sind: OC Oerlikon (fünf CEO) und Sulzer (drei CEO). Die interimistischen Konzernchefs mit eingerechnet ist der Chefsessel bei OC Oerlikon mit sieben Wechseln der Schleudersitz schlechthin.
Kurz heisst nicht zwingend schlecht
Doch auch äussere Veränderungen können dazu führen, dass ein vormals stabiles Unternehmen plötzlich einen Chef nach dem anderen verheizt. «Die Wettbewerbssituationen verändern sich heute rasend schnell», sagt Daniel Kessler von BCG. Die Anforderungen an die Wandelbarkeit seien stark gestiegen. Was heute noch gelte, könne morgen schon durch eine neue Technologie über den Haufen geworfen werden.
Technologie beschleunigt den Wechsel: Das Prinzip lässt sich auch auf Unternehmenskategorien umlegen. «In jungen, technologiegetriebenen Unternehmen kommt es häufiger zu Chefwechseln als in etablierten Industrien», sagt Högl von Egon Zehnder.
Nicht alles, was nach häufigem Wechsel schmeckt, muss deshalb auf eine Krise verweisen. «Eine kurze Tenure ist nicht per se schlecht», sagt Högl. Eine höhere Kadenz bei Chefwechseln könne durchaus Sinn machen, wenn das Unternehmen gerade grössere, sich rasch ändernde Herausforderungen zu bewältigen habe.
Wissen, wofür das Unternehmen steht
Wichtig sei, dass es zwischen Verwaltungsrat und dem Geschäftsführer einen Konsens darüber gebe, wofür das Unternehmen im Kern stehe, sagt Daniel Kessler. «Das klingt banal, aber daran fehlt es in aller Regel, wenn es gehäuft zu Abgängen kommt». Dass man sich über Entscheidendes wie Strategie, Internationalisierung oder Geschäftsmodell nicht einig sei.
Feintool, das vor drei Jahrzehnten als CEO-Killer schlechthin Geschichte schrieb, wächst heute mit zweistelligen Raten. Ungeachtet dessen trat Konzernchef Bruno Malinek im vergangenen Jahr ab. Er war nur ein Jahr im Amt. Knut Zimmer ersetzte ihn. Feintool-Verwaltungsratspräsident Alexander von Witzleben wiederum ist seit kurzem als Geschäftsführer und Verwaltungsratspräsident in Personalunion bei der ebenfalls für zahlreiche Chefwechsel bekannten Arbonia tätig. Seine Mission: Stabilisierung.
Auf der Chefetage von OC Oerlikon herrschte ein Kommen und Gehen. Fünfmal hat der CEO seit 2006 gewechselt – aktuell amtet Roland Fischer. Im ständigen Umbau ist auch die Strategie: Früher war das Unternehmen ein weit verzweigtes Industriekonglomerat, jetzt ist es ein Konzern mit noch drei Geschäftsbereichen und künftig will sich Oerlikon auf die Oberflächenbeschichtung spezialisieren. Wechselhaft war ausserdem der Geschäftsgang: 2010 noch hoch verschuldet, schreibt die Firma heute schwarze Zahlen. Mit Viktor Vekselberg hat beim Industriekonzern ein äusserst fordernder und umtriebiger Investor das Sagen. Nun ist allerdings sein Einfluss gesunken. Der russische Milliardär ist im Visier der US-Behörden und musste seine Beteiligung herunterfahren – vielleicht wird jetzt bei Oerlikon mehr Ruhe einkehren.
Seit 2007 zieht bei Sulzer Viktor Vekselberg die Fäden. Unter dem Oligarchen als Haupteigentümer hat das Unternehmen vier Präsidenten und drei Geschäftsführer erlebt, Interimschefs nicht mitgezählt. Das aktuelle Führungsgespann mit Präsident Peter Löscher und CEO Grégoire Poux-Guillaume ist nun aber bereits knapp drei Jahre am Werk. Die beiden haben Sulzer auf Sparkurs gebracht und den Pumpenhersteller durch die Flaute der Öl- und Gasindustrie gesteuert. Für Schlagzeilen sorgte in jüngster Zeit nicht das Management, sondern Vekselberg: Sulzer musste dem von den USA sanktionierten Russen Aktien abkaufen, um nicht selber unter Druck zu geraten. Als grösster Aktionär hat der jetzt international geächtete Investor beim Unternehmen aber weiter ein gewichtiges Wort mitzureden.
Arbonia war lange der Konzern von Edgar Oehler: Als Mehrheitsbesitzer, Präsident und Vorsitzender der Geschäftsleitung gab der Patron beim Bauausrüster den Ton an – bis 2011, als er wegen schlechter Zahlen die Führung abgeben musste. Auf Oehler folgte Daniel Frutig. Er blieb drei Jahre, sein Abgang kam abrupt. Auch Frutigs Nachfolger William Christensen amtete nicht lange. Seit 2015 wird der Gebäudezulieferer im Doppelmandat von Präsident Alexander von Witzleben geführt. Mit von Witzleben an der Spitze ist Ruhe eingekehrt. Nach einer Serie von Verlusten schreibt der Konzern wieder schwarze Zahlen. Ein neuer Haupteigentümer – der Industrielle Michael Pieper – sorgt für Stabilität. Die Ruhe dürfte anhalten. Von Witzleben will mindestens bis Anfang 2020 Geschäftsführer bleiben.
Die ehemalige Swissair-Tochter ging 2006 in den Besitz der Herrscherfamilie von Abu Dhabi über. Vor zwei Jahren verkaufte deren Mubdala Development die Mehrheit am Flugzeugwartungskonzern an das chinesische Konglomerat HNA; sechsmal haben die Besitzer aus Nahund nun Fernost den Chef ausgetauscht. Zurzeit wird der Konzern vom Niederländer Frank Walschot geführt. Die Geschäftslage ist schwierig, der Konzern hat Hunderte von Stellen abgebaut. Ob SR Technics Gewinne schreibt, ist nicht bekannt. Nach Kontinuität sieht es weiterhin nicht aus, denn HNA ist hochverschuldet. HNA versuchte erfolglos, ihre beiden anderen Schweizer Konzerntöchter Gategroup und Swissport an die Schweizer Börse zu bringen. Ob die Chinesen an den drei Ex-Swissair-Töchtern festhalten werden, ist ungewiss.
Anfang 2009 kam es in der Führung von Swiss Re zum Knall: CEO Jacques Aigrain musste nach einem katastrophalen Jahresergebnis gehen. Unter dem Ex-Investmentbanker hatte sich der Rückversicherer ins Geschäft mit Finanzprodukten vorgewagt. Der Ausflug ins neue Geschäftsfeld resultierte in einem milliardenhohen Verlust. Aigrains Nachfolger können auf eine erfolgreichere Amtszeit zurückblicken: Zuerst kam Stefan Lippe, der Stellvertreter des geschassten CEO. Der Deutsche führte Swiss Re in die schwarzen Zahlen zurück. Auf Lippe folgte Michel Liès und anschliessend Mitte 2016 Christian Mumenthaler. Mit dem Schweizer an der Spitze sind die Ergebnisse bisher nur verhalten ausgefallen. Mehr zu reden als die Geschäftszahlen gab der gescheiterte Einstieg von Softbank bei Swiss Re.