«Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre»: Der Slogan prangte in überdimensionaler Grösse im Herzen Genfs auf dem Plaine de Plainpalais. Das war kurz vor der Abstimmung über das bedingungslose Grundeinkommen am 5. Juni letzten Jahres. Die Initiative wurde klar abgelehnt, die Idee gewinnt dagegen weltweit an Boden.

Finnland testet derzeit ein Grundeinkommen, im Silicon Valley und in Zürich sind Pilotprojekte in Vorbereitung. Unterstützer hat die Idee auch in prominenten Kreisen: Tesla-Gründer Elon Musk hat sich dafür ausgesprochen, genauso wie der französische Präsidentschaftskandidat Benoit Hamon. Auch Initiant Daniel Häni kann sich nicht von der Idee lösen, wie er zuletzt im Interview sagte. Zusammen mit dem Philosophen Philip Kovce hat er jetzt ein Manifest* zum Thema verfasst.

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Vergleich zu Luthers Thesen

Darin bringen die Grundeinkommens-Enthusiasten die Frage nach der Zukunft der Arbeit mit 95 Thesen auf den Punkt. Denn diese Frage ist zentral bei der Diskussion um das Grundeinkommen: Was will ich wirklich arbeiten? Und für wen? Würde ich weiter arbeiten, wenn ich ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten würden?

Für Häni und Kovce ist das Grundeinkommen eine Form von Selbstbestimmung. Ihre Thesen zur «Befreiung der Arbeit» vergleichen sie deshalb mit jenen Martin Luthers. Der habe mit seinen Thesen im Jahr 1517 eine «Selbstbestimmungsinitiative ergriffen», die ein eigenständiges Verhältnis zu Gott ermöglichen sollte.

«War zu Luthers Zeiten die Religion lebensprägend, so ist es heute die Arbeit», schreiben sie. «Wer heute eine Selbstbestimmungsinitiative ergreifen will, der muss nicht beim Glauben, sondern beim Arbeiten ansetzen.» Ein Ausschnitt aus Häni und Kovces Thesen zeigt auf, wie sie sich die Zukunft der Arbeit vorstellen:

Zehn Thesen

1. Arbeit ist anstrengend. Aber das heisst nicht, dass wir nicht arbeiten wollen. Arbeiten ist menschlich.

2. Ohne Fleiss kein Preis. Das war einmal zeitgemäss, als es darum ging, fleissig und gehorsam zu sein. Diese Zeiten sind vorbei: Fleissig sind heute Maschinen, die uns gehorchen. Anstelle von Fleiss und Gehorsam sind Kreativität und Selbstbestimmung gefragt.

3. Macht hat, wer das macht, was er will. Wer etwas machen muss, was er nicht will, der ist ohnmächtig. Wer über Geld verfügt, der kann machen, was er will, und muss nicht machen, was andere wollen. Ausserdem kann er über andere verfügen, die nicht über Geld verfügen. Das geht aber nur, wenn die Existenz der anderen nicht gesichert ist.

4. Wer etwas tun soll, was er nicht will, der muss mit allerlei Tricks bei Laune gehalten werden, damit er es dennoch tut und nicht sofort die Lust verliert. Wer sich mit Aufgaben und Zielen verbinden und sie teilen kann, der ist motiviert – weil ihn die Sache begeistert.

5. Anreize sollen dazu führen, dass wir etwas tun, was wir sollen, aber nicht wollen, oder wollen, aber nicht tun. Anstatt nach den Gründen des Nicht-Wollens oder Nicht-Tuns zu fragen, betäuben wir sie mittels Motivationsspritzen. Anreize vergiften das Arbeitsleben. Sie machen uns abhängig davon, nicht das zu tun, was wir wollen.
 
6. Der Rohstoff des 20. Jahrhunderts ist schmutzig: Öl. Der Rohstoff des 21. Jahrhunderts ist sauber: Kreativität. Ihre Quellen sind nachhaltig, solange wir daraus schöpfen.

7. Work-Life-Schizophrenie: Wer Arbeit und Leben ausbalancieren, also nicht zu viel arbeiten und nicht zu wenig leben will, der bemüht sich um eine gesunde Work-Life-Balance. Das ist krank. Wir können nicht arbeiten, ohne zu leben. Arbeitszeit ist Lebenszeit.

8. Wir müssen nicht mehr bezahlt, sondern begeistert werden.

9. Wer nicht arbeiten will, tut das Falsche. Wer etwas tun soll, was er nicht will, der verliert die Lust und wird faul. Faulheit ist keine anthropologische Konstante, sondern eine gesunde Reaktion des Sinn-Immunsystems auf unsinnige, unwürdige oder überflüssige Tätigkeiten. Wer tun kann, was er will, der wird nicht faul, sondern tätig.

10. Wer nichts falsch machen will, der macht nichts richtig. Natürlich ist es ärgerlich, wenn etwas falschläuft. Aber noch ärgerlicher ist es, wenn nichts richtigläuft. Natürlich heisst das nicht, dass etwas falschlaufen soll. Es heisst: Je fehlerfreundlicher eine Gesellschaft, desto fehlerfreier.

*Daniel Häni & Philip Kovce, «Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre», Ecowin Verlag, 8,00 Euro.

Wo Studenten weltweit am liebsten arbeiten würden, sehen Sie in der Bildergalerie: