Für Unternehmer sind sie eine Art Allzweckwaffe: Treuhänder – eine in der Schweiz nicht geschützte Berufsbezeichnung für all jene, die gemeinhin als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer bekannt sind. Ihre Dienste sind für Unternehmen so umfassend wie unentbehrlich.
Während Steuerberater Steuererklärungen erstellen, steuerliche Folgen von Transaktionen, Investitionen oder Verträgen prüfen, mit den Behörden kommunizieren und Firmenstrukturen steuertechnisch optimieren, nehmen sich die anderen die Jahresabschlüsse vor: Prüfer jonglieren mit Zahlen, analysieren Bilanzen, Abläufe und Informationen auf Vollständigkeit und Zuverlässigkeit. Passt ein Dokument zur entsprechenden Zahl, stimmen die Angaben überein? Führt die Firma ihre Prozesse korrekt durch? Erhalten Banken die nötigen Informationen? Zudem liefern sie Unternehmensbewertungen oder erstellen Gutachten, etwa zur Kreditwürdigkeit.
Testat für die Glaubwürdigkeit
«Wirtschaftsprüfer blicken tief in die Unternehmen hinein, kennen neben den Strukturen auch die Risikobereiche und Probleme und zeigen Lücken auf, wie sie sonst nur der Eigentümer oder Geschäftsführer kennt – wenn überhaupt», sagt der auf die Branche der Steuer- und Rechtsberater, der Treuhand und der Revision spezialisierte Unternehmensberater Alfred Raucheisen.
Der allumfassende Auftrag lautet stets: ein Urteil über die Vertrauenswürdigkeit des Jahres- oder Konzernabschlusses abzugeben – in Form eines Testats, eines Stempels, der die Glaubwürdigkeit und Richtigkeit der Angaben bestätigt, gerichtet an Gläubiger, Investoren, Kunden, Banken und Öffentlichkeit.
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Bei börsenkotierten Unternehmen sollen sich Aktionäre so darauf verlassen können, dass die Manager mit ihrem Geld keine Experimente wagen und der Lagebericht die Situation der Firma zutreffend wiedergibt. «Wir empfehlen, die vorliegende Konzernrechnung zu genehmigen», heisst es dann am Ende des Revisionsberichts. Und mit grosser Wahrscheinlichkeit stammt dieser von KPMG, PwC, EY oder Deloitte; von einem der Big Four, wie man sie ehrfurchtsvoll nennt.
Die Big Four dominieren den Markt
An ihnen kommt keiner vorbei: Die vier grossen Revisions- und Beratungsfirmen teilen den Grossteil des globalen Marktes unter sich auf. Weltweit kommt dieses Oligopol auf mehr als 150 Milliarden Dollar Umsatz und auf über eine Million Mitarbeitende. Mehr als 2,5 Milliarden Franken davon werden in der Schweiz umgesetzt.
Bei den börsenkotierten Top-Konzernen – sei es in der Schweiz, Europa oder den USA – liegt das Mandat fast immer bei einem der vier Giganten. 97 Prozent der börsenkotierten US-Konzerne, die 100 grössten UK-Firmen und 92 Prozent der Swiss-Performance-Index-Unternehmen werden von den Big Four geprüft. Der Marktanteil in der EU liegt bei 90 Prozent.
Der Grund: Grosse, international aufgestellte Unternehmen wollen grosse, international agierende Prüfer. «Für die grossen Konzerne sind die Big Four stets erste Wahl, weil sie über die meiste Erfahrung, das grösste Wissen und Flächenpräsenz in der Prüfung global verzweigter Unternehmen verfügen», sagt Berater Raucheisen. Kleine Prüfgesellschaften hingegen haben keine belastbaren Auslandsverbindungen und scheiden daher für die Prüfung grosser Konzerne aus.
Die Testierung der Jahresabschlüsse ist das eigentliche Kerngeschäft der grossen Wirtschaftsprüfer. Daneben allerdings bieten die Gesellschaften ihren Kunden auch Beratung an, vor allem in Steuerfragen. Consulting ist für die Big Four ein immer wichtigeres Geschäftsfeld geworden. Hier können sie glänzen, wenn sie mit grossen Unternehmen die digitale Transformation gestalten oder grosse Fusionsprojekte begleiten.
«Erst bei komplexen Fragen entfaltet sich unser Mehrwert dank unserer Experten.»
Markus Vogel, KPMG
Für jeden Fachbereich verfügen die Riesen über topausgebildete Spezialisten, die den Mandanten als Sparringspartner in betriebswirtschaftlicher, steuerlicher oder planerisch-strategischer Hinsicht zur Seite stehen: Der Auditor berät den CFO, der Steuerexperte den Corporate Tax Manager, der Rechtsanwalt den Chief Legal Officer.
«Es ist ein Austausch auf Augenhöhe», sagt Markus Vogel, Leiter der Steuer- und Rechtsabteilung Zentralschweiz bei KPMG. «Natürlich könnten wir auch die Steuererklärung vom lokalen Coiffeurbetrieb machen, die sonst der Treuhänder vor Ort übernehmen würde. Allerdings ist unser Mehrwert dann nicht besonders gross. Dieser entfaltet sich erst bei komplexen Fällen mit speziellen Fragestellungen, wo dann unsere Experten gefragt sind.»
Anwälte steuern mit
Mit solchen Experten wartet auch die Konkurrenz auf, vor allem punkto Steuerberatung. Hier sehen sich die grossen Gesellschaften starken Rivalen gegenüber: den Grosskanzleien. «Einfache Commodity Work machen wir nicht», sagt Pascal Hinny, Professor für Steuerrecht an der Universität Fribourg sowie Partner und Leiter des Steuerteams bei Lenz & Staehelin. «Wo wir beigezogen werden, handelt es sich entweder um komplexe Fälle oder um Fälle, bei denen Steuerrisiken vielfach in Millionenhöhe zur Diskussion stehen.» Ihre Kunden sind ebenfalls international tätige, weltweit führende Grossunternehmen, sogenannte Multinationals.
«Revisionsgesellschaften können ihren Kunden die Dienstleistungen der Revision und der Steuerberatung aus einer Hand anbieten. Soweit es um steuerliche Beratung im Rahmen des Courant normal geht, etwa um die jährliche Steuererklärung, ist dies auch im besten Interesse der Kunden», sagt Hinny. Und betont: «Unsere Stärke ist demgegenüber unsere Expertise in Prozess- und transaktionellen Mandaten, wo wir die Expertise unserer Steueranwälte in Kombination mit dem Fachwissen in allen anderen wichtigen Rechtsgebieten aus einer Hand einbringen können – das schätzen unsere Klienten sehr.»
Denn grosse Transaktionen tangieren schnell mehrere Rechtsgebiete gleichzeitig. «Dann», sagt Pascal Hinny, «braucht es neben den eigentlichen M&A-Anwälten eben auch Steuer-Know-how, Finanzierungsanwälte, welche die Verhandlungen mit den Banken führen können, Immaterialgüter-Rechtler, wenn es um Marken und Patente geht, Wettbewerbsrechtler bei Fragen der Marktbeherrschung, Arbeitsrechtler, wenn Arbeitsverträge betroffen sind oder wenn Personen aus dem Ausland kommen und dazu eine Bewilligung brauchen.»
Aber auch vermögende Privatpersonen zählen zu Hinnys Kunden, wenn es etwa um Erbschaften, Schenkungen, Migrationen oder Willensvollstreckungen geht. «Für kleinere Verhältnisse sind wir nicht immer die Richtigen, weil wir im Verhältnis zum Streitwert bisweilen zu teuer sind», sagt Pascal Hinny. «Aber wenn grosse Vermögen oder Nachlässe betroffen sind oder wenn die Verhältnisse komplex oder umstritten sind, können wir mit unserem Fachwissen im Steuer-, im Prozess- und im Erbrecht oftmals bedeutenden Mehrwert schaffen und solche Fälle überhaupt erst abwickeln.»
Attraktives Unterholz
Die Hierarchie ist klar: Die Grosskanzleien und die Big Four nehmen sich der Topshots der Wirtschaft an, während sich Anbieter in der zweiten Reihe auf den Mittelstand konzentrieren. Zuunterst tummeln sich schliesslich die vielen kleinen, regional fokussierten Anbieter bis hin zu den Einzelkämpfern, die meist Kleinstunternehmen und Privatpersonen bedienen.
Doch das Unterholz sei nicht weniger attraktiv, sagt Marc Bräutigam, Leiter des Instituts Treuhand und Recht von Treuhand Suisse, deren 2100 Verbandsmitglieder durchschnittlich Kleinsttreuhänder mit fünf bis zehn Mitarbeitenden sind. «Ein Unternehmen mit 10 bis 15 Mitarbeitern kann durchaus ein grosser Kunde sein, wenn er alles bei uns betreuen lässt – grösser als ein Revisionsmandat bei einem mittelständischen Unternehmen.»
Das Wesensmerkmal der Kleintreuhänder, deren Zahl in der Schweiz schätzungsweise bei mehr als 10 000 liegt: Sie agieren als Generalisten, als echte Allrounder, die thematisch alles im Blick haben, was gerade gefragt ist. Denn während sich die Konzerne Abteilungen und Experten für fast alles leisten können, weiss der Kleinstunternehmer teils nicht einmal, wo seine Probleme liegen.
Breite Palette an Dienstleistungen
Da hilft der Treuhänder mit seiner breiten Palette an Dienstleistungen den Kunden – speziell bei Fragen, bei denen er oder sie über keine eigenen Kräfte oder Erfahrungen verfügt: von Buchführung, Steuerberatung, Revision oder Immobilienverwaltung über Unternehmens-, Pensions-, Versicherungs- und Finanzberatung bis hin zum Personalwesen. «Bei unseren Mandaten geht es zum Beispiel um den Abschluss eines Maschinenbauers oder die Steuerfragen eines Handwerksbetriebes – administrative Dienstleistungen, die der Kunde nicht machen will oder kann, aber alles in einer Hand wissen will, mit der Gewissheit, dass das Administrative optimal für ihn abgewickelt wird», sagt Bräutigam.
Dabei punkten die kleinen Anbieter mit ihrer schlanken Struktur und der schnellen, unkomplizierten Erreichbarkeit im täglichen Umgang. «Vertrauen und der persönliche Kontakt sind wichtige Differenzierungskriterien, mit denen sich Grosskonzerne häufig schwertun», sagt der Berater Alfred Raucheisen. «Bei den Kleinen besteht oftmals eine enge Verbindung zum Kunden, ein riesiges Vertrauensverhältnis, das über Jahre gewachsen ist, sodass man fast schon zur Familie gehört.»
Doch mit ihrem Geschäftsmodell stossen die Kleinen bisweilen auch an ihre Grenzen. Nämlich dann, wenn das mandatierende Unternehmen grösser wird, Strukturen und Anliegen damit komplexer. Schliesslich unterscheiden sich die Bedürfnisse, je nachdem, ob ein Unternehmen 10, 100 oder 1000 Mitarbeitende hat, ob es nur lokal, national oder gar international aktiv ist. «Bei Spezialfragen ist der Generalist schnell überfordert», sagt Raucheisen. Entsprechend gefragt sind dann Experten mit ihrem Fachwissen. «Es ist wie bei Allgemeinmedizinern und Herzchirurgen: Mit einem Schnupfen gehen Sie nicht zum Herzchirurgen, aber das Herz wollen Sie sich auch nicht vom Allgemeinmediziner öffnen lassen.»
Erschwerend hinzu kommen neben der Technologisierung die höheren Regulierungsanforderungen und die komplexeren Steuervorschriften, die den Kleinen zu schaffen machen. «Auf allen Gebieten auf dem neuesten Stand zu bleiben, ist unmöglich», sagt Marc Bräutigam von Treuhand Suisse. Die Folge: Viele konzentrieren sich auf ein Feld oder schliessen sich zu einem Netzwerk zusammen, in dem sie sich austauschen.
«Der Ein-Mann-Treuhänder, der alles machen kann, ist eine aussterbende Gattung.»
Emre Özdemir, a&o kreston ag
Emre Özdemir, Managing Partner bei der Treuhandfirma a&o kreston ag, die Kunden vor allem im KMU-Segment betreut, sieht eine Entwicklung von kleinen zu mittelgrossen Treuhandfirmen: «Der ursprüngliche Ein-Mann-Treuhänder, der alles machen kann, ist eine aussterbende Gattung, was bedeutet, dass wir für alle Bereiche Fachspezialisten ausbilden oder einstellen.»
Zu finden sind solche Experten etwa in den Reihen anderer mittelgrosser Wettbewerber: den Next Ten, wie die Verfolger der Big Four genannt werden. Dazu gehören Gesellschaften wie BDO, Mazars oder Balmer-Etienne. Ihre Domäne ist der Mittelstand. Was sie vereint: Punkto Umsatz oder Mitarbeiterzahl können sie sich nicht mit den Big Four messen, bieten jedoch ein ähnlich breites Portfolio wie die Grossen an, sind regional verankert und überdies günstiger.
Kampf um die KMUs
«Wir sind in der Sandwichposition zwischen den kleinen Generalisten und den Spezialisten der Big Four», sagt Werner Pfäffli, CEO von Balmer-Etienne. Die Luzerner Firma bedient praktisch nur KMUs, die bei ihnen von einem Generalisten betreut werden, während im Hintergrund die Spezialisten die Facharbeit leisten. «Wir sind gross genug, um komplexen Fragen zu lösen, dabei aber überschaubar, persönlich und direkt, denn unsere Entscheidungswege sind weitaus kürzer und die Response Time deutlich schneller als bei den Grossen.»
Was viele nicht wissen: Die Big Four interessieren sich nicht nur für die Bilanzen der Top-Konzerne, sie beackern auch den Markt der mittelgrossen Unternehmen, dem angestammten Feld der mittelständischen Prüfer und Berater. «KPMG generiert 40 Prozent des Firmenumsatzes im KMU-Bereich», sagt Markus Vogel. Bei EY sind es gar 60 Prozent, bei PwC dürfte der KMU-Anteil ähnlich hoch ausfallen.
«KMUs in der Schweiz beauftragen gern ein KMU, das ihre Sprache spricht.»
Werner Pfäffli, Balmer-Etienne
Der Grund: Zukünftige Marktführer entwickeln sich meist aus dem Mittelfeld heraus. Entsprechend früh wollen sich die Big Four ihr Mandat sichern. Auch haben viele internationale Konzerne Schweizer Ableger in der Grösse eines KMU. «Wir spüren die Konkurrenz», sagt Balmer-Etienne-Chef Pfäffli. Doch: «KMUs, die primär in der Schweiz tätig sind, möchten von einem KMU bedient werden, das ihre Sprache spricht und die Probleme besser kennt als eine international und auf Grosskonzerne ausgerichtete Gesellschaft.»
Allerdings können auch KMUs komplexe Strukturen aufweisen, wenn sie stark international tätig sind oder sich ihr Geschäftsmodell um komplexe Technologien wie Blockchain dreht. «Dann kommen wir ins Spiel», sagt Vogel von KPMG. «Alles, was nicht 08/15 und standardisiert ist, ist für uns interessant.»
Auch Pascal Hinny von Lenz & Staehelin sagt: «Es ist immer eine schwierige Frage für einen Kunden, zu entscheiden, ob er sich mit seinem Problem an uns oder einen der Big Four wenden soll. Der in Frage stehende Steuerbetrag, das Anwaltsgeheimnis und letztlich das persönliche Verhältnis zum Vertrauensanwalt spielen beim Entscheid oft eine entscheidende Rolle.»
Starker Preisdruck im Prüfgeschäft
Vielfach geht es bei der Mandatsvergabe auch schlicht um den Preis. Gerade im Prüfgeschäft, das als stark standardisierte Commodity gilt, ist der Preisdruck spürbar. «Ob die Revisionsstelle nun Balmer-Etienne, BDO oder OBT ist, schlussendlich geht es immer um dasselbe Testat», sagt Pfäffli von Balmer-Etienne.
Anders sieht es im Markt der Beratung aus. Hier können Gesellschaften mit breitem Angebot an bestehende Beratungsfelder anknüpfen, Cross Selling betreiben; Wachstum und solide Renditen locken. «Die Grossen haben bei der Prüfung und der Steuerberatung den Vorteil, dass sie überall im In- wie im Ausland ihre Spezialisten haben und so problemlos die Standards erfüllen können», sagt Raucheisen. «In lokalen Beratungsprojekten braucht es das aber nicht immer, sodass auch mal eine kleinere Firma den Big Four einen Kunden wegschnappen kann.»
Matchentscheidend sind hier bei der Kundenakquise Empfehlungen aufgrund von positiven Erfahrungen aus der Vergangenheit. Heisst: Neben Fachwissen sind vor allem Soft Skills gefragt. «Für eine gute Kundenbeziehung sind Empathie und eine gute Kommunikationsfähigkeit mindestens genauso wichtig» so Bräutigam von Treuhand Suisse. «Für den Kunden sind wir nicht nur Prüfer oder Berater, sondern agieren als eine Art Problemlöser, sind Coach, Psychologe und in diesen Zeiten Corona-Beauftragte zugleich.» Eben eine echte Allzweckwaffe.