Am BILANZ Business Talk waren sich alle einig: Schweizer Wahlkämpfe sind gemütlich – und im Vergleich mit den Nachbarländern etwas langweilig. Doch im Themenpool gibt es immer einen verlässlichen Spannungsgaranten: die Zuwanderungsfrage.
SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi, dessen Partei das Thema am intensivsten bearbeitet, sieht in der «Keine 10-Millionen-Schweiz»-Initiative, die vorsieht, die heutige Zuwanderung auf 44’000 Personen zu halbieren, die Lösung vieler hiesiger Probleme. Ganz im Gegensatz zu den anderen Gästen, da doch der Fachkräftemangel eine der drängendsten Herausforderungen sei. Die SVP handle ideologisch und nicht zum Wohle der Schweiz.
Dieses Gefühl kommt vor allem bei den Unternehmern auf: Sowohl Breitling-CEO Georges Kern als auch Implenia-Chef André Wyss beschäftigen Mitarbeitende aus über 40 Nationen. Die Personenfreizügigkeit mit der EU garantiere, dass die Wirtschaft einfach die Leute bekomme, die sie brauche. Genau dieser Faktor – die Wohlstandsförderung durch eine stetig wachsende Wirtschaft – sei schliesslich der Grund, warum die Schweiz heute eine «Insel der Glückseligkeit» sei, so Kern. Implenia-Chef Wyss bleibt politisch ganz pragmatisch: «Ich weiss nicht, ob 44’000 die richtige Zahl ist», so der Bauunternehmer. «Solange wir die richtigen Leute bekommen.»
Taxifahrer mit Ph.D.
Die Personenfreizügigkeit mit der EU hat gemäss Aeschi einige Mängel. Zwar helfe das Recht der Behebung des Fachkräftemangels, bringe aber auch einen ganzen Rattenschwanz an Problemen mit sich – namentlich Familiennachzug und steigende Sozialleistungen. Der SVP-Fraktionschef zeigt auf Kern, denn Breitling habe viele Fachkräfte aus den USA, Indien und Pakistan: «Sie kriegen Ihre Fachkräfte auch mit dem Kontingentssystem!»
Ironisch, findet FDP-Nationalrätin Christa Markwalder: Die EU-Personenfreizügigkeit sei eine elegante Lösung. Mit einem Arbeitsvertrag kämen nur Leute, welche die Wirtschaft wirklich braucht. Anders beim Kontingentssystem, das «sich überhaupt nicht am Arbeitsmarkt orientiert». Sie verweist auf Kanada, dessen Zuwanderung ebenfalls auf einem Punktesystem basiert: «Dann haben wir auch Taxifahrer mit zwei Ph.D.s.»
Die Unternehmer doppelten nach und wiesen Aeschi auch darauf hin, dass das SVP-Szenario, wonach gut ausgebildete Schweizerinnen und Schweizer zugunsten ausländischer Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt vernachlässigt würden, nicht stimme: Gesucht werde immer zuerst in der Schweiz. «Internationale Transfers sind teuer, der Anreiz, lokal zu rekrutieren, ist sehr gross», so Wyss.
Europa ist keine Diktatur
Ein weiteres Thema, das sich bei den Gästen aufdrängt: die offene Europafrage. «Wir haben ein Problem», fasst Markwalder kurz und knapp zusammen.
Mit den hiesigen Parlaments- und Bundesratswahlen und den EU-Parlamentswahlen im kommenden Juli bestehe ein sehr knappes Zeitfenster für effiziente Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU. Wenn das nicht gelinge, gebe es erneut einen «Stillstand bis 2025» – ärgerlich für die hiesige Wirtschaftslage.
Vor allem für die in Europa tätigen Unternehmer Kern und Wyss. Die unzähligen Gespräche, mit denen die Schweiz die Geduldsfäden der EU strapaziert und so eigentlich das ohnehin schon zerrüttete Verhältnis noch weiter erschwert, schreibt Kern mangelnden Verhandlungsfähigkeiten von Schweizer Politikern zu. «Es fehlt an Selbstbewusstsein und scheitert am unbestimmten Auftreten.»
«Die Kommunikation ist holprig», stimmt Markwalder zu. Aber an Selbstbewusstsein fehle es bestimmt nicht – im Gegenteil. Bei den Verhandlungsmandaten seien die offenen Punkte, die man regeln wollte, «eine Wunschliste ans Christkind» gewesen. Die Schweiz fordere nur, wolle aber nichts zurückgeben. «So kann man nicht verhandeln.»
Der ganze BILANZ Business Talk zum Thema «Stahlfranken, Rezessionsangst, Wahlkampfversprechen: Wie stark ist die Schweizer Wirtschaft noch?» wird am 8. Oktober, 13:10 Uhr, auf SRF 1 ausgestrahlt.