Jüngst fragte mich ein Journalist des «Tages-Anzeigers», warum ich mir das als Unternehmer «antue». Dies, als ich ihm die Ergebnisse des Chancenbarometers 2024 zur 10-Millionen-Schweiz vorstellte, für den ich verantwortlich zeichne. Für ihn, wie auch für manche meiner Kolleginnen und Kollegen aus der Wirtschaft, ist es nicht selbstverständlich, dass sich ein Unternehmer öffentlich den Herausforderungen stellt und sich für die Zukunft des Landes starkmacht. Diese Haltung dürfte sich eines Tages rächen, wenn nicht endlich umgedacht wird.

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Für mich gehören Wirtschaft und Gesellschaft fraglos zusammen, und das vor allem in der direkt-demokratischen und föderalistischen Schweiz. Das jedoch wird in der breiten Bevölkerung immer weniger so gesehen. Wirtschaft wird zunehmend mit Profiteuren assoziiert und als etwas Abstraktes, Abgehobenes wahrgenommen, weil eben ihre Akteurinnen und Akteure für viele nicht mehr greifbar sind. Dieser Entfremdung möchte ich gegensteuern.

Beispielsweise mit der von mir initiierten Förderstiftung StrategieDialog21, die jährlich das Chancenbarometer herausgibt – in diesem Jahr bereits zum fünften Mal. Wir sehen uns als eine Alternative zu denen, die sich auf Probleme fokussieren und manche davon noch so gerne auch bewirtschaften. Unsere Studien zeigen die Chancen auf, die das Land hat, benennen die Herausforderungen und bieten Handlungsempfehlungen hin zu Lösungen.

Jobst Wagner ist Mitbesitzer des Industrieunternehmens Rehau mit Sitz in Muri bei Bern und gibt über seinen Thinktank StrategieDialog21 jährlich das Chancenbarometer heraus.

Die gute Nachricht in diesem Jahr: Die politische Stabilität in unserem Land ist nach wie vor hoch. Ebenfalls überdurchschnittlich schneidet das Vertrauen der Bevölkerung in Rechtssicherheit, Mitbestimmung und Bildung ab. Die weniger gute: zunehmende Skepsis gegenüber den Medien, den Parteien und Unternehmensorganisationen. Und die für die Verantwortungsträger in der Politik schlechte Nachricht: Die starke Zuwanderung lässt sich nicht mehr schönreden. Eine Mehrheit der Bevölkerung sieht die Folgen der Migration kritisch und ist bereit, weniger Wirtschaftswachstum in Kauf zu nehmen, wenn sich dadurch die Zahl der Zuwanderer reduziert.

Politisch gesprochen ein klares Verdikt, das den Standort Schweiz und uns Unternehmerinnen und Unternehmer vor ein Dilemma stellt und herausfordert. Die Bevölkerung sieht beim Bevölkerungswachstum zwar Chancen wie die Behebung des Arbeitskräftemangels, die Stärkung der AHV sowie bei der kulturellen Vielfalt. Gleichzeitig herrscht Ärger über die Engpässe der Infrastruktur und die Wohnungsnot, die sie eng verbunden mit der Zuwanderung sieht. Auch wenn manches davon hausgemacht ist.

Für uns, wie auch für andere Wirtschaftsvertretende, gilt es, Stellung zu beziehen, wie sich dieser Knoten lösen lässt, wenn uns die Zukunft unseres Landes wirklich am Herzen liegt und nicht nur in Sonntagsreden. Es braucht unseren vollen Einsatz, die Rahmenbedingungen so mitzugestalten, dass die Schweiz erfolgreich bleibt. Nicht erst, wenn Krisen ausbrechen oder für den Durchhaltewillen, was erfolgreiche Akteurinnen und Akteure der Wirtschaft eigentlich in den Genen haben. «Enkelfähig» muss die Zukunft sein.

Das ist meine Vision. Persönlich gelebte Corporate Citizenship ist jedoch nur so viel wert, wie Führende der Wirtschaft bereit sind, auf die Bevölkerung zu hören und ihre Befindlichkeit ernst zu nehmen, wie wir es mit dem Chancenbarometer anstreben.

Mein Ratschlag an die Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft lautet: Machen Sie mit, es lohnt sich! Beziehen wir Stellung. Erklären wir, wie unsere Unternehmen funktionieren und welche Abhängigkeiten bestehen. Zeigen wir Beispiele. Und vor allem aber, dass wir alle Teil der Gesellschaft sind.

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