Am 26. Juli 2012 sagte der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi während eines Referats zwei Sätze, die in die Geschichte eingehen sollten: «The ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough.» Die Aussage stellte einen Wendepunkt in der Euro-Schuldenkrise dar. Die Finanzmärkte beruhigten sich, weil die EZB mit ihrer unbegrenzten Feuerkraft bei Bedarf zur Stelle war.

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Das Motto «Whatever it takes» hat aber nicht nur der Euro-Schuldenkrise eine entscheidende Wendung gegeben, sondern beschreibt eine ganze Ära. Spätestens seit den 1990er Jahren konnten sich Wirtschaftsakteure in den Industrieländern in Krisen darauf verlassen, dass der Staat alles Mögliche tut, um negative Konsequenzen zu mindern. Fiskalpakete, Bankenrettungen, Gratiskredite, Übernahme der Wechselkursrisiken: Den Massnahmen waren kaum Grenzen gesetzt. Im Gegenteil, die Massnahmen wurden bewusst umfangreich gestaltet. Millionen, Milliarden, Billionen – nur schon die grossen Zahlen sollten eine beruhigende Wirkung entfalten.

Auch die Finanzmärkte gewöhnten sich daran. Es galt: «Bad news is good news.» Schlechte Nachrichten sorgten für bessere Stimmung an den Märkten, weil sie zusätzliche staatliche Unterstützung erwarten liessen.

Adriel Jost ist Ex-SNB-Mitarbeiter, Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern und Präsident des Thinktanks Liberethica.

Lange Zeit hatte es den Anschein, als wären die Rettungsmassnahmen kostenlos. Die Behörden profitierten dabei von unserem zweistufigen Währungssystem. Mit Zentralbankgeld konnten sie das System stabilisieren, ohne die Kontrolle über die Inflation zu verlieren. Während der Corona-Krise gingen die Behörden aber einen Schritt weiter, indem sie mit staatlichen Zustupfen – von den Zentralbanken finanziert – und subventionierten Krediten direkt dafür sorgten, dass sich die Kontostände von Haushalten und Unternehmen erhöhten.

Diese Massnahmen waren besonders wirksam. Das neue Geld sorgte für einen weltweiten Nachfrageboom. Dieser schlug sich aber auch in hohen Inflationsraten nieder, was deutlich machte, dass Rettungsaktionen doch ihren Preis haben können. 

Bezüglich einer nächsten Krise wirft dies die Frage auf, ob sich die Behörden ein «Whatever it takes» noch leisten können. Es scheint zumindest wahrscheinlich, dass die bisherige Formel «Je grösser die staatliche Unterstützung, desto besser» nicht mehr im gleichen Ausmass funktionieren wird. So können sich die Politiker nicht mehr sicher sein, dass sie mit einer möglichst grosszügigen Lösung bei den Wählern wirklich punkten. Die hohen Inflationsraten lassen beispielsweise viele US-Wähler an der wirtschaftlichen Kompetenz ihrer Regierung zweifeln, trotz einer ausgezeichneten Lage am Arbeitsmarkt.

Auch die Zentralbanken werden einen differenzierteren Ansatz verfolgen müssen. Sie werden stärker betonen, dass sie die Preisstabilität nicht aus den Augen verlieren wollen. Dieser Hinweis war schon immer Teil der offiziellen Kommunikation. Das vollständige Zitat von Mario Draghi lautet: «Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes.» Eine sehr flexible Handhabung des Mandats wurde bis zur Corona-Krise aber von kaum jemandem in Frage gestellt.

Der Zielkonflikt ist nun aber in die Wirtschaftspolitik zurückgekehrt. Diese Unsicherheit allein macht die Wirtschaftspolitik in der nächsten Krise weniger wirksam. Die Massnahmen sollten beruhigen, aber sie könnten angesichts der möglichen Konsequenzen gleichzeitig auch beunruhigen oder zu höheren Inflationserwartungen führen.

Bad News werden vermehrt wieder Bad News sein.

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