Vom Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss konnte man unlängst hören und lesen, dass der Westen aufgrund seiner wirtschaftlichen Verbindungen und die Schweiz als «eine Provinz vom internationalen Finanzkapitalismus» am Ukraine-Krieg mitschuldig seien. Bärfuss wörtlich: «Unsere Wirtschaft war nie friedlich, und unsere Wirtschaftsordnung war immer invasiv und imperial.»

Nun könnte man das als vulgäre Kapitalismuskritik abtun, aber mit seiner Fundamentalkritik ist Bärfuss nicht allein: Die meisten europäischen Intellektuellen, angefangen bei Émile Zola über Jean-Paul Sartre, Max Frisch, Urs Widmer bis hin zu Giorgio Agamben, lassen kein gutes Haar am Kapitalismus und würden «die unsichtbare Hand des Marktes» am liebsten durch die stählerne Hand des Staates ersetzen.

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Entsprechend erscheinen Unternehmer und Bankiers in den Romanen und Theaterstücken als Schurken und moralisch fragwürdige Existenzen.

Dass sich die meisten Intellektuellen ausgesprochen schwertun mit dem Kapitalismus, ist insofern paradox, als erfolgreiche Intellektuelle von diesem Wirtschaftssystem profitieren: Mit der Vermarktung ihrer Produkte, ihrer Bücher, Theaterstücke oder Kunstwerke können sie gutes Geld verdienen.

Entsprechend sind viele Intellektuelle bestens situiert, kaufen teures Biogemüse, verbringen ihre Ferien in Costa Rica – und wählen links-grün.

Obwohl antikapitalistische Systeme nicht nur regelmässig den wirtschaftlichen Wohlstand vernichtet, sondern auch die Freiheit des Denkens und somit das Lebenselixier der Intellektuellen beschnitten haben, scheint die Kapitalismuskritik geradezu zur Identität vieler Intellektueller zu gehören.

«Viele Intellektuelle sehen von einem ­moralischen Hochsitz auf Leute herab, die einfach nur Geld verdienen wollen.»

Einen möglichen Grund dafür sieht der Historiker Rainer Zitelmann im Wertesystem von Intellektuellen, nach dem derjenige Mensch anderen überlegen ist, der eine grössere Bibliothek, mehr Bücher gelesen und eine akademische Ausbildung hat.

Dass nun einer, der möglicherweise nicht so gebildet ist und vielleicht nicht einmal ein abgeschlossenes Studium hat, am Ende mehr Geld verdient, ein grösseres Vermögen hat, ein schöneres Haus besitzt und womöglich auch noch eine attraktivere Frau oder einen attraktiveren Mann hat, erscheint vielen Intellektuellen höchst ungerecht.

Es ist ihnen Beweis genug, dass das kapitalistische System nicht richtig funktioniert, sondern Ungerechtigkeiten hervorbringt, die durch Umverteilung korrigiert werden müssen.

Einen weiteren Grund für den Antikapitalismus vieler Intellektueller sieht Zitelmann in deren fester Überzeugung, dass ihre Produkte einen höheren Wert hätten als normale Güter wie eine Zahnbürste oder ein Schweizer Sackmesser, die lediglich der Befriedigung von Kundenbedürfnissen dienten.

Weil viele Intellektuelle der Meinung sind, sie würden mit ihren hochstehenden kulturellen Produkten der Menschheit als ganzer einen unbezahlbaren Dienst erweisen, schauen sie vom moralischen Hochsitz auf Leute herab, die einfach nur Geld verdienen wollen.

Die Kapitalismuskritik von Intellektuellen wäre dann nicht mehr nur nervig, sondern auch nützlich, wenn sie zum Ansporn würde, den Kapitalismus als ein – wie der österreichische Philosophieprofessor Konrad Liessmann es genannt hat – absurdes Wirtschaftssystem, zu dem es keine ernst zu nehmende Alternative gibt, immer wieder zu verbessern.