Das Rennen um die Nachfolge von EZB-Präsident Mario Draghi dürfte spätestens nach der Europawahl Ende Mai in die heiße Phase gehen. Nachdem inzwischen klar ist, dass Irlands Notenbankchef Philip Lane neuer Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank werden soll, rückt die EZB-Spitzenposition immer mehr in den Blick. Draghis Amtszeit läuft Ende Oktober nach acht Jahren aus. Offiziell stehen zwar noch keine Kandidaten fest. Es kursieren aber bereits Namen möglicher Anwärter – überwiegend Notenbankchefs aus den einzelnen Ländern.
Jens Weidmann
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann ist einer der heißen Kandidaten. Der 50-Jährige gilt als Verfechter einer strafferen Geldpolitik. Zur Zeit der Euro-Krise stemmte sich der promovierte Ökonom immer wieder gegen Beschlüsse der EZB, die ihre Geldpolitik massiv lockerte. Vorbehalte hatte er unter anderem gegen die grossangelegten Staatsanleihenkäufe. Dies brachte dem ehemaligen Merkel-Berater in Deutschland zwar viel Zustimmung ein, in südlichen Euro-Ländern erntete er jedoch Kritik. Daher gilt er in Griechenland oder Italien als schwer vermittelbar. Allerdings gab es zuletzt in der italienischen Regierung Stimmen, die einer möglichen Kandidatur von Weidmann offen gegenüber stehen.
Francois Villeroy de Galhau
Auch der Franzose Francois Villeroy de Galhau wird als aussichtsreicher Kandidat gehandelt. Der 59-Jährige, der fliessend deutsch spricht, ist seit November 2015 Chef der Banque de France. Er zählt weder klar zu den Vertretern einer strafferen Haltung noch steht er eindeutig für eine lockere Geldpolitik. Vor seinem Wechsel in die Notenbankwelt war der gebürtige Strassburger von 2011 bis 2015 bei der Großbank BNP Paribas zuständig für das operative Geschäft. Davor arbeitete auf verschiedenen Positionen für die Regierung, unter anderem für das Finanzministerium. Von 1990 bis 1993 war er zum Beispiel Europa-Berater unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Pierre Beregovoy. Gegen ihn spricht, dass mit Jean-Claude Trichet von 2003 bis 2011 schon einmal ein Franzose an der Spitze der EZB stand.
Klaas Not
Der Chef der niederländischen Notenbank, Klaas Knot, wird ebenso zu den Verfechtern eines strafferen Kurses gezählt. Im Unterschied zu Weidmann gilt der 51-Jährige, der unter anderem eine Professur an der Universität Groningen innehat, aber als weniger strikt. Der promovierte Ökonom arbeitete von 2009 bis 2011 als Direktor Kapitalmärkte für das Finanzministerium seines Landes. Gegen Knot spricht, dass die Niederlande bereits mit Wim Duisenberg 1998 bis 2003 den ersten EZB-Präsidenten stellten.
Olli Rehn
Auch der Notenbank-Gouverneur Finnlands, Olli Rehn, zählt zu den möglichen Anwärtern. Der 56-Jährige war von 2015 bis 2016 Wirtschaftsminister seines Landes, bevor er nach einer langen politischen Karriere zur Notenbank wechselte. Einen Namen in Europa machte sich Rehn, der in Oxford in politischer Ökonomie promovierte, vor allem in seiner Zeit als EU-Wirtschafts- und Währungskommissar von 2010 bis 2014. Während der Euro-Krise galt er als Vermittler, der sowohl gute Beziehungen zu den verschuldeten Staaten als auch zu den kreditgebenden Ländern hielt. Rehn wird daher auch als ein möglicher Kompromisskandidat gesehen. Gegen ihn spricht seine nur kurze Zeit an der Spitze der heimischen Notenbank.
Erkki Liikanen
Auch Rehns Vorgänger an der Spitze der finnischen Notenbank, Erkki Liikanen, wird als möglicher Anwärter genannt. Der 68-Jährige leitete die Notenbank von 2004 bis 2018. Davor durchlief er wie Rehn eine politische Karriere. Er war unter anderem Finanzminister seines Landes und viele Jahre EU-Kommissar, bevor er zur Notenbank wechselte. Bereits mit 21 Jahren wurde er Mitglied des finnischen Parlaments. Auch Liikanen gilt als ein eventueller Kompromisskandidat.
Ardo Hansson
Estlands Notenbankchef Ardo Hansson dürfte ebenfalls im Rennen sein. Der promovierte Ökonom arbeitete viele Jahre bei der Weltbank und beschäftigte sich dort mit osteuropäischen Ländern. Der 60-Jährige gilt als fachlich versiert und wird geldpolitisch eher den Befürwortern einer strafferen Ausrichtung zugerechnet. Hansson hat nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1992 als ökonomischer Berater massgeblich an der Einführung einer neuen Währung in seinem Land mitgewirkt. Seit 2012 ist er Gouverneur der estnischen Notenbank. Für ihn könnte sprechen, dass das baltische Land bei der EZB bislang noch keine führende Position besetzten konnte. Allerdings hat die dortige Finanzbranche kaum Gewicht im Euro-Raum. Estland hat erst 2011 als damals 17. Land den Euro eingeführt.
(reuters/mlo)