Das Deutschland-Bashing hat in der Deutschschweiz eine lange Tradition. Wenn Deutschland im Fussball verliert, löst das Glücksgefühle aus. Das gilt aber nicht nur für den Sport.
Viele Wirtschaftsexperten hierzulande weisen derzeit auf die Wachstumsschwäche Deutschlands hin, und das oft mit leiser Schadenfreude.Natürlich liegt in Deutschland einiges im Argen. Die kurzfristige Konjunktur leidet unter dem schwachen Wachstum in China. Die Energiepolitik sorgt für Verunsicherung und volatile Preise.
Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank passt nicht zu Deutschland, und die schwache Währung macht die Industrie träge. Mit Industriepolitik versucht die Regierung unter Kanzler Olaf Scholz dagegenzuhalten – mit mässigem Erfolg. Die Politik kümmert sich zwar um vieles, aber nicht um die wahren Herausforderungen.
Die Infrastruktur leidet. Mit der Deutschen Bahn haben viele schon ihre schlechten Erfahrungen gemacht. Ökonomen verzweifeln wiederum am Internetauftritt der deutschen Statistikbehörde. Diese ist zwar in der aktuellen Form nur wenige Jahre alt, in ihrer Struktur aber so katastrophal aufgebaut, dass auch grundlegende Statistiken kaum zu finden sind.
Adriel Jost ist Ex-SNB-Mitarbeiter, Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern und Präsident des Thinktanks Liberethica.
Schadenfreude ist aus Schweizer Sicht aber trotzdem nicht angebracht. Für die Schweizer Wirtschaft ist Deutschland der zweitgrösste Abnehmer von Exporten. Es ist aktuell in der Industrie deutlich spürbar: Wenn Deutschland ein Problem hat, wirkt sich dies auch bei uns aus.Sinnvoller als Schadenfreude wäre, aus den Fehlern Deutschlands zu lernen.
Doch wir lassen uns nicht nur von der deutschen Energiepolitik inspirieren. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) nahm enorme Risiken auf sich, um die Industrie vor Aufwertungen des Frankens zu schützen. Nur dank Faktoren, die ausserhalb des Einflussbereichs der SNB liegen, ist die Inflationsrate in der Schweiz bisher deutlich niedriger geblieben als in Deutschland.
Und die Schweiz betreibt Industriepolitik und unterstützt ihre Banken mit massiven impliziten Subventionen. Immerhin sind die SBB pünktlicher und die Schweizer Statistiken besser auffindbar.Die wichtigste Erkenntnis aber ist, dass ein Land sich während guter Jahre nicht ausruhen sollte, sondern diese nutzt, um für die Zukunft gerüstet zu sein.
Die deutsche Autoindustrie lieferte in den 2010er Jahren Topresultate. Grund dafür war insbesondere eine grosse Nachfrage aus Asien nach wenig preissensitiven Premiumfahrzeugen. Nun steht die Autoindustrie aber verstärkt im Gegenwind. Die Konkurrenz in China wird immer schlagkräftiger, und gleichzeitig verlagert sich die Nachfrage auf Elektrofahrzeuge, bei denen die deutsche Autoindustrie weniger komparative Vorteile hat.
Das erfolgreiche Jahrzehnt wurde nicht genutzt, um die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts zu verbessern, zum Beispiel durch Steuersenkungen oder sinnvolle Investitionen in Infrastruktur und Bildung.In der Schweiz besteht erst recht ein Klumpenrisiko. Der Grossteil des Exportwachstums ist der Chemie- und Pharmaindustrie zu verdanken. Diese macht mittlerweile fast 60 Prozent der Schweizer Exporte aus.
Die Gewinne und Steuern sprudeln. Doch das muss nicht so bleiben. Der Boom der Pharmabranche ist nämlich in erster Linie einem einzigen Land zu verdanken, den USA. Seit 2012 sind die Pharmaexporte in die USA um durchschnittlich 14 Prozent gestiegen. Ändert sich die US-Gesundheitspolitik, kann sich diese Nachfrage schnell ändern. Die Schweiz tut gut daran, den heutigen Erfolg zu nutzen, um für die noch unbekannten Wachstumsträger von morgen attraktiv zu sein.
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