Die Düne ist vielleicht 100 Meter hoch und kippt gefährlich steil ab. Der einzige Weg weiter: runterfahren. Das Herz pumpt, jede Faser ist angespannt. Langsam Gas geben, die Front kippt nach vorne. Jetzt nur rollen lassen, kein Gas, keine Bremse und bloss nicht lenken. Man kann sich hier, in Perus Atacama-Wüste mit Blick aufs Meer, bestens überschlagen – oder die geilste Zeit seines Lebens haben, wenn man mit Offroadern Aufgaben meistert, die man sich in den kühnsten Träumen nicht hätte ausdenken können. Autofahren kann so viel Spass machen.

Ich gebe zu: «Augen auf bei der Berufswahl» hilft enorm, wenn man Autofahren liebt und nicht gleichzeitig Krösus ist. Mit einem geöffneten Mercedes 500 SL bei Schneefall in tiefster Nacht über die Landstrasse cruisen; im Lamborghini auf leerer dreispuriger Autobahn 340 km/h ausprobieren; im Bentley Continental GT eine verlassene Atomanlagenbasis der NATO auf Sizilien unsicher machen; im Porsche 550 Spyder die Mille Miglia überleben; im Jaguar Mark II beim Oldtimer-Marathon auf der Nürburgring-Nordschleife um Plätze kämpfen: So ein Luxus gräbt sich ins Hirn ein. Tiefer als der erste Kuss oder – na, Sie wissen schon. Und das nicht nur deshalb, weil es länger dauert. Das gilt auch fürs Driften-Lernen: Einer angetriebenen Hinterachse freien Lauf zu lassen, während man der Vorderachse befehligt, wo es langgehen soll, hätte sicher schon die Neandertaler davon abgehalten, mit Keulen auf Frauenfang zu gehen. Hand aufs Herz: Autofahren ist doch nichts anderes als das Ausleben benzinfeuchter Jugendträume mit den passenden Mitteln.

Das muss übrigens niemandem peinlich sein. Laut Niels Birbaumer, Tübinger Hirnforscher, ist der Homo sapiens in der Lage, alles zu lieben – Gott, Menschen, Haustiere und natürlich auch Autos mitsamt ihren Charakterstärken und -schwächen. Und, um bei der Aufzählung zu bleiben: Nur Letztere machen uns wirklich frei und unabhängig – wir müssen nur dran glauben. Glaube versetzt nämlich nicht nur Berge, sondern auch Automobilisten in Verzückung.

Während Flugreisen kein Spass mehr sind und man bei Bahnfahrten kaum mehr weiss, ob und wo man überhaupt ankommt, lässt uns das Auto jeden Spielraum, vor allem bei Strecke und Zeit. Staus umfährt man einfach kalt lächelnd. Und wir können uns auch noch den oder die Beifahrer aussuchen – oder aktiv auf sie verzichten. Völlig in der Technik aufgehend, dürfen wir in unserem geliebten Universum unsere Lieblingsmusik in jeder Lautstärke hören oder auch einfallsreich und laut fluchen, meckern, stänkern und die Frontscheibe anbrüllen, warum man dort, wo der Volltropf vor einem herkommt, nicht losfährt, wenn die Ampel auf Grün springt.

Besser als Taylor Swift

Dann wäre da noch die Liebe zum vielzitierten «Fahrgefühl». Mit einem TVR Sagaris durch die Cotswolds jagen, mit einem VW-T1-Bus samt Anhänger den Gotthardpass meistern, mit einem Aston Martin Valkyrie auf dem Bahrain-Rennkurs auf Formel-1-Spuren wandeln, im modernen Morgan Threewheeler alle Bedenken im Sylter Sand zerstreuen – das ist doch besser als ein Fünf-Sterne-Menü in Begleitung von Penélope Cruz oder sich im Duett mit Taylor Swift zu versuchen.

Es ist zudem höchst befriedigend, ein Auto zu befehligen – jedenfalls dann, wenn alle entmündigenden Assistenten ausgeschaltet sind, die künftigen Generationen den Genuss nehmen, wirklich Auto fahren zu können. Assistenten mögen im Alltag hilfreich sein, im Auto killen sie Wissen, Fähigkeiten – und Fahrspass. Einem Sportwagenfahrer einen übergriffigen «Lane Assist» zuzumuten, wenn er seine Ideallinie verfolgt, ist, wie Walter Röhrl einen Fahrlehrer mitzugeben. Rennfahrer-Ass Stirling Moss bemerkte einst völlig richtig: «Wenn Gott gewollt hätte, dass wir laufen, wieso hat er uns dann Füsse gegeben, die auf Autopedale passen?» Und so ist das Rühren in der offenen Schaltkulisse eines alten Ferrari zielführender, als Steaks auf dem Grill zu wenden. Die Gänge mittels knackiger Handschaltung im Mazda MX-5 in ihre richtigen Positionen zu treiben, ist entspannender als der Wellnesstag mit der Liebsten, und das Dach eines McLaren 720S Spider zu öffnen, ist erhellender, als im Fitnessclub den Anweisungen des Trainers zu folgen.

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Und dann ist da noch der Sound. Schon ein vierzylindriger MGB kann dem Fahrer pure Freude bereiten, wenn er im Tunnel seinen trotzigen Langhuber-Song rausrotzt. Die Reihensechszylinder von BMW klingen sogar gut, wenn sie jodeln. Amerikanische V8 blubbern runder als Marines beim Unterwassertraining. Und ein Zwölfzylinder säuselt die Geschichte von dem aufrecht stehenden Geldstück auf einem Ventildeckel süsser, als Dagobert Duck singt, wenn er in seinem Geldspeicher badet. Warum haben eigentlich so geniale Köpfe wie Bach oder Beethoven nie ein «Concerto für viele Töpfe» hinbekommen?

Eine «Krankheit» namens AGS

Unser Leiden nenne ich mal AGS, besser verständlich als Automobile Genusssucht (nicht zu verwechseln mit dem Adrenogenitalen Syndrom, bei dem es allerdings auch um die vermehrte Bildung männlicher Hormone geht …). Und die einzige Linderung verspricht: Auto fahren. In meinem Fall am liebsten schnelle, starke und laute und noch besser solche, die mich weder beobachten noch vollquatschen und bei denen ich noch selber die Scheinwerferlampen auswechseln kann, ohne den Motor auszubauen.

Apropos Motor: Nun ist ja die Politik (und, zugegeben, auch der Klimawandel) dabei, den bisherigen Autos ihre Seele zu nehmen, nämlich die musikmachenden Hub- oder Kreiskolbenmotoren, die bislang als sichtbare Visitenkarten der jeweiligen Autohersteller fungierten. Jetzt sind in E-Autos irgendwo ein bis vier Elektromotoren vergraben, die alle gleich aussehen und den Charakter von Amöben haben – für irgendwas sind sie gut, aber man will nichts drüber wissen. Bis auf eine unbestreitbare Tatsache: Sie sorgen bei kräftiger Auslegung für eine Beschleunigung, die kein Verbrenner hinbekommt. Das liegt allein daran, dass das volle Drehmoment vom Stillstand weg anliegt. In einem 1034 PS und 1240 Nm starken Porsche Taycan Turbo GT, der den Sprint in 2,3 Sekunden schafft, fliegt dabei die locker auf der Stirn platzierte Sonnenbrille bis unter die Heckscheibe. Das ist durchaus beneidenswert, da kann man schon mal schwach werden. Aber meistens stecken die Strommotoren irgendwo in viel zu fetten SUVs und anderen automobilen Zombies – obwohl es Menschen geben soll, die auch damit Fahrspass erleben. AGS kennt eben keine Grenzen.

Zum Glück gibt es passende Therapien – auch für diejenigen, die nicht Autotester sind. Denn Vermieter, Reiseanbieter, Autohersteller und -importeure bieten eine Menge Möglichkeiten, mit aufregenden Autos zu touren, tolle Landstriche zu erleben, prickelnde Rennen zu fahren oder wilde Drifts zu lernen. Mal abgesehen von der noch in Teilen frei befahrbaren deutschen Autobahn bieten Trackdays und Trainings auf Rennstrecken (mit eigenem Auto oder Mietwagen, zum Beispiel auf dem Nürburgring – man kann auch eine Rennlizenz machen) Nervenkitzel am Steuer. Hinzu kommen Fahrsicherheitstrainings in diversen Ausprägungen (machen nicht nur Spass, sondern verbessern das Können garantiert), Offroadparks, Oldtimerwandern auf Landstrassen (Klassiker werden inzwischen auch vermietet), Driften auf Eis (diverse Autohersteller bieten solche Reisen nach Skandinavien oder ins Engadin an, Caterham macht das mit den britischen Spasszigarren auf Asphalt am Nürburgring), Gleichmässigkeitsrallyes und so weiter. Die schnellste Linderungsbehandlung: einfach ins Auto reinsitzen, losfahren und geniessen.

Dabei muss es nicht unbedingt ein Supercar sein. Nicht mal ein Sportwagen. Es kann sogar ein SUV sein, von mir aus auch ein vollelektrisches wie zum Beispiel ein Toyota bZ4X, dessen Name wie die Sollbruchstelle im Kabelbaum klingt. Und es muss auch nicht immer in die Wüste, durch Nepal oder auf die Nordschleife gehen. Die Landstrasse dritter Ordnung im Nachbardorf tuts auch. Hauptsache: Fahrspass erleben. Jeder nach seiner Fasson.

Es lebe die AGS.

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