Das öffentliche Bild des Autodesigners zeigt einen Mann inmitten eines lichten, idealerweise unmittelbar als geschmackvoll eingerichtet (Eames-Möbel!) identifizierbaren Raumes, der, mit Stift in der Hand und über Papier oder iPad gebeugt, seinem kreativen Genie freien Lauf lässt. Drei, vier gezeichnete Linien später steht die Autoform – bereit, Herzen und Märkte zu erobern.Dieses Bild könnte falscher kaum sein. Ist Automobildesign doch keine Alchemie, sondern Handwerkskunst, die nur im Team erfolgreich ausgeübt werden kann und von allerlei internen wie externen Faktoren massgeblich beeinflusst wird. Tatsächlich ist jeder Chefdesigner nur so gut wie das Team, das er leitet. Er – bis auf die kürzlich verabschiedete Mahindra-Chefgestalterin sind es ausnahmslos Männer – ist auch nur so erfolgreich in der Umsetzung jener gemeinsam erarbeiteten Ideen, wie der Vorstand ihn sein lässt. Mit ein paar Linien ist es da wahrlich nicht getan.
Um die Autodesign-Industrie verstehen zu können, muss man zuerst begreifen, dass Chefdesigner keine Autos zeichnen. Sie verbringen die Tage nicht am Zeichentisch, sondern damit, innerhalb der Designabteilung für die richtige Balance aus kreativem Freiraum und Effizienz zu sorgen und die so im Team entstandenen Ideen und Konzepte dem Rest des Konzerns zu vermitteln – sowie gegebenenfalls auch dafür zu kämpfen. Ein Chefdesigner ist Diplomat, Unterhändler, Verwalter, Motivator, jedoch definitiv kein einsames Genie am Zeichenbrett.
Antrieb und Fahrwerk verlieren in der heraufziehenden Elektro-Epoche ihre Bedeutung als Kaufanreiz. Dafür steigt das Design des Autos endgültig zum wichtigsten Positionierungsfaktor auf. Höchste Zeit für eine Würdigung.
Lesezeit: 9 Minuten
Von Christopher Butt
am 31.03.2022 - 09:40 Uhr
Quelle: BILANZ
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