Das Gespräch mit Thierry Stern findet in einem fensterlosen Kabäuschen im hochmodernen Neubau in Plan-les-Ouates statt. 600 Millionen Franken sind hier investiert, seit 2020 werden die Uhren von Patek Philippe hier hergestellt, von A bis Z unter einem Dach.
Herr Stern, was ist Patek Philippe, mal abgesehen von einer der nobelsten Luxusuhrenmarken?
Die letzte unabhängige Manufaktur mit Sitz in Genf. Sie gehört mir. Ich führe sie als Präsident. Für mich persönlich ist daran das Allerbeste, dass ich meinen Job liebe. Ich versichere Ihnen, dass das in der Konstellation absolut zentral ist.
Wie meinen Sie das?
Ich reise viel, und ich erlebe immer wieder Familienfirmen, in denen zwar Familienmitglieder involviert sind, die das aber gar nicht wirklich wollen. Schlecht fürs Unternehmen, schlecht für sie selbst. Ich sage immer: Man hat nur ein Leben, und das sollte Freude machen.
Worauf gründet Ihre Liebe?
Auf Uhren natürlich. Schon die Taschenuhren, die mein Vater in seinem Büro hatte und die ich als kleiner Bub dort entdeckte, haben mich begeistert. Ich war oft da. Aus heutiger Sicht bin ich sprichwörtlich ins Unternehmen hineingewachsen. Unbeschwert und ohne Angst.
Wovor sollten Sie Angst haben?
Als ich etwas älter war, fingen die Leute damit an, mir zu sagen, wow, du wirst eines Tages dieses schöne Unternehmen übernehmen, und so weiter. In mir als Jugendlichem hat das grossen Druck erzeugt.
Sie haben ja auch noch zwei Schwestern, die hätten übernehmen können.
Richtig. Ich fing hier auch zusammen mit meiner Schwester an. Aber ihr hat es nicht gefallen, und es hatte keinen Sinn, dass sie dabeibleibt. Wenn ein Familiengeschäft gut läuft, dann nur, weil die nächste Generation das tun möchte, und nicht, weil sie dazu verpflichtet ist.
Hatten Sie die Wahl?
Ja. Meine Eltern fragten mich, ob ich für Patek arbeiten oder etwas anderes machen möchte.
Und dann?
Da gab es viel zu lernen – vor allem auf menschlicher Ebene. Mein Vater redete mit mir denn auch nicht über Uhren, sondern darüber, wie man sich in verschiedenen Kulturen, mit unterschiedlichen Leuten, in allen möglichen Situationen benimmt. Zudem schickte er mich weg.
Schwierig?
Na ja, es war nicht immer easy. Mit 19 war ich allein in New York zum Arbeiten. Damals dort allein zu leben, war ein ziemlicher Kampf für mich. Heute denke ich, es ist richtig, dass ein Nachfolger eines Family Business klein anfängt, ohne goldenen Löffel im Mund.
Ein Schlüsselmoment?
Mal abgesehen davon, dass ich als kleiner Bub zu den Uhren fand? Die vielen Stationen, an denen ich war, haben dazu geführt, dass ich bald einmal nicht mehr nur die Uhren schätzte, sondern auch die Leute, die sie herstellen. Den Umgang mit verschiedenen Menschen habe ich definitiv gelernt. Heute bin ich recht gut darin.
Welches sind heute Ihre Herausforderungen?
Wir sehen im Handel sehr viel Vertikalisierung. Grosse Händler beteiligen sich an immer mehr kleineren Händlern. Konzerne wie LVMH und Richemont wollen ihre eigene Distribution. Das heisst für uns, dass es immer weniger unabhängige Retailer gibt. Ich arbeite mit einigen zusammen, die ihre Selbstständigkeit zugunsten einer Gruppe aufgegeben haben, und das ist auch so weit okay. Aber wenn ich nur noch Händler habe, die zu einer Gruppe gehören, bekommen sie zu viel Macht, und das will ich nicht.
Warum eröffnen Sie nicht einfach auch Ihre eigenen Boutiquen?
Werde ich, falls unsere Retailer ihren Job nicht mehr gut machen.
Was heisst das konkret?
Wir haben seit vielen Jahren eine Strategie, die so gut ist, dass immer mehr Marken sie auch anwenden: Unsere Händler sind angehalten, unsere Uhren, insbesondere die «Hot Cookies», nur an lokale Kunden zu verkaufen, die sie auch persönlich kennen.
Um zu verhindern, dass jemand eine Patek kauft und dann umgehend für ein Mehrfaches verkauft? Stört es Sie, wenn andere mit Ihren Uhren mehr verdienen als Sie?
Die Uhren sind rar, die Nachfrage gross. Dass da beim Kauf auch das Thema Wertanlage eine Rolle spielt, ist logisch und stört mich auch nicht. Was mich aber sehr stört, ist, wenn man unsere Uhren an Leute verkauft, die sie nur kaufen, um sie wieder zu verkaufen. Und deshalb bin ich auf Händler angewiesen, die das verstehen und sich auch an unsere Guidelines halten. Ich kann das von Genf aus nicht alles kontrollieren.
Offensichtlich: Vom «Hot Cookie» Nautilus 5811/1G, die Sie im November lancierten, sind auf der Onlineplattform Chrono24 bereits über 30 im Angebot, ab 140 000 Franken.
Wir kaufen ja selber auch auf diesen Plattformen ein. Darum weiss ich: Die sagen, dass sie alle diese Uhren haben, und sie haben sicher auch welche, aber nicht so viele. Oft ist es so, dass sie die Uhren dann doch nicht haben – aber dafür andere. Es geht auch darum, Kunden anzulocken.
Die Neue ist aus Gold, einen Millimeter grösser und doppelt so teuer. Die Idee dahinter?
Die Strategie haben wir zwei Jahre davor entwickelt. Ich entschied damals, dass wir mit der Stahlversion aufhören müssen, weil wir davon genug gemacht haben. Ich wollte auf keinen Fall, dass Patek Philippe eines Tages mit einer einzigen Referenz assoziiert wird und zu einem Monobrand mutiert.
Stört es Sie, dass Rapper «Patek Philippe» in ihren Lyrics rauf- und runterbeten und mit Pateks am Handgelenk posen?
Mein Vater wäre zu seiner Zeit sicher sehr überrascht gewesen. Und ich mag es an sich auch nicht, wenn unsere Uhren nur als Statussymbol herhalten müssen. Andererseits machen diese Künstler mit einer Patek am Handgelenk nichts anderes als Manager oder Wissenschaftler, die eine Patek tragen: Sie machen ihren Erfolg im Leben sichtbar.
Das sehen Ihre Kunden auch so?
Einige ältere Sammler in den USA sind schon auch etwas überrascht über diese Entwicklung. Aber was kann ich machen, such is life. Musiker und Tänzer waren schon immer Teil von Patek.
Sie haben doch weder Ambassadoren, noch sponsern Sie irgendetwas.
Ganz bewusst. Unsere Uhren sind unsere Botschafter. Ich will unser Unternehmen nicht an Menschen binden, auch nicht an mich, denn die Uhren werden mich fraglos überdauern. Deshalb will ich Patek Philippe so positionieren, dass die, die nach mir kommen, die Marke nicht erst von mir loslösen müssen, sondern einfach weitermachen können.
Kommen Ihre zwei Söhne nach?
Ja, wie es aussieht, schon. Beide haben erklärt, dass sie bereit sind, einzusteigen.
Wie kams?
Ich und ihre Mutter redeten offen mit ihnen, als sie etwa 15 waren und anfingen zu realisieren, dass sie das dereinst entscheiden würden. Wir haben ihnen gesagt: Wenn ihr ins Unternehmen kommen wollt, seid ihr willkommen. Wenn nicht, auch okay.
Aber gehofft haben Sie es schon.
Ja. Aber: Wer bin ich, ihnen etwas aufzudrücken und ihnen ihr Leben zu bestimmen! Wir haben diese beiden Kinder nicht für Patek Philippe geboren, sondern weil wir uns liebten und eine Familie gründen wollten.
Inzwischen sind Sie geschieden.
Ja. Wir sind immer noch gute Freunde, leben nur 500 Meter voneinander entfernt.
Ihre Ex-Frau war für das Design zuständig. Ist sie es noch?
Nein. Sie hat aufgehört. Aber sie gibt mir immer noch Tipps.
Wie läuft der Designprozess heute?
Das war für mich nie etwas Schwieriges, sondern immer der einfachste Teil von allem. Man muss kreativ sein. Das bin ich.
Sie persönlich bestimmen also das Design Ihrer Uhren?
Ja. Ich muss immer lachen, weil die Leute das nicht realisieren. Alle denken, wir haben irgendwo einen Magier versteckt, der die Designs macht. Falsch. Ich war 25 Jahre in diese Prozesse involviert, war Head of Creation, bis ich Präsident wurde. Ich und mein Nachfolger auf dieser Position kennen uns sehr gut. Habe ich eine Idee, erkläre ich, was ich will, und das Designteam fängt an zu zeichnen, wir schauen es uns an, ändern, bis es für uns stimmt. Dann machen wir einen Prototyp aus Messing oder Gold. So einfach ist das.
Und wovon lassen Sie sich inspirieren?
Ich habe Träume, reise viel und höre auf die Leute. Ideen fliegen einem auch einfach zu. Ich entwarf auch schon ein Zifferblatt, nachdem ich die Felgen meines Autos geputzt hatte.
Welche Leitplanken geben Sie vor für die Kreation?
Kein Budget. Das ist eine der Stärken von Patek. Wenn wir etwas kreieren, sind mir Zahlen egal, ich will es so gut wie möglich. Wenn wir es so weit haben, beginnen wir zu rechnen.
Was haben Sie denn für ein Verhältnis zum Geld?
Ich habe keine Aktionäre. Wenn ich Geld verliere, indem ich etwas mache, kann ich damit leben. Womit ich nicht leben kann, ist, wider besseren Wissens etwas zu machen, das nicht perfekt ist.
Haben Sie genug Geduld für perfekt?
Am Anfang meiner Karriere war das schwierig. Von der Idee bis zum Prototyp können zwei Jahre vergehen. Wenn man neu kommt, ist das hart, weil man etwas zeigen und sich beweisen will.
Und heute?
Jetzt haben wir eine Pipeline, Neuheiten sind im Fluss, ein rollender Prozess.
Was darf man 2023 Neues erwarten?
Diese Frage kommt zu früh.
Ihre Erwartungen an 2023?
Ich habe keine Kristallkugel, und nicht mal die Experten sind sich ja einig. Was ich sagen kann: Es ist nicht die beste Situation, aber wir verstehen uns inzwischen sehr gut darauf, uns den Umständen anzupassen. Ich erwarte kein Rekordjahr. Noch ist die Nachfrage nach unseren Uhren hoch. Wie sich das entwickelt, hängt von vielem ab, was wir nicht in der Hand haben.
Wie gross wird Ihr Output sein?
Wenn wir in diesem Jahr 70'000 Uhren schaffen, wäre ich happy.
Können Sie den weiter hochschrauben?
Es ist es schwierig, gute Mitarbeiter zu finden. Rolex investiert nicht von ungefähr in Bulle und nicht hier in Genf. Zweitens: Ja, ich könnte den Output erhöhen, bereits jetzt, aber ich bin ziemlich sicher, dass die Qualität davon tangiert würde.
Wachstum ist also keine Priorität?
Genau. Es heisst ja, wer nicht wächst, stirbt. Das mag sein, aber ist wie alles relativ. Wenn ich ein Prozent zulege, ist das für mich bereits Wachstum, halt langsam, Schritt für Schritt. Das Allerwichtigste für mich ist, dass wir unseren Qualitätslevel hoch halten – und zwar dort, wo es auch relevant ist.
Wieso betonen Sie «relevant»?
Wenn man auf dem Niveau arbeitet, prägt das die Mentalität im Haus und strahlt auf alles. Und kann dazu führen, dass, wenn in einem Büro ein Stuhl kaputtgeht, dort gleich alle Stühle ersetzt werden – und unnötig und schnell Geld abfliesst. Ich sage immer: Wir sind eine starke Firma, eine berühmte Marke, aber Geld ist nicht zum Verschwenden da, wir wollen nämlich noch sehr lange weitermachen. In diesem Sinne stelle ich auch immer wieder Fragen wie «Welche Uhren brauchen wir in der Kollektion?» und «Sollen wir den Durchschnittspreis erhöhen?».
Wie wäre es mit günstiger machen?
Ich setze mich dafür ein, dass wir auch Modelle führen, von denen man sagen kann, das könnte jetzt allenfalls auch eine erste Uhr für einen 18-Jährigen sein, also ein Einstiegsmodell. Aber klar, wir reden da immer noch von um die 18'000 Franken.
Wer ist Ihre härteste Konkurrenz?
Es gibt sehr viele sehr gute Manufakturen, aber die stellen oft nur kleine Stückzahlen her. Und mit Rolex, die über eine Million grossartige Uhren im Jahr herstellen, vergleiche ich mich auch nicht. Die haben ganz andere Kapazitäten – und auch ein anderes Produkt.
Sie sind Präsident, haben einen CEO, Ihr Vater ist Ehrenpräsident. Wie sind die Aufgaben verteilt?
Mein Vater ist im Unternehmen selbst nicht mehr involviert, nur noch im Museum. Der CEO, Claude Peny, führt das tägliche operative Geschäft zusammen mit seinem Stellvertreter Laurent Bernasconi. Ich supervisiere jeden Entscheid, bin in engem Kontakt. Meine Tage sind mit Sitzungen durchgetaktet, acht bis zehn, quer durch alle Abteilungen.
Und das lieben Sie?
Ja. Meine Leute sind meine grösste Stärke. Sie vertrauen mir, ich vertraue ihnen, wir kennen uns, haben auch Spass. Das ist die grosse Kraft hier.
Zurück zu Wachstum: Dem Handel mit Luxusuhren aus Vorbesitz wird eine grosse Zukunft vorhergesagt. Rolex ist eingestiegen, Jaeger-LeCoultre auch, und sie überlassen den Secondhand-Handel nicht länger Dritten. Was machen Sie?
Ich fokussiere auf neue Uhren, dafür bin ich da. Was ich zudem mache: Ich stelle Regeln auf für die Retailer, mit denen wir zusammenarbeiten. Ich will nicht, dass ein Geschäft eine neue Patek Philippe anbietet und daneben eine aus Vorbesitz. Und die neue ist dann angeschrieben mit 59 000 Franken, aber nicht erhältlich, und die Secondhand-Uhr daneben mit 200 000 Franken. Geht für mich gar nicht.
Dann würde es ja naheliegen, dass Sie das Heft auch selber in die Hand nehmen.
Wir machen uns Gedanken dazu. Wenn wir einsteigen, wollen wir die richtige Art und Weise finden. Wir sind noch lange nicht bereit, da auf den Zug aufzuspringen wie Rolex oder Jaeger.
Kann man bei Ihnen wenigstens eine Echtheitsprüfung machen lassen, bevor man eine Patek secondhand kauft?
Wir erhalten immer wieder Anfragen, insbesondere von Auktionshäusern. Diesen sage ich nur: Ich bin nicht eure Servicestelle. Wenn schon, würde ich das dann gleich selber übernehmen und mein eigenes Auktionshaus eröffnen. Um Ihre Frage zu beantworten: Als Kunde können Sie uns Ihre Uhr schicken für den Service, wir machen alles, was nötig ist, und Sie wissen dann auch, dass es eine echte Patek ist.
Wie?
Sonst würden wir den Service nicht machen.
Gibt es viele Fakes?
Die grösste Gefahr lauert in Vintage-Modellen, weil sie oft so gut gemacht sind, dass man das nicht einfach erkennen kann. Die Fakes neuerer Modelle sind eigentlich immer sehr leicht zu erkennen und offensichtlich, wenn sie an Marktständen angeboten werden. Ich war kürzlich auf Reisen und habe unzählige gefälschte Nautilus gesehen.
Wie haben Sie reagiert?
Gar nicht. Ich würde, wenn schon, gern die kriegen, die die Uhren herstellen. Wobei das auch nichts ändert: Man erwischt einen, ein anderer übernimmt.
Was halten Sie von Leuten, die sich so eine Uhr kaufen?
Was kann man da schon denken? Sie hätten gern eine Patek, haben aber das Geld nicht – oder keinen Zugang.