Als Chefkommentator der «Financial Times» für internationale Beziehungen arbeitet Gideon Rachmann meistens von seinem Haus im Londoner Westen aus – wenn er nicht unterwegs ist. Vor Corona hat er viele Autokraten persönlich getroffen, im Lockdown fasste er seine Erkenntnisse in seinem neuen Buch «The Age of the Strongman» zusammen. «Das war die beste Beschäftigung für mich in dieser Zeit», ruft er lachend per Videocall zu. Das Timing hätte nicht besser sein können: Der Angriff von Wladimir Putin auf die Ukraine ist ein Fanal für die Bedrohung durch die starken Männer.
Sie datieren in Ihrem Buch den Beginn des Zeitalters des «Strongman», des autoritären Herrschers in unserer aktuellen Epoche, sehr genau: auf den 31. Dezember 1999.
Es ist der Amtsantritt Wladimir Putins, und der erste volle Tag von Putin als Präsident ist der erste Tag des neuen Jahrhunderts. Aber nur im Rückblick lässt sich dieser Tag als Beginn der Strongman-Ära erkennen. Am Anfang hat Putin seine wahre Identität gegenüber dem Ausland noch verschleiert. Bei seinen ersten Wahlen im März 2000 positionierte er Russland als moderne Nation, und der damalige US-Präsident Bill Clinton rief ihn zu einem Mann aus, der Russlands Übergang zu einem modernen Staat bewerkstelligen könne. Aber schon damals gab es Zeichen, dass das nicht der Fall war. Den Krieg in Tschetschenien etwa begann er, wie wir heute ziemlich sicher wissen, unter dem Vorwand von Terrorattacken, die er selbst fingieren liess.