Ganz zuerst eine kostenlose Offenbarung (zumindest für mich war es eine): Fasten ist im Effekt praktisch dasselbe wie Keto-Ernährung. Keto, das ist, wenn dem Körper zu wenige Kohlenhydrate zugeführt werden, um ihn zu ernähren. Die Folge: Er beginnt, sich an den körpereigenen Fettdepots zu bedienen. Ein verwandtes Phänomen ist die Autophagie: Die eigenen Zellen gehen in einen Prozess der Selbstreparatur über. Auch deshalb ist Fasten respektive Keto-Ernährung oft Teil medizinischer Therapien. Falls Sie mehr wissen wollen, empfehle ich: Buch. Oder Arzt. Oder Fastenklinik.
Fettabbau und gesundes Innenleben, das klang für mich nicht schlecht. Ich starte mit dem klassischen Fasten, auch Heilfasten genannt. Dafür gibt es eine Pilgerstätte am Bodensee, genauer in Überlingen, die auf den Namen «Buchinger Wilhelmi» hört. In der mittlerweile vierten Generation betreut diese Familie Fastende, längst mit eigener Klinik und Wissenschaftsabteilung. Aber: Hinfahren, einchecken und sich von Medizinern und Betreuern umsorgen lassen – so etwas überlassen wir den kontemplativ recherchierenden Kollegen der Sonntagszeitungen. Für uns im Stollen der BILANZ bot sich ein anderer, zeitsparender Weg an: Kompakt-Kur für zu Hause. Sie kennen die Biotta-Saftkuren, die in Apotheke und Reformhaus herumstehen?
Saftkur für Erwachsene
«Buchinger Wilhelmi» hat gerade die Edelversion einer Home-Fastenkur lanciert: ein riesiger Karton, gefüllt mit Suppengläsern, Fläschchen, Dings und Dongs, nicht weniger als 15 Einzelteile. Erklärt wird das Ganze nicht etwa, wie bei der günstigen Konkurrenz, in einer Broschüre, sondern in einem leibhaftig gebundenen Buch. Darin stecken ausführliche Anleitungen, ein praktisches Protokoll für Notizen, zum Herausreissen perforiert, viele Tipps und einige Sinnsprüche. Es ist die Erwachsenen-Variante einer «Saftwoche».
YouTube-taugliches Unboxing überspringen wir. Die – zumindest in der Klinik übliche – Exposition auch: Frühjahrsputz im Innenraum, alles unterhalb des Magens leer machen. Dazu lässt man sich in der Apotheke eine Ladung Glaubersalz oder Bittersalz abdosen oder sonst ein ausgeschlafenes Abführmittel geben, dann mit viel Wasser runter damit – besser, man hat in den nächsten Stunden keine Aussentermine. Auch Sitzungen mit Bildschirmpräsenz sind bedingt zu empfehlen.
Die Grundkonstitution war nicht ideal. An den zurückliegenden Tagen gab es noch Festmähler, wurden diverse Gläser Weisswein internalisiert. Da ruft der Bauch schnell wieder nach weiteren Leckereien. Aber auch BONANZA hat einen Redaktionsschluss. Nach diversen Aufschüben, zu denen die Psychologin sicher einiges an Erniedrigendem analysieren könnte, ging es nicht mehr anders: Es musste sein.
Am Vorbereitungstag soll man von «Suchtmitteln jeglicher Art» bereits die Finger lassen. Dazu gehören neben Alkohol und Drogen auch grüner Tee und Kaffee. Das wird nicht lustig.
Dann der Transition Day: Morgens ein fettarmer Joghurt, den noch nach freier Wahl vom Grossverteiler, für die Restzeit bis zum Abend zwei Suppen, vor dem «Essen» je drei Kapseln «Fastenmineralien». Weil ich unterwegs bin: kein Problem. Ich verzichte sogar auf eins der beiden Suppengläser.
Am ersten Fastentag beginnt die Magerwirtschaft, auch ist es ein regulärer Arbeitstag. Die Einladung zum Lunch mit den Kolleginnen schlage ich aus. Es war vielleicht keine gute Idee, von den sechs verschiedenen Fastensuppen, die wesentlich dünner gekocht sind als die für den Übergangstag, ausgerechnet mit Rande anzufangen; die muss ich mir schon im Normalzustand schöntrinken. Am Nachmittag war ich matt wie ein Sofakissen. Zum Glück lief abends ein Fussballspiel im TV.
Am Morgen des zweiten Fastentags hatte ich zwar einige Millimeter Taillenumfang und das erste unnötige Kilo abgebaut, aber dafür gab es gratis brutale Kopfschmerzen mitgeliefert. Ich vermute, den Kaffee-Entzug verzeiht der Körper nicht so einfach. Die mittägliche Zucchini-Suppe schmeckte. Um 15.28 Uhr beschliesse ich mannhaft: Die geforderte Kaffee-Abstinenz wird hinfort ignoriert. Ich trinke ohnehin immer schwarz, also kalorienfrei.
Sport am Leistungslimit
Am Morgen des dritten Fastentags war der Taillenumfang wieder, wo er am ersten war, das Gewicht weitere 300 Gramm niedriger. Dank einem starken Kaffee am Morgen, vermute ich, waren die Kopfschmerzen wie weggeblasen. Oder war es die Pastinakensuppe vom Mittag? Die Stunde Sport am Abend hätte ich mir aber schenken sollen. Die Mit-Turner bedachten mich mit Spottsprüchen ob meiner geringen Leistungsfähigkeit.
An meinem vierten Fastentag wäre eigentlich der «Restart Day». Da ich mir aber einige weitere Gläser Fastentag-Suppe besorgt hatte, weil die Zielmarke weit entfernt liegt, machte ich weiter. Zumal sich am Morgen Stagnation abzeichnete: Läppische 100 Gramm war ich nur leichter, der Bauchumfang weigerte sich zu schrumpfen; mein Körper kämpfte offenbar gegen mich. Ansonsten ging es mir erstaunlicherweise blendend. Die Ketonkörper in mir arbeiteten jedenfalls im Akkord – das legten zumindest die Messwerte nahe. Eine gewisse Unschärfe muss man dabei wohl einkalkulieren. Messstreifen liegen der Fastenbox bei.
Schliesslich am fünften Fastentag ein kräftiger Gewichtsverlust, am sechsten gleich noch einmal. Eine Tasse Kaffee morgens und mittags, mengenmässig ein Witz, verglichen mit meinem üblichen Konsum, hielten auch den Kopfschmerz in Schach. Den nun laut Programm fälligen Übergang in die Normalität via «Restart Day» mit entsprechenden Suppen und Apfelkompott streiche ich allerdings, gehe vielmehr zu einer Keto-gemässen Ernährung über – in Ketose bin ich ja schon.
Fazit: fast vier Kilo abgeworfen, den Umfang immerhin minim reduziert, und das bei zumeist guter Laune. Ich war längst nicht so müde, wie ich es aus alten Zeiten mit der Biotta-Saftkur kenne. Deutlich hochwertiger auch die Suppen (dünn, aber schmackhaft) – das gilt für Box und Inhalte insgesamt. Das Teesieb, ich hatte es zuerst für eine Mengenlehre in Form eines Reagenzglases gehalten, ist in meiner Küche zum Standard avanciert. Es half zu verstehen, dass die seitlichen Striche keine Messgrösse angeben, sondern Wasserschlitze sind.
Man könne das Programm «gern mehrmals im Jahr wiederholen», sagt Leo Wilhelmi. Oder natürlich gleich in der Klinik einchecken.
«Fasten ist durch die Evolution zertifiziert»
Herr Wilhelmi, Sie führen die Fastenklinik Ihrer Familie am Bodensee. Geboren sind Sie aber in der Schweiz, wie kam das?
Meine Mutter ist Schweizerin, aus Genf. Ihr praktisches Jahr in der Ausbildung zur Ärztin absolvierte sie im Spital in Scherzingen. Für die Geburten von meinem Bruder und mir wählte sie wieder dieses Spital, weil sie alles kannte.
Wie kamen Sie selbst zum Fasten?
Während des Wirtschaftsstudiums an der HSG. Ich hatte alle möglichen Pläne, aber mein Vater sagte: Check doch mal bei uns ein und mach die Erfahrung! Das war schlau von ihm.
Wie wars?
Als ich zurückkam an die Uni, war ich der Einzige, der keine Augenringe hatte. Die nächsten Male kamen dann immer wieder einige Freunde mit für einen Aufenthalt, und so wurde ich zum Ansprechpartner, wenn jemand Fragen zum Thema Ernährung und Fasten hatte. Und jetzt stehe ich für die vierte Generation Buchinger Wilhelmi. Und die fünfte ist auch schon auf der Welt.
Zum Thema: Was halten Sie von dem aktuellen Hype um Diabetes-Pillen zum Abnehmen?
Solche Hypes gab es immer schon, wenn etwas auf den Markt kam, was die schnelle Abkürzung verspricht, am besten ohne Änderung des eigenen Lebensstils; denken Sie an das Magen-band. Amerikaner haben das Sprichwort, die Menschheit suche immer nach dem «golden bullet». Was wir hingegen bei uns betreiben, ist eine Änderung des Lebensstils, und zwar auf ganz natürliche Weise.
Sie sagen, der Körper sei auf Dauer nicht dafür ausgelegt, drei Mal am Tag zu essen. Warum?
Es geht darum, dass wir die Kultur der Unterbrechung verloren haben. Täglich drei Mahlzeiten plus Snacks plus grosses Dinner am Samstagabend – das überfordert den Körper auf Dauer. Heilfasten, wie wir es anbieten, hilft, den Körper in seine früheren Rhythmen zurückzubringen. Damals gab es keinen Überfluss, keine Grossverteiler. Man folgte Jahreszeiten, folgte der inneren Uhr: Essen und Sport fanden tagsüber statt. Nachts wurde geschlafen und gefastet bis zum Frühstück, englisch «breakfast» – fastenbrechen. Heute sind die meisten von uns vollkommen aus der Balance.
Bei Ihnen wird wieder balanciert?
Wir bringen das in den Tagen bei uns wieder ins Gleichgewicht. Ich mache diesen Job jetzt seit dreieinhalb Jahren. Dabei treffe ich viele Stammgäste, die schon 30 oder 40 Mal bei uns waren. Mit einem Gast, der 96 Mal bei uns war, haben wir ein Video gedreht. Finden Sie auf YouTube – wie auch vieles andere von uns übers Fasten.
Wie verhindern Sie den berühmten Jojo-Effekt?
Die Frage stellt uns jeder! Wir haben eine Studie über die Gewichtsverläufe unserer Patienten gemacht, die grösste der Welt übrigens, mit 1400 Patienten: Das Gewicht eingangs, dann beim Fasten und dann sechs Wochen später. Der Kontrollwert nach sechs Wochen war immer noch kleiner als die Basis. Klar, er wird nicht auf Fastenniveau verharren. Aber sich unter dem Eingangswert stabilisieren.
Also dauerhafter Erfolg?
Viele, gerade wenn sie dick waren, sagen: Ich schaffe es ja doch, abzunehmen, ich kann das! Fasten ist ja im Grunde durch die Evolution zertifiziert. Jahrtausende haben wir so gelebt, hatten mal was zu essen, oft aber auch nicht. Die Evolution hat diejenigen ausgesucht, die in diesem Programm am besten funktioniert haben. Es ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass regelmässiges Fasten positive Auswirkungen auf verschiedene Bereiche des menschlichen Körpers hat und vor Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes schützt.
Was wäre ein guter Einstieg ins Fasten?
Das intermittierende Fasten ist das, was man am besten machen kann. Wenn man schlanke Menschen fragt: Die wenigsten essen drei volle Mahlzeiten am Tag. Sie lassen das Frühstück weg oder essen abends wenig bis nichts. Wer es über mehrere Tage ausprobieren will, etwas angeleitet, kann unsere Fastenbox nutzen, die ist dafür gemacht.
1 Kommentar
Ja, das hört sich ja alles sehr schön und gut an. Was mir aber doch zu denken gibt: Herr Wilhelmi schreibt, ich kopiere: "Dabei treffe ich viele Stammgäste, die schon 30 oder 40 Mal bei uns waren. Mit einem Gast, der 96 Mal bei uns war... " Hallo?!! Ist es denn mein Ziel, 30 x oder mehr in eine Klinik zu gehen? Und vor allem, warum "muss" ich überhaupt noch mal gehen, wenn diese Methode so nachhaltig ist und kein Jojo-Effekt eintritt? Also wenn ich 30 - 40 x in die Klinik gehe, kann ich genauso gut, wie bisher, "abnehmen" und wieder etwas zunehmen und wieder abnehmen, einfach viel günstiger!!