Herr Hennessy, Sie sind kein Parfümeur. Wie ist aus Ihnen eine Parfummarke geworden?
Letztlich aus Verdruss darüber, was aus der Parfumwelt geworden ist. Ich habe in den frühen neunziger Jahren in der Industrie angefangen: Es war die Zeit von «Poison» von Dior, «Obsession» von Calvin Klein, Issey Miyake, Jean Paul Gaultier. Das Kreativitätslevel war unglaublich. Das änderte sich dramatisch. Marken haben angefangen zu behaupten, dass sie wüssten, was gut sei, und wollten das allen vorschreiben. Unzählige sehr gute Parfums und Parfümeure verschwanden.
Gut riecht, was sich verkauft.
Klar, wir müssen profitabel sein und wachsen. Aber ich fand es schrecklich, dass es kaum mehr Vielfalt gab. Irgendwann hatte das alles nichts mehr mit dem zu tun, was ich eigentlich wollte. Ich hatte einen aussichtsreichen Job bei L’Oréal, war aber unglücklich. Deshalb habe ich gekündigt, um mich aus der Parfumwelt zu verabschieden.
Aber Sie sind ja noch da.
Eines Abends sass ich beim Dinner im «Baccarat» in Paris. Dort gibt es auch ein kleines Museum. Als ich diese Flakons, diese kleinen, mit Satin gefütterten Köfferchen sah, wurde mir bewusst, wie luxuriös diese Branche einst gewesen ist. Ich wusste sofort, dass es Kunden gibt, welche die alten Werte aus der Parfümerie auch heute noch zu schätzen wissen. Mit dieser Inspiration habe ich mein eigenes Parfumreich geschaffen.
Auf einer Duftwolke unterwegs
Kilian Hennessy (52) ist Spross der berühmten französischen Cognac-Dynastie. Er hat seine gesamte Karriere in der Parfumbranche absolviert, war unter anderem bei Puig, Gucci und L’Oréal und hat schliesslich seine eigene Marke lanciert – notabene ohne selbst Parfümeur zu sein. Sein Name steht heute für hochwertige Düfte für Männer und Frauen.
Mit «Baccarat» vor Augen?
Ja, ich wollte einen Kontrapunkt setzen zu all den sogenannten Nischenmarken, die ihren Juice in 08/15-Flaschen abfüllen und mit selbst gedruckten Etiketten bekleben und vorgeben, alles Geld fliesse bei ihnen ins Parfum. Stimmt nicht, sie minimieren nur ihre Marketingkosten. Für mich sind Flakon, Name und Duft eins.
Was von dieser Dreifaltigkeit braucht am meisten Energie?
Die Flaschen, die wir entwickelt haben, nutzen wir für die ganze Kollektion. Also, wenn man die hat, hat man sie. Einen Namen zu finden, ist tricky. Viele sind geschützt. Am meisten Energie braucht es, einen Duft zu entwickeln. Kann locker bis zu einem Jahr dauern.
Wie gross ist denn Ihr Team?
Wir sind zu zweit, ich und eine Parfümeurin.
Sie sind ein Spross des Hennessy-Clans. Die Firma Hennessy gehört heute zu LVMH – hatten Sie je die Chance, ins Unternehmen Ihrer Familie einzutreten?
Hennessey wurde 1765 gegründet, bis zum Verkauf gab es neun Generationen und unzählige Nachkommen. Mein Grossvater hat das Unternehmen mit dem seines Freundes Fred Chandon fusioniert, weil die beiden es satthatten: Wann immer sie etwas Strategisches entscheiden wollten für ihre Firmen, mussten sie zuerst 51 Prozent der Familie hinter sich bringen. Mit der Fusion zu Chandon Moët Hennessy und dem anschliessenden Börsengang haben sie Einflussnahme und Macht der Familien verwässert.
Aber eben, waren Sie je ins Unternehmen involviert?
Nein.
Warum nicht?
Erstens war es für mich keine gute Idee, mit meinem Vater zu arbeiten. Zweitens hat er mich nicht gefragt. Drittens habe ich in meinen zwei Jahren bei Dior, die ja auch zu LVMH gehört, gemerkt, dass die Leute mich anders anschauen und sich mir gegenüber anders verhalten, weil ich das H von LVMH bin. Ich ging nie mit zum Lunch, gehörte nicht richtig dazu. Deshalb habe ich danach nur noch für Konkurrenten gearbeitet.
Vor acht Jahren haben Sie Ihre Marke an Estée Lauder verkauft. Eine Genugtuung?
Ich hatte auch ein Angebot von LVMH. Aber ein Verkauf an Estée Lauder war genau das, was ich mir schon zu Beginn von Kilian ausgemalt hatte.
Sie sind Creative Director geblieben. Mit gestutzten Flügeln?
Ich bin grundsätzlich frei. Ich mache die Düfte, die ich möchte, ich taufe sie, wie ich möchte, und wir machen dazu genau die Bilder, die wir wollen, ausser wir verstossen damit gegen Vorschriften in gewissen Ländern. Im Mittleren Osten zum Beispiel kann man einen Duft nicht nach einem Alkohol benennen. Da müssen wir dann kreativ sein.
Was hat sich geändert, seit Sie verkauft haben?
Es handelt sich zwar um eine sehr grosse Gruppe, aber sie lassen die einzelnen Marken unabhängig.
Welches ist Ihre Vision für die Marke?
Wir haben nur Düfte, sonst nichts, keine Bodylotion, keine Duschmittel, keine Duftkerzen, nichts. Wir brauchen mehr Produkte für unsere Kundschaft. Daran arbeiten wir seit zwei Jahren, kommen aber viel zu langsam voran, weil wir bereits sehr schnell wachsen und für Neues kaum Zeit haben.
Wer sind denn Ihre Kundinnen?
Ich habe keine Ahnung.
Im Ernst?
Ich will gar nicht zu viel wissen, weil es meinen Kreationsprozess beeinflussen würde. Das will ich nicht. Ich wüsste zudem gar nicht, was damit anfangen, wenn ich wüsste, dass meine Kundin im Schnitt zwischen 35 und 45 Jahre alt ist.
Wie gehen Sie denn vor, wenn Sie einen neuen Duft kreieren?
Wir definieren zuerst einen sogenannten Akkord, der aus drei bis fünf Ingredienzen besteht. Darauf baut man dann die Formel auf. Es gibt Parfümeure, die sehr, sehr lange Formeln mögen, ich mag kurze. Meine Düfte enthalten zwischen 12 und maximal 45 Ingredienzen. Allein für den Reis-Akkord, den wir für «Moonlight in Heaven» wollten, brauchten wir ein Dutzend. Und um den Mango-Akkord zu rekonstruieren, den wir haben wollten, brauchten wir nochmals sieben.
Wonach sollte «Moonlight in Heaven» denn riechen?
Das Parfum ist inspiriert von dem thailändischen Dessert Sticky Rice infused with Coconut Milk with Mango Ice Cream. Eine detektivische Arbeit, man muss Akkorde finden, die sich mögen, ergänzen und miteinander das ergeben, was man haben will. Wie Köche.
Welches ist Ihr Bestseller?
«Good Girl Gone Bad».
Ihre Duftnote dazu?
Ein sehr schönes Blumenbouquet, eingepackt in weissen Moschus. Meine Nummer zwei ist «Angel’s Share», es ist meine olfaktorische Erinnerung an die Keller von Hennessy.
Wie viele Neuheiten bringen Sie pro Jahr?
Normalerweise eine.
Die nächste?
«Smoking Hot». Riechen Sie!
Grauslig, riecht wie in einer Shishabar.
Das ist, was ich wollte. Es ist ein Teil der Formel: Tabak, der mit Apfelaroma parfümiert ist. Das ist die Schlüsselnote dieses Dufts.
Warum haben Sie diesen Duft gemacht?
Weil ich Apfel-Shisha liebe. Wenn ich in den Mittleren Osten gehe, ist mein erster Stop immer das «Rooftop» im «Four Seasons», wo ich mit Blick auf den Burj Khalifa eine Shisha rauche. Ich liebe diesen Duft über alles.
Was haben Sie denn im Kopf, wenn Sie einen neuen Duft kreieren?
Nur etwas: Ich will das Gefühl vom Namen des Dufts einfangen.
Sie starten mit dem Namen?
Ja. Ich wähle ein Thema und beginne zu recherchieren. Schaue, wo ich eine Brücke bauen kann zwischen dem Thema und dem Duft. Wenn es mir gelingt, finde ich auch einen Namen. Wenn nicht, lasse ich die Idee los.
Welches ist das härteste Learning, das Sie als Unternehmer gemacht haben?
Lernen ist lernen. Hart ist nur der Job an sich, alles zu sein, Kommunikator, Buchhalter, Entwickler, Marketeer.
Einige dieser Tasks sind Sie jetzt los unter dem Dach von Estée Lauder. Was ist der Nachteil, in so einer grossen Gruppe zu sein?
Dass man in einer grossen Gruppe ist. Solange man nicht selbst gross ist und schnell, bekommt man wenig Aufmerksamkeit.
Worauf sind Sie stolz?
Ich habe erst vor fünfzehn Jahren angefangen, bin nun unter den Top 5. Das ist grossartig. Aber ich bin noch nicht ganz da, wo ich sein will.